http://blog.beck.de/2014/04/10/fall-peggy-neue-hauptverhandlung-gegen-ulvi-k (Archiv-Version vom 12.04.2014)Hier ein Kommentar vom Rechtsexperten Prof. Dr. Henning Ernst Müller
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Fall Peggy – Neue Hauptverhandlung gegen Ulvi K.
Rechtsgebiet: Kriminologie, Materielles Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Strafrecht
Experte: Prof. Dr. Henning Ernst Müller
10.04.2014
Nach dem Fall Mollath, der im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit beschäftigt hat, findet nun mit dem Fall Peggy erneut ein Strafverfahren bundesweit Beachtung, das geeignet ist, das Vertrauen in die bayerischen Ermittlungsbehörden und die Justiz auf eine harte Probe zu stellen.
Seit heute findet die neue Hauptverhandlung vor dem LG Bayreuth statt.
Soll in einem Mordfall ohne Leiche verurteilt werden, dann stellt dies an die Strafverfolgungsbehörden, an Sachverständige und das Gericht besonders hohe Anforderungen: Die Beweislage muss eindeutig sein, objektiv begründete Zweifel schon daran, dass überhaupt das angeklagte Tötungsdelikt stattgefunden hat, dürfen nicht verbleiben. Im Fall Peggy, dem vor 13 Jahren verschwundenen Mädchen, und dem Strafverfahren gegen Ulvi K., waren die Beteiligten den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Ganz gleich, ob der Fall Peggy jemals aufgeklärt werden kann: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gerichten ist multiples Versagen vorzuwerfen.
Das Geständnis von Ulvi K., praktisch das einzige Indiz für die Tat, ist unter derart fragwürdigen Umständen zustande gekommen, dass erhebliche Zweifel verbleiben [im urspr. Text anders formuliert]. Während der Vernehmung haben die Ermittler offenbar den Beschuldigten darüber getäuscht , man habe Blutspuren von Peggy an seiner Kleidung gefunden. Eine Lüge ist nach § 136a StPO eine verbotene Vernehmungsmethode, was zur Unverwertbarkeit des Geständnisses geführt hätte - nach gerichtlicher Wertung sei aber nur fahrlässig getäuscht worden. Das angebliche Geständnis enthielt kein Täterwissen, Ulvi K. konnte die Ermittler nicht zur Leiche führen oder zu sonstigen Spuren oder Indizien, die seine Tat plausibel gemacht hätten.
Wichtige Teile der sich tage- ja wochenlang hinziehenden Beschuldigtenvernehmung wurden ohne den bestellten Verteidiger durchgeführt, der durch eine Intelligenzminderung behinderte Beschuldigte wurde mit Freundschaftsangeboten (ein Polizist war als vertrauter "Henningvadder" aufgebaut worden), mit Schokolade und damit gelockt, er brauche nicht ins Gefängnis, wenn er gestehe. Man hatte einen Spitzel in der Anstalt, der dann auch über ein angeblich "ausgehorchtes" Geständnis Ulvis sprach - dass dieser Spitzel später seine eigene Aussage widerrief, war einer der Wiederaufnahmegründe. Und am entscheidenden Tag, an dem Ulvi K. gegenüber den Ermittlern sein Geständnis abgab, soll „zufällig“ die Tonaufnahme technisch versagt haben, so dass das angebliche Geständnis nur als Gedächtnisprotokoll der Beamten existiert und, wie sich nun herausstellte, im Wesentlichen mit einer zuvor erstellten Tathergangshypothese übereinstimmt. Man versuchte dann noch seitens der Polizei Entlastungszeugen zum Rückzug ihrer Aussagen zu bewegen, damit der Tatverdacht gegen K. nicht gestört würde. Es fällt wirklich schwer, hier nicht an absichtliche Manipulationen zu Lasten des Beschuldigten zu denken.
Die juristische Kontrolle dieser polizeilichen Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft hat versagt: Entgegen ihrer Verpflichtung, objektiv zu ermitteln und die Beweislage objektiv zu beurteilen, hat die Staatsanwaltschaft die mageren Ermittlungsergebnisse der Polizei offenbar ohne kritische Prüfung zur Anklage gebracht.
Die Strafkammer des LG Hof hat sich mit einer fragwürdigen Beweislage zufrieden gegeben ("ohne jeden Zweifel"). Es hat, um die Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu belegen, einen Psychiater beauftragt, der über keine Expertise zur aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsuntersuchung verfügte. Sein Gutachten leidet unter Kardinalfehlern (vgl. dazu die Analyse von Eisenberg in JA 2013, S. 860 ff.; sowie von Sponsel auf seiner Website), wurde aber trotzdem zur entscheidenden Stütze des einzigen Beweismittels.
Schließlich hat auch der erste Senat des BGH seine Kontrollfunktion nicht wahrgenommen und das schwach begründete Mordurteil in der Revision „gehalten“.
Ulvi K. war bei alledem ein leichtes Opfer der ihm übermächtigen Polizeiermittler, die sich offenbar nicht Recht und Gesetz, sondern fragwürdige Kriminalfilme zum Vorbild genommen haben, um ein Ergebnis um jeden Preis zu erzielen.
Erschütternd ist es anzusehen, dass fast alle Fehler, die nach wissenschaftlicher Analyse in der Vergangenheit (in anderen Fällen) zu Falschgeständnissen und Fehlverurteilungen geführt haben, in diesem Fall gemacht wurden.
Zu verdanken ist die bislang erfolgreiche Wiederaufnahme RA Euler und einer rührigen Bürgerinititaive, die es vermochte, auch Journalisten von der Fragwürdigkeit der Verurteilung zu überzeugen.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Immerhin hat die Staatsanwaltschaft schon im vergangenen Jahr signalisiert, dass sie sich einem Wiederaufnahmeverfahren nicht entgegenstellen werde und hat die Ermittlungen zur Suche nach Peggy schon 2012 wieder aufgenommen. Offenbar will man nun die Wahrheit finden. Und nicht mehr nur auf dem einfachsten Weg einen Schwachen mit der schwersten Beschuldigung verurteilen.
Die Frage, die sich (insbesondere, aber nicht nur) die bayerische Justiz stellen sollte, ist, wie solche Verfahrensweisen künftig vermieden werden können. Eine Forderung liegt seit langem auf dem Tisch: Beschuldigtenvernehmungen und Explorationen - jedenfalls bei schweren Vorwürfen - nur mit kompletter Video- und Tonaufzeichnung als Beweismittel zuzulassen. Eine andere Forderung ist diejenige, auch in solchen Fällen professionell Beteiligte ggf. haften zu lassen, zumindest, wenn eklatante Fehler vorliegen. Bislang ist es wohl eher so, dass Polizeibeamte gelobt werden, wenn der Fall "gelöst" wurde, sogar dann, wenn ein Unschuldiger verurteilt wurde.