@JosefK1914 Die Basis des klinischen Eindrucks bilden sowohl Erfahrungs- als auch empirisches Wissen zu sämtlichen betreffenden Themen, die im Fall relevant sind. Dies beinhaltet u.a. Erfahrungen und Kenntnisse darüber, "wie" Verhalten "funktioniert", als auch, wodurch es bedingt und beeinflusst wird, was Verhalten in welche Richtung beeinflussen kann, welche Persönlichkeits- und Umweltfaktoren (auch empirisch belegbar) ein bestimmtes Verhalten (z.B. spezifisches kriminelles V.) fördern oder vermeiden können und dergleichen mehr. Wenn du so willst fußt der klinische Eindruck auf sämtlichen Erkenntnissen, die bislang sowohl statistisch nachprüfbar als auch systematisch beobachtbar geworden sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit als zutreffend erwiesen sein können. Zumeist sind diese Erkenntnisse wie gesagt, ebenfalls empirisch belegt. Herangezogen wird dabei andererseits auch sämtliche Erkenntnisse über die Tat, den Täter, dessen sozialem Umfeld, Krankheits- und Entwicklungsanamnese sowie Therapiefortschritt und Fremdanamnese der ihn betreuenden Fachleute.
Das Wissen, das im Klinischen Eindruck bei Prognosebegutachtung angewandt wird, entstammt dabei sämtlichen Bereichen der Psychologie (z.B. Entwicklungs-, Wahrnehmungs-, Sozialpsychologie und Psychologie devianten Verhaltens), Psychiatrie, Kriminaltheorie, Soziologie etc. . Das Vorgehen bei der Klinischen Prognose ist systematisiert und folgt einer festgelegten Regel, die auf Folie 2 im folgenden Link ersichtlich ist:
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=0CCcQFjAB&url=http%3A%2F%2Fservice.mvnet.de%2F_php%2Fdownload.php%3Fdatei_id%3D47493&ei=UPaoVOLFN4HeONvAgMgM&usg=AFQjCNEqHLYiZjs-zHdL_re_xfdduFxuhwWenn du so willst, kann die klinisch-idiographische Prognose mitunter weitaus differenziertere und womöglich in der Prognosegüte daher verlässlichere Ergebnisse liefern, als der rein statistische Ansatz, allerdings ist es in der Praxis zurecht so, dass BEIDE Prognosewege angewandt und letztlich in EINE Prognose"theorie" integriert werden. "Theorie" daher, weil beide Wege niemals die schlussendliche "Tatsache" belegen, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen können. Ob diese dann tatsächlich eintritt, kann niemand vorhersagen.
JosefK1914 schrieb:Statistische Mittel sagen mir, das sind Mittel, welche auf Erfahrung mit anderen Fällen beruhen.
Auch der idiographische Ansatz beruht auf Erfahrungen mit anderen Fällen - jedoch anders als im statistischen Ansatz AUCH auf Einzel- und Spezialfällen.
Um mal ein ganz plattes Beispiel für die rein statistische Problematik zu geben:
Es sei statistisch erwiesen, dass Frauen, die rote Schuhe besitzen, wahrscheinlich exzentrischer in ihrer Persönlichkeit sind, als Frauen, die keine roten Schuhe besitzen. Die größte Population solcher Schuhbesitzerinnen hat man im Show-Biz und in Szene-Diskotheken gefunden und befragt. Tatsächlich ergab sich eine Korrelation zwischen Exzentrik und dem Besitz roter Schuhe, d.h., die o.g. Theorie kann statistisch belegt werden und ist als wahrscheinlich zutreffend anzusehen.
Im statistischen Ansatz wendest du jetzt einen Test an, der erhebt, ob du rote Schuhe besitzt und wenn ja, wie oft du sie trägst um dann die Ableitung treffen zu können, ob du wahrscheinlich exzentrisch veranlagt bist, oder nicht.
Die Problematik ist, dass der Test auch bei einer "grauen Maus" voll anschlagen würde, die rote Marienkäferhausschuhe besitzt, die sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen hat und täglich trägt, da es in ihrer Wohnung extrem kalt ist (sie muss Heizkosten sparen). All diese Zusatzinformationen würden durch das Testverfahren nicht erfasst - wohl aber durch die klinische Beobachtung, die letztlich ein völlig anderes Persönlichkeitsbild der Dame abbildet.
Was ich damit sagen will, ist: nur, weil bei statistischen Verfahren vermeintlich verlässliche Zahlenwerte erhoben werden können, die eine vermeintliche Sicherheit und Zuverlässigkeit implizieren, sind sie meist um wichtige individuelle und subjektive Faktoren maximal bereinigt, die jedoch große Aussagerelevanz besitzen können. Im o.g. Beispiel würden zudem sämtliche Exzentriker durchs Raster fallen, die einen ähnlichen Schuhschrank haben, wie Elton John (goldene, quietschgrüne, rosa Schuhe).
Während der statistische Ansatz nach dem "WAS?" fragt, fragt der idiographische Ansatz v.a. nach dem "WIE?", das mittels rein statistischer Verfahren nur sehr begrenzt erfasst werden kann.
JosefK1914 schrieb:Wie kann dann aber sichergestellt sein, dass solch klinische Prognosen ein halbwegs sicheres Ergebnisse liefern, wenn man letzendlich gar nicht ausreichende ähnliche gelagerte Fälle hat. Das stelle ich mir dann als sehr schwierig vor.
Sowohl im statistischen als auch im klinischen Verfahren ist das "sichere Ergebnis" auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit reduziert. DIE Sicherheit gibt es in keinem der beiden Ansätze. Allerdings wird stets nach dem mit größter Wahrscheinlichkeit zutreffenden Ergebnis gestrebt. Das erstmal zur Grundlage.
Wie bereits in einem anderen Posting erläutert, treten bei Spezialfällen Tatmerkmale mitunter deutlich in den Hintergrund und werden personale Faktoren des Täters bedeutsamer. In der Analyse dieser Faktoren wird die komplette Palette von Empirie und Erfahrung herangezogen, die auf allgemeingültigen Erkenntnissen der ganz o.g. Bereiche aus Psychologie, Psychiatrie, Forensik etc. beruhen. Du brauchst also - um eine relativ wahrscheinlich zutreffende Prognose zu stellen, in dem Fall nicht unbedingt weitere Täter, die exakt (gibt's eh nicht) die gleiche Faktorenkonstellation wie dein Täter aufweisen, sondern brauchst sämtliches Wissen, (ganz platt ausgedrückt), wie dessen Verhalten unter den bestehenden sozialen, individuellen, psychologischen etc. Bedingungen "funktioniert" und wie dieses Verhalten bei veränderten oder unveränderten Faktoren beeinflusst werden dürfte.