@SchimpanskiNa klar gibt es wegen dieser beiden Sachverhalte bzw offenen Fragen das Wiederaufnahmeverfahren. Das ist gut so.
Es bedeutet aber mitnichten, was immer so pauschal in die Menge geworfen wird: Justizskandal, Ulvi als Bauernopfer, glasklare Sache, schon entschieden, Ulvi wird freigesprochen, Ulvi kommt frei....
So eindeutig ist das Alles nicht.
Ich versuchs mal zu erklären.
Schimpanski schrieb:1. Gericht und Gutachtern wird die Tathergangshypothese der Polizei vorenthalten.
Genauer vom Gericht selbst:
http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/bayreuth/peggy_13_12_09_pressemitteilung.pdf (Archiv-Version vom 20.05.2014)Als weiteren Grund für die Wiederaufnahme führt die Jugendkammer das Vorliegen einer sogenannten Tathergangshypothese vom 30.04.2002 an, welche dem Gericht in Hof nicht bekannt gewesen sei. Diese Tathergangshypothese sei erheblich, weil der Sachverständige, der im Verfahren vor dem Landgericht Hof die Glaubhaftigkeit der Geständnisse des Angeklagten zu beurteilten hatte, ausgeschlossen habe, dass deren Inhalt ihm durch vernehmende Kriminalbeamte suggeriert worden sei. Der Sachverständige begründete dies damit, dass den Beamten selbst zum Zeitpunkt der Geständnisse am 02.07.2002 ein hypothetisches Tatszenario gefehlt habe, das sie dem Angeklagten hätten vorhalten können. Eine solche Tathergangshypothese hat es aber, wie sich im Wiederaufnahmeverfahren herausgestellt hat, tatsächlich gegeben. Auf die weiteren von der Verteidigung vorgetragenen möglichen Wiederaufnahmegründe kam es nicht an.
Ok. Die Polizei hatte ab April 2002 eine Hergangshypothese, die deren bis dahin bekannten Fakten bzw wahrscheinliche Vermutungen berücksichtigte. Mit diesem Wissen wurde Ulvi befragt.
Monate später gesteht er die Tat.
Es wird aufgrund der problematischen Situation, dass der Tatverdächtige geistig behindert ist, ein Gutachter hinzugezogen, der die Glaubwürdigkeit der Geständnisse einschätzen soll.
Er redet mit Ulvi und bekommt einen Packen Akten mit vermeintlich allen Befragungen als Grundlage seines Gutachtens.
Das Gutachten bescheinigt eine höchste Wahrscheinlichkeit, dass die Geständnisse erlebnisbasierte sind und bildet einen Grundstein der späteren Verurteilung.
Soweit ist alles hoffentlich unstrittig, oder?
Die Wiederaufnahme hakt hier ein, weil es diese Tathergangshypothese gab, die dem Gutachter nicht bekannt war. Deren Nichtexistenz hatte der Gutachter aber unterer anderem als Begründung für seine Bewertung angegeben und das Gericht hatte sich auf das Gutachten gestützt.
Jetzt gibt es zwei Arten, das einzuschätzen.
Die böswillige: Die Polizei bzw die Staatsanwaltschaft hat mutwillig Akten und Informationen zurückgehalten, um einen schnellen Ermittlungserfolg vorweisen zu können. Sie hat billigend in Kauf genommen, sowohl einen Geistig Behinderten wider besseren Wissens für immer wegzusperren als auch den wahren Täter in Freiheit zu lassen
Oder aber die (für mich weitaus) realistischere Variante: Kröber hat wie gefordert sämtliche Verhöre bekommen, die Ermittler bzw die Staatsanwaltschaft haben die zuvor erstellte Tathergangshypothese schlicht nicht weitergegeben, weil sie eben nicht direkt zu den Verhören gehörte. Dass sie für den Gutachter eine Bedeutung hätte haben können war vielleicht gar nicht bewusst.
Wie auch immer: jedenfalls KANN es sein, dass Kröber mit dem jetzigen Wissen ein anderslautentes Gutachten abgibt, aber das MUSS nicht so sein.
Weil diese Frage im Raum steht, wird die Wiederaufnahme stattfinden.
Ähnliches Spiel beim zweiten Grund:
Schimpanski schrieb:2. und die angestiftete, falsche Zeugenaussage des Peter H. durch die Polizei.
