@Spekulatius666 Ich finde auch gut, dass du dich mit deinen Überlegungen einbringst. Aber ich möche eben nochmal daran erinnern: Wir sollten unterscheiden zwischen dem, was wir für "möglich und wahrscheinlich" halten, und dem, was die - ohnehin kargen - Indizien hergeben. Und diese stützen eben nicht die "2-Täter-Theorie".
Aber zu deinen Punkten will ich trotzdem gerne etwas sagen:
1. Das Alibi: Ja, das sage ich ja auch, dass ich diesen Punkt am ehesten seltsam finde. Nicht unbedingt Cola/Auto/Blutspritzer; denn ich nehme stark an, dass hier sowohl EH als auch JS gewaltig übertreiben, wie blutüberströmt der jeweils andere in DC wieder aufgetaucht werden soll. Ganz klar soll beide Aussagen folgendes belegen: "Er/Sie triefte vor Blut ... der Mörder eben ... ICH ABER WAR IN WASHINGTON." Wieviel Blut es tatsächlich war oder ob schlichtweg der Täter achtgegeben hat, dass kein/wenig Blut ins Auto gelangt ist, wissen wir nicht. Deswegen gebe ich auf Ausagen über Cola/Auto/blutüberströmte Arme/Bettlaken oder was auch immer wenig. Wir haben es nun mal mit zwei Personen zu tun, deren Worten man erstmal gar nicht trauen sollte.
Was ich allerdings komisch finde, ist EHs Aussage, sie hätte die Filme im Kino gar nicht gesehen. Eine Frau, die weiß, dass ihr Lover mit Mordabsicht losfährt bzw. die Morde als starke Option einkalkuliert, riskiert es, dass ihr Alibi platzt. Das finde ich in der Tat merkwürdig. Denn man kann viel über Elizabeth Haysom sagen, eines aber sicher nicht: Dass sie dumm ist. Und bei einem Mord ein geplantes Alibi zu unterlaufen, ist dumm.
Allerdings - und jetzt kommt meine Einschränkung - gibt es dafür eben auch andere Erklärungen. Ich habe weiter oben schon mal eine genannt, die ich persönlich für möglich halte: Dass sie eben ganz im Inneren nicht so daran glaubte, dass JS die Tat begeht. Dass sie vielleicht nicht mal unbedingt aus vollem Herzen den Mord an den Eltern wollte, sondern sich eher darin gefiel, die Macht zur Anstiftung zu haben. "Der zieht das doch eh nicht durch ... der Schlappschwanz ..."
Wie gesagt: Nur eine Theorie. Aber ich will aufzeigen, dass es für das schwache Alibi eben auch andere Erklärungen geben kann. Dafür gäbe es übrigens auch einen Hinweis: Ihr Satz vor Gericht: "Ich hatte mehr Angst, dass er die Tat nicht begeht, als dass er sie begeht." Den man natürlich wieder verschieden interpretieren kann. Aber wir müssen uns im Klaren sein, dass es für ein schwaches Alibi oder schwammige Aussagen verschiedene Erklörungen geben kann. Eine wäre: Sie war bei JS im Auto. Aber es gibt eben auch andere. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine
2. Hass auf die Eltern: Hier kann man eben schon anhand der Briefe daraus schließen, dass er sie sehr fanatisch "vergöttert" hat und sich darin gefiel, Jünger und Liebhaber in einer Person zu sein, die perfekte Drohne seiner "Bienenkönigin". Dass er ihren geäußerten Hass übernimmt und "stellvertretend" hasst und auch mordet, ist eben nicht ausgeschlossen und ein sehr glaubhaftes Motiv. Wenn man die Briefe durchliest, wirkt das eben nicht nur gewaltgeschwängert, sondern teils auch psychotisch und einfach toxisch. Denn das war diese Beziehung durch und durch: toxisch. Und deshalb macht auch das Übertöten Sinn. Zumindest kannst du, Spekulatius, nicht als Argument aufführen, es hätte für ihn kein Motiv gegeben, die Morde allein zu begehen. Dass du es für weniger wahrscheinlicher hältst, glaube ich dir ja - aber dass du die andere Option ganz ausschließt, verstehe ich nicht.
