Mal ein paar Anmerkungen zum Indizienbeweis:
In einem Strafprozess ist eine Verurteilung des Angeklagten nur möglich, wenn ihm die Tat und sein Verschuldnen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Bestehen Zweifel, weil auch noch andere Möglichkeiten denkbar sind, muss in einem Strafprozess der Angeklagte zwingend freigesprochen werden. Diesbezüglich gilt der rechtsstaatliche Grundsatz: in "dubio pro reo" = Im Zweifel für den Angeklagten. Sind mehrere Möglichkeiten denkbar, so ist in einem Strafprozess von der Möglichkeit auszugehen, die für den Angeklagten positiver ist.
Ein Verurteilung ausschließlich nur auf Indizienbeweise zu stützen, ist im Straßprozess möglich, aber problematisch. Indizienbeweise reichen nur dann aus, wenn die zu beweisende Tatsache danach zweifelsfrei feststeht. Der Richter muss aufgrund der Indizien zu dem Schluss kommen, dass keine andere Möglichkeit mehr in Betracht kommt.
So ist das Geständnis von Ulvi ein Indiz dafür, dass er Peggy umgebracht haben könnte. Auch das Gutachten von Dr. Körber ist ein Indiz, dass das Geständnis erlebnisbasiert sein könnte. Die damalige Aussage des V-Manns ist ebenfalls ein Indiz, dass Ulvi die Tat tatsächlich begangen haben könnte. Vielleicht kann man auch die Aussageverweigerung der Angehörigen bzw. sonstigen Verhalten der Angehörigen als Indiz werten.
In der Gesamtwürdigung aller Indizien muss sich der Richter dann die Frage stellen, ob die Indizien ausreichen, um tatsächlich zweifelsfrei davon überzeugt zu sein, dass (a) Peggy tot ist und (b) von Ulvi getötet wurde.
Gibt es Indizien dafür, die für das Gegenteil sprechen könnte, muss der Richter diese zweifelsfrei ausschließen können.
Gibt es also z.B. Zeugenaussagen, die Peggy noch gesehen haben, als sie nach dem Geständnis von Ulvi eigentlich hätte tot sein müssen, so muss der Richter sich zweifelsfrei sicher sein, dass diese Zeugen sich geirrt haben müssen. Besteht auch nur die geringste Möglichkeit, dass die Zeugen sich nicht geirrt haben (z.B. weil es mehrere Zeugen sind, die auch nicht zu Ulvi gehören), dann muss der Richter in dubio pro reo davon ausgehen, dass Peggy zu den benannten Zeiten noch lebte. Der Richter muss dann ebenfalls in dubio pro reo davon ausgehen, dass das Geständnis von Ulvi zumindest in Bezug auf die Uhrzeit nicht "erlebnisorientiert" bzw. unwahr ist.
Gibt es zudem weitere Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass Ulvis Geständnis ausgedacht sein könnte, bricht der Wert des Indizes "Geständniss" nach und nach in sich zusammen, weil nicht zu erklären ist, weshalb ein an sich geständiger Täter an mehreren Punkten die Unwahrheit sagt. Wenn ich das richtig verfolgt habe, wurde das Geständnis von Ulvi nachträglich immer mal wieder angepasst, weil sich die Dinge nicht so zugetragen haben können, wie er es sagt. Zunächst ist bereits verwunderlich, dass ein Täter selbst nicht weiß, wo die angebliche Leiche geblieben ist. Dann ist verwunderlich, dass er diesbezüglich erst andere Personen benannt hat, die die Leiche weggebracht haben soll.
Hinzu kommen weitere Indizien, die dafür sprechen, dass das Geständnis nicht richtig sein muss. Es soll eine Verfolgung von Ulvi auf einem Weg "um das Dorf" gegeben haben. Peggy soll dabei gestürzt sein und wenn ich das richtig erinnere geblutet haben. Es wurden aber keine entsprechenden Spuren gefunden. Auch ist bereits zweifelhaft, ob Ulvi aufgrund seiner Körperstatur überhaupt in der Lage war, Peggy über eine längere Strecke zu verfolgen und einzuholen.
Problematisch ist zudem, dass Peggy sich nach der Zeugenaussage der busfahrenden Schülerin bereits in der Straße befunden haben soll, in der sie wohnte (wenn ich das richtig erinnere). Peggy müsste dann aber noch einmal zurückgegangen sein, was dann aber nicht dazu passt, dass Ulvi auf sie angeblich auf dem Platz gewartet und angefangen hatte.