Hierzu das Gericht:
http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/gerichte/landgerichte/bayreuth/peggy_13_12_09_pressemitteilung.pdf (Archiv-Version vom 20.05.2014)So habe sich ein – zwischenzeitlich verstorbener – Zeuge mit seiner Aussage vor dem Landgericht Hof einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage zu Ungunsten des Angeklagten schuldig gemacht. Dieser Zeuge hat seine Falschaussage im Jahr 2010 vor dem Ermittlungsrichter eingeräumt. Es könne auch nicht sicher ausgeschlossen werden, dass die Aussage dieses Zeugen auf die Urteilsfindung Einfluss hatte. Die Aussage dieses Zeugen habe auch als Tatsachengrundlage für das seinerzeitige psychiatrische Sachverständigengutachten gedient.
Peter Hoffmann hat zu einem Zeitpunkt x vor der Polizei ausgesagt, dass Ulvi ihm gegenüber die Tat gestanden hatte.
Das führte zu weiteren Ermittlungen in Ulvis Richtung.
Hoffmann sagte auch vor Gericht aus.
In der Begründung des Urteils ist Hoffmann nicht aufgeführt.
Auch hier wieder mehrere Möglichkeiten, wobei für mich immer noch dieser Zeitpunkt x relevant ist, an dem Hoffmann zuerst dieses Geständnis ihm gegenüber an die Polizei lieferte.
Sollte das tatsächlich schon wie BILD schreibt 2001 gewesen sein, so ist diese ganze Geschichte um Hoffmann für mich persönlich hinfällig.
Also:
A) Hoffmann sagt schon im Herbst 2001 aus, Hoffmann lügt 2010
Die Polizei hatte damals Ulvi noch gar nicht auf dem Schirm, was mit Peggys Verschwinden zu tun zu haben. Eine aktive Anwerbung zu diesem Zeitpunkt ist sehr unwahrscheinlich. Hoffmann hätte hier in einer Art Wichtigtuerei sich selbst Vorteile ergaunern wollen. Entweder lügt er damals oder Ulvi hat ihm gegenüber tatsächlich gestanden. Beides ist möglich.
B) Hoffmann sagt schon im Herbst 2001 aus, Hoffmann sagt 2010 die Wahrheit
Demnach hätten die Beamten Hoffmann gezielt und frühzeitig auf Ulvi angesetzt, um ihn wie oben schon erwähnt ganz bewusst zu belasten. Und Hoffmann lässt sich kaufen und "opfert" Ulvi.
C) Hoffmann sagt erst 2002 aus, als Ulvi bereits tatverdächtig war, Hoffmann lügt 2010
Ulvi gestand also auch gegenüber Hoffmann die Tat oder auch nicht, aber dieser hoffte auf ein Entgegenkommen der Ermittler und lieferte Ulvi ans Messer. 2010 wird er dann durch irgendwas oder durch irgendjemand dazu bewegt, sich als Opfer des Polizeiapparates und als reuiger aber gutherziger und wahrheitsliebender Mensch zu präsentieren.
D) Hoffmann sagt erst 2002 aus, als Ulvi bereits tatverdächtig war, Hoffmann sagt 2010 die Wahrheit
Die Polizei hatte Ulvi demnach schon in Verdacht, kam nicht weiter und erinnerte sich an den zufällig mit ihm untergebrachten bewährten V-Mann, setzt diesen auf Ulvi an und landet prompt einen Treffer, denn Hoffmann ist bereit, auf Kosten von Ulvi und zu seinem eigenen Vorteil zu lügen. Danach werden die Daumenschrauben bei Ulvi angezogen (laut BI sogar wörtlich) bis dieser offiziell gesteht.
Streng genommen könnte man hier noch weiter ins Detail gehen. Ich kann's drehen und wenden wie ich will: Hoffmann als Zeuge bleibt sehr suspekt. Ob 2001, 2002, 2004, 2010 oder jetzt im Wiederaufnahmeverfahren.
Da gab es ganz gute Gründe, das Urteil eben nicht auf seine Aussagen zu begründen.
Diese vom Landgericht genannten Gründe sind es wert, noch einmal genauer beleuchtet zu werden. Sie sind aber weder ein Zugeständnis noch ein Freibrief.
Das Ergebnis ist völlig offen.