3. Keine Sorgen wegen der Spuren: Da hast du ja recht - und es wäre eine gute Überlegung gewesen, wenn sie aktiv dabeigewesen wäre. Ein Fingerabdruck als Spur? Gähn. Ein winziger Blutfleck, der von ihr sein könnte (evtl. auch auf die Mutter wegen Luminolverunreinigung): Gähn. Klar, wäre das bewusst geschehen, hätte sie als anwesende Täterin einen großen Vorteil gehabt. Von DNA-Proben ahnten beide nichts (mit heutigen Methoden wäre das ja alles gar kein Thema).
Aber erneut: Dass sie sich theoretisch keine Sorgen um Spuren hätte machen müssen, belegt halt nicht, dass sie da war. Wir müssen das voneinander trennen.
4. JS unfähig, die Morde allein zu begehen: Nun ja, irgendwann ist immer das erste Mal. Wir müssen auch davon ausgehen, dass die Tat sehr genau geplant war. Und so könnte man auch (beachtet den Konjunktiv) den berühmten Weihnachsbrief deuten:
"My God, how I've got the dinner scene planned out." Und er selbst prahlte später - wie immer etwas
over the top - von seinen Fähigkeiten als Fechter, der geplanten Olympiateilnahme, erfolgreichen Wettbewerben etc.. Warum ein begabter Fechter mit klarer Mordabsicht nicht zwei alkoholisierte Menschen erstechen können soll, erschließt sich mir nicht. Er war eben nicht "zwingend auf die Hilfe einer zweiten Person" angewiesen. Es wäre für ihn ein Vorteil gewesen, ohne Frage. Aber zwingend: Nein.
Und warum wurde die zweite Person nicht verletzt? Die hätte ja dann die Mutter erledigen müssen - und zwar zielsicher. Als nicht geübte Fechterin.
Auf jeden Fall gibt es von dieser zweiten Person keine gesicherten oder interpretierbaren Spuren.
Und dann noch dazu:
Spekulatius666 schrieb:Ich hatte gleich zu Beginn das Gefühl, dass er sehr viel jünger wirkte als er tatsächlich war, während sie mir immer sehr viel älter vorkam, als sie tatsächlich war. Also dass zwischen beiden nicht nur 2,5 Jahre Altersunterschied auf dem Papier herrschten, sondern mental einige Jahre mehr. Und als Mutter kann ich seine Aussage durchaus bestätigen, dass selbst 2,5 Jahre in dem Alter sehr viel ausmachen, erst Recht wenn der eine Part eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich hat und der andere so gar nichts an Erfahrungen (Drogen, sexuell).
Das ist halt alles wieder sehr spekulativ. Gerade du als Mutter solltest wissen, wie unterschiedlich Reife von jungen Menschen verläuft. Ich kenne 19-jährige, die bereits sehr vernünftig und durchdacht ihr Leben in die Hand nehmen. (Vielleicht sind sie sogar etwas spießig ;-).) Andere sind mit 27 noch ungebacken wie ein Fischstäbchen, das aus der Packung gefallen ist und im Kühlfach wiedergefunden wird. Bei den Sex & Drogen-Stories von EH gebe ich noch zu bedenken, dass die Gute sehr aufschneiderisch war und sich vielleicht etwas wilder machte, als sie eigentlich war. Die "Bienenkönigin" war vielleicht doch nur eine Schwebefliege - nur JS hat ihr halt diesen selbstbehaupteten Status zugeschrieben. Wie auch immer: Wir wissen nicht genau, wie groß ihre Sex&Drugs-Eskapaden tatsächlich waren. Ehrlich gesagt scheint sie mir eher eine eingebildete Schnepfe gewesen zu sein, die sich als weibliche David Bowie in Berlin versucht hat, aber beim ersten Nullstand auf dem Konto wieder von den Eltern aufgefangen wurde.
Genau wissen wir es alle nicht. Aber wir sollten sie nicht ohne echte Belege zur "überreifen", supererfahreren, dauerkoksenden Sexgöttin machen, nur weil sie mit ihrer Mitbewohnerin rumgeknutscht und mal Heroin gesnifft hat, wie so viele "arty-smarty" Studenten in den Achtzigern.