Es ist keine Leiche gefunden. Es sind keine Spuren gefunden. Es sind Widersprüche aufgetaucht (wer die Leiche verbacht hat / abgefangen / längere Verfolgung / ...).
Das ist äußerst ungewöhnlich, dass sich ein Geständnis eines Täters durch keine objektive Tatsache auch nur einigermaßen hinreichend und schon gar nicht zweifelsfrei bestätigen lässt. Außer dem Gutachter Körber ("erlebnisbasiert") gibt es - was ich bisher gelesen habe - offenbar nichts, was darauf hindeuten könnte, dass das Geständnis von Ulvi zweifelsfrei der Wahrheit entsprechen muss.
Im Gegenteil scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass Ulvi eine Person ist, die oft einfach nur das sagt, was ihm andere Leute vorsagen bzw. was andere von ihm hören wollen. Es scheint daher nicht vollkommen ausgeschlossen zu sein, dass Ulvi der Inhalt seines Geständnisses von den Polizisten nahegelegt wurde. Dafür spricht (a) die recht ähnliche Tatherrgangshypothese, (b) die nachträglichen Anpassungen, wenn etwas nicht stimmen konnte (wer die Leiche verbracht hat), (c) der Satz: "dann bin ich nicht mehr dein Freund", (d) der merkwürdige Zufall, dass beim ersten Geständnis weder der Rechtsanwalt anwesend war und unglücklicherweise ausgerechnet dann das Tonband kaputt gewesen sein soll und auch kein anderes herangeschafft werden konnte.
Dafür spricht auch, dass es nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Polizei ergebnisorientiert gearbeitet haben könnte und dabei Methoden verwendet haben könnte, die nicht rechtmäßig sind (vgl. Falschaussage des V-Manns / angebliche Blutflecken). Es kann somit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass der Inhalt des Geständnisses Ulvi in den Mund gelegt worden sein könnte.
Es kann somit auch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob der Inhalt des Geständnisses tatsächlich wahr ist. Nur ein Glaubwürdigkeitsgutachten eines Gutachters reicht dafür meiner Ansicht nach nicht aus, da es in der Vergangenheit schon eine Vielzahl von Gutachten gab, in denen Gutachter zu falschen Ergebnissen kamen (vgl. z.B. Fall Donald Stellwag). Ein Gutachten ist ein Indiz, welches im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu einer zweifelsfreien Überzeugung führen kann, aber nicht muss. Lässt sich der Inhalt eines Geständnisses anderweitig nicht verifizieren, weil weder die Leiche noch sonstige Spuren gefunden wurden, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden, ob der Inhalt des Geständnisses tatsächlich der Realität entsprach.
In dubio pro reo muss daher davon ausgegangen werden, dass das Geständnis nicht der Wahrheit entsprechen muss und somit für eine Verurteilung von Ulvi nicht ausreicht.
Es kann nicht einmal zweifelsfrei gesagt werden, ob Peggy überhaupt tatsächlich tot ist. Besteht auch nur eine geringe Möglichkeit, dass Peggy vielleicht doch noch leben könnte, muss in einem Strafprozess dubio pro reo davon ausgegangen werden, dass bereits schon nicht nachgewiesen werden kann, dass Peggy überhaupt tot ist. Da keine Leiche gefunden wurde, kann eigentlich keiner zweifelsfrei sagen, ob Peggy wirklich tot ist.
Auch die Mutter schließt es nicht zweifelsfrei aus, dass Peggy noch leben könnte, auch wenn sie diesbezüglich nur wenige Hoffnungen hat (vgl.
http://www.welt.de/print/wams/vermischtes/article126613091/Kein-bisschen-Frieden.html).
Der Tod von Peggy steht somit nicht zweifelsfrei fest, so dass auch in dubio pro reo kein Angeklagter (auch HE nicht) wegen eines Tötungsdeliktes an Peggy verurteilt werden kann.
Besteht auch nur die geringste Möglichkeit, dass andere Täter in Betracht kommen könnten, so ist eine Verurteilung von Ulvi nicht möglich, da Ulvi als Täter nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
Wenn daher die Staatsanwaltschaft und Polizei gegenwärtig weitere Ermittlungen gegen andere Personen führen, ist eigentlich bereits jetzt schon vollkommen klar, wie das Verfahren gegen Ulvi ausgehen muss! Es wäre vollkommen absurd, zu behaupten, Ulvi sei "zweifelsfrei" der Täter gewesen, wenn gegen andere Personen weitere Ermittlungen laufen. Man ermittelt ja gerade gegen diese weiteren Personen, weil eine zweifelsfreie Feststellung des angeblichen Täters nicht möglich ist.
