@darkstar69 darkstar69 schrieb am 14.03.2016:Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Täter mit dieser Geschichte und diesem Tatverhalten plötzlich sein Verhalten so sehr ändern und steuern kann. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Sch. zunächst psychisch derart beeinträchtigt war und in kurzer Zeit mehrere sehr auffällige Sexualmorde begeht und sich kurze Zeit später derart in Griff hat, es nicht mehr zu tun. Diese Phantasien stecken doch in ihm drin. Selbst wenn sich sein Tatverhalten im Laufe der Zeit ändert, ändert sich tatsächlich auch die Grundpersönlichkeit?
Der letzte Satz in deinem Posting ist der Dreh- und Angelpunkt, auf den es ankommt, um sich der Frage anzunähern, wie plausibel das Tatverhalten Schröders ist.
@jacki79 hat bereits auf den Artikel des Spiegels auf Seite 1 verwiesen, der in diesem Zusammenhang die Gutachterpositionen wiedergibt. Briken hat m.E. sehr gut aufgeschlüsselt, wie ein solches Tatverhalten wie Schröders zu verstehen ist. Dafür muss einerseits das Wesen von Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung klar erkannt werden und andererseits die Tatmotivation im Zusammenspiel damit deutlich herausgearbeitet werden.
Lange Zeit hatte man angenommen, dass Persönlichkeit einer Prägung unterliegt, die irreversibel sei und sich Persönlichkeit im Laufe eines Lebens kaum mehr wandele. Wie die neuere Forschung zeigt, war dies ein Trugschluss. Persönlichkeit ist wandelbar.
Was also waren Kernaspekte der Persönlichkeit von Schröder?Briken hat herausgearbeitet, dass Schröder früh sozialphobische Züge gezeigt hat, die sich letztlich auch als "Kontaktstörung" bezeichnen lassen könnten, die jedoch zunächst als Symptome sozialer Angst einzuordnen sind. Mangelnde (Selbst-)Sicherheit in sozialer Interaktion. Lassen wir dies also als "Grundpersönlichkeitszug" Schröders mal im Hinterkopf behalten.
Handeln und Verhalten ist persönlichkeitsentsprechend von Mustern, also Lernerfahrungen abhängig. Um Schröders Verhalten näher einzuschätzen, müsste man sich daher die Frage stellen:
Wie ist er mit seiner sozialen Angst umgegangen?Briken hat herausgearbeitet, dass Schröder seine Furcht externalisiert hat. Er hat also seine Furcht vor Anderen ausgelagert, indem er sie auf sein Gegenüber projiziert hat - statt zu erkennen, dass ER ANDERE abwehrt, weil er Angst vor ihnen und seinem eigenen Versagen hat, hat er nun DEN ANDEREN unterstellt, sie seien ihm gegenüber feindselig. Das Verhaltensmuster, wenn dies folglich regelhaft geschieht, nennt sich Paranoia. Auch dies hat Briken schön beschrieben. Schröder hatte paranoide Wesenszüge. (Für alle, die es interessiert: dieser Mechanismus wurde in der "Geschichte mit dem Hammer" von Watzlawik eindrücklich beschrieben.)
Für die nähere Einschätzung von Schröders Taten ist also von Bedeutung, wie er mit Situationen sozialer Angst und sozialer Frustration im Laufe der Zeit umgegangen ist:
Der Umgang mit Angst ist ein im Lebenslauf allgemein sehr Wandelbarer, da starke Gefühle wie Angst ebenfalls der Erfahrung (somit dem Alternsprozesses) sowie der psychosexuellen/ hormonellen Entwicklung unterliegen. Da die hormonelle Lage im pubertären und jungen/mittleren Erwachsenenalter ihren Höhepunkt erreicht, wäre in diesen Altersbereichen mit einer Häufung derlei motivierter Straftaten zu rechnen. Insbesondere wenn, wie Briken erläuterte, noch eine Störung der Impulskontrolle des Täters hinzukommt. Dadurch können aggressive Impulse, die hormonell bedingt in diesem Alter sehr stark sind, noch schlechter abgewehrt werden. Wir erinnern uns: Schröder neigte dazu, seine Angst zu externalisieren. Das heißt nichts anderes, als dass er dazu persönlichkeitsbedingt neigte, sie (aggressiv) nach außen zu richten - statt nach innen (das wären de-pressive Impulse).
Wird ein solcher Täter älter, dürfte die Frequenz an zu erwartenden Taten folglich abnehmen und sich auf Situationen größten Frusts beschränken. Schröder selbst hat dies gleichermaßen beschrieben. Er habe v.a. dann Taten begangen, als er sich besonders großem Frust ausgesetzt sah. Ein weiterer Hinweis darauf, warum es lange Zeiten gab, in denen er keine Taten beging, zeigt seine biographische Entwicklung. Er hat sich im Laufe der Zeit zusätzliche Kompensationsstrategien angeeignet, um Frust abzuwehren: Er ging ein Verhältnis mit seiner Schwägerin ein, wurde dafür vom Bruder auch nicht abgelehnt, sondern es wurde geduldet und er dürfte Frust zudem durch besonders liebevolles Verhalten seiner Frau und seiner Schwägerin gegenüber kompensiert haben. Auch dies Aspekte, die dafür sorgen können, dass im Rahmen von Lernerfahrungen die Häufigkeit von Taten abnehmen kann, wenn auf der anderen Seite zusätzliche "Ressourcen" zur Verfügung stehen.
Auch, wenn das Gericht den Ausführungen Brikens nicht wirklich folgen konnte, halte ich Brikens Sicht für sehr differenziert, schlüssig und korrekt. Er hat zudem deutlich gemacht, dass die Schröder betreffende Paraphilie im sexuellen Bereich nicht als klassische Störung der Sexualpräferenz verstanden werden kann, wie dies bei anderen Straftätern der Fall ist und sich bei diesen durch Persistenz auszeichnet, sondern sich bei Schröder die Neigung zu sadistischen Handlungen situativ und persönlichkeitsentsprechend punktuell entlud. Wichtig ist dabei zu verstehen: Im Vordergrund der Tatmotivation stand die Frustrationsabwehr - nicht die sexuelle Befriedigung.
Du hast geschrieben:
darkstar69 schrieb am 14.03.2016:Diese Phantasien stecken doch in ihm drin.
Es stellt sich die Frage, ob sein Handeln tatsächlich phantasiengeleitet war. Ich bezweifele das. Er wird Bilder und Vorstellungen gehabt haben, wie er seinen Frust in der jeweiligen Situation entladen wollte, allerdings steht in Frage, ob es in der Form phantasiegeleitet war, die man es von "klassischen" Sexualstraftätern kennt, deren alleiniger Antrieb die Umsetzung einer Phantasie ist, an der sie Jahre und Jahrzehnte arbeiten, um sie zur Perfektion zu bringen. Bei ihnen ist SIE der Zweck.
Bei Schröder habe ich eher den Eindruck, dass sie, wenn überhaupt in dem Ausmaß vorhanden, lediglich das MITTEL zum Zweck waren (Frustabwehr) und Externalisierung seiner eigenen Ohnmacht (durch Sadismus am Anderen).