Streng genommen, darf ein Richter Ulvi nur dann veurteilen, wenn er sich so sicher ist, dass er sein eigenes Leben auf die Richtigkeit des Urteils verwetten würde. Wer das nicht tut, zieht auch noch andere Möglichkeiten ernsthaft in Betracht und hat somit Zweifel, die zwingend dazu führen müssten, den Angeklagten "in dubio pro reo" freizusprechen. Die gegenwärtigen weiteren Ermittlungen (z.B. gegen HE) machen es daher fast unmöglich, Ulvi zu verurteilen, weil die Ermittlungen beweisen, dass weiterhin Zweifel bestehen. Daran ändert auch ein Gutachten von Körber ("erlebnisbasiert") nichts. Offensichtlich können die Staatsanwaltschaft und die Polizei eben gerade nicht zweifelsfrei feststellen, ob das Gutachten von Körber richtig ist. Es wird von den Strafverfolgungsbehörden offensichtlich ernsthaft in Betracht gezogen, dass der Gutachter auch zu einem falschen Ergenis gekommen sein könnte, weshalb auch noch in andere Richtungen ermittelt wird.
Körber behauptet im Übrigen in Bezug auf seine Gutachten selbst, dass ein Restrisiko immer bestünde, dass seine Gutachten nicht richtig sind (vgl.
http://www.rowohlt.de/magazin_artikel/Hans_Ludwig_Kroeber_Mord.3040300.html). Ein bloßes Gutachten ist daher kein zweifelsfreies Indiz und kann daher alleine für eine Verurteilung nicht ausreichen. Es muss vielmehr auch noch andere Indizien geben, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung einen Schluss zulassen, dass zweifelsfrei sicher ist, dass (a) Peggy tot ist und (b) Ulvi dieses tatsächlich auf die beschriebene Art begangen hat.
Im vorliegenden Fall gibt es jedoch eine Vielzahl von Aspekten, die zumindest Zweifel aufkommen lassen müssen. Zu behaupten, Ulvi habe Peggy zweifelsfrei zur Verdeckung seiner angeblichen "vergewaltigung" (die ebenfalls nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde) getötet, wäre relativ skandalös. Wer würde wirklich sein Leben darauf verwetten, dass Ulvi die Tat tatsächlich begangen habe?
Das würde nach dem bisherigen Kenntnisstand wohl keiner machen. Wenn daher die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei nicht noch etwas Gewichtiges vorbringen können, was bisher nicht bekannt ist, dann dürfte es bereits jetzt vollkommen klar sein, wie das Gericht entscheiden wird (sogar muss)! Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob Ulvi der Täter war oder nicht. Selbst, wenn eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass er es gewesen sein könnte, so kann ein Angeklagter in einem Rechtsstaat nicht verurteilt werden, wenn die Tat ihm nicht "zweifelsfrei" nachgewiesen wird. Der Angeklagte muss in diesem Fall "in dubio pro reo" freigesprochen werden.
Wenn daher die Staatsanwaltschaft in dem Wiederaufnahmeverfahren nicht noch etwas bisher Unbekanntes zu Lasten von Ulvi vorbringen kann, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass Ulvi in einem Rechtsstaat nur freigesprochen werden kann. Ich kann jedenfalls nicht einmal ansatzweise erkennen, dass die bisherigen Indizien ausreichen könnten, zweifelsfreie Schlüsse gegen Ulvi zu ziehen. Es ist nicht einmal zweifelsfrei, ob Peggy überhaupt tatsächlich tot ist. Bloße Wahrscheinlichkeiten oder Vermutungen reichen in einem Rechtsstaat jedenfalls nicht aus, um in einem Straßprozess wegen eines angeblichen Tötungsdeliktes verurteilt zu werden.
Indizien sind nur dann ausreichend, wenn diese im Rahmen einer Gesamtwürdigung zweifelsfreie Schlüsse zu Lasten von Ulvi zulassen, weil jede andere Möglichkeit zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann.
Alles andere, als ein Freispruch von Ulvi, wäre für mich jedenfalls im vorliegenden Fall eine riesige Überraschung! Und nocheinmal: Es ist dabei vollkommen unerheblich, ob Ulvi der Täter war! Er müsste schlicht freigesprochen werden, weil ihm die Tat nicht einmal ansatzweise mit der erforderlichen "zweifelsfreien" Gewissheit nachgewiesen werden kann. Zugegebenermaßen kenne ich aber auch nur den Sachverhalt, den ich im Wesentlichen hier im Forum und im Internet in den letzten Monaten gelesen habe.