Stefan1477 schrieb:Es ist toll, wie verbissen hier viele unbedingt daran festhalten, nur BT könne der Täter sein.
Ich kann nachvollziehen, dass wenn man das Urteil selbst nicht gelesen hat und sich selbst ausschließlich mit den dazu verfügbaren Podcasts, Videobeiträgen etc. auf youtube beschäftigt oder auch mit Ö/R Dokus, dass man dann den Eindruck bekommt, hier liegt vieles im Argen, was das Urteil betrifft. Wenn man dann die Argumentation der Verteidigung dargelegt bekommt, auch hier gibt es ja viel frei verfügbares Audio- und Videomaterial, dann wird dieser Eindruck dadurch nicht geringer. Ich schreibe dass, nicht weil ich Dir unterstelle, dass DU ausschließlich diese Quellen nutzt, sondern weil ich selbst anfänglich so zu diesem Fall gekommen bin. Ich hatte zwar Zweifel, dass es so ein krasses Fehlurteil geben könne in Deutschland, aber je mehr ich mich mit den "Sekundärquellen" beschäftigt habe, umso mehr gewann ich den Eindruck, dass hier u.U. eine Verurteilung nur aufgrund sehr unglücklicher Verkettungen (unglücklich für den Angeklagten) von Annahmen stattgefunden hat. Also einfach gesprochen: bei jedem pot. Indiz wurde die immer maximal schlechteste Annahme für den Angeklagten getroffen. Als ich dann das Urteil gelesen habe ist mir aber bewusst geworden, dass dies nicht der Fall war. Seit ich aus dem Urteil erkennen konnte, wieviel Aufwand für die Ermittlungen einzelner Spuren betrieben wurde, übrigens auch pot. entlastenden Spuren nachgegangen wurde, ist dieser Eindruck für mich nicht gegeben. Warum ich das so sehe möchte ich in Verbindung mit dem von Dir vorgebachten Punkt (u.s. Zitat) begründen.
Stefan1477 schrieb:Das Beste wäre, wenn man den wahren Verursacher der DNA finden würde und ihm mit weiteren Beweisen, die man dann natürlich noch finden müsste, eine Wiederaufnahme erreicht.
Die DNA Spur führte zur Überprüfung von ca. 100 Personen aus dem unmittelbaren Umkreis der Ermordeten (mich auf die Zahl bitte nicht festnageln, aus dem Gedächtnis reproduziert, genau Zahl steht im Urteil) und zu einer weiteren großen Personenanzahl aus dem Fall UH. Die DNA Spur konnte niemand zugeordnet werden. Es wurde also auch hier ein gewisser Aufwand betrieben, zu ermitteln, ob diese Spur dem Umfeld der beiden Opfer bzw. pot. Verdächtiger aus dem Fall UH zuordenbar wäre bzw. ob es sich um eine Fremdspur durch einen mit den Ermittlungen befassten Polizisten etc. handelt könnte. Dies war nicht der Fall. Ob alle Anstrengungen unternommen worden sind, diese Spur weiter auszuermitteln (z.B. Abgleich mit einschlägigen Datenbanken) weiß ich nicht bzw. müsste ich nochmal nachlesen, ob dazu im Urteil etwas beschrieben ist. Was aber definitiv nicht stimmt ist, dass dieser Spur nicht nachgegangen worden ist, wie in manch einschlägigem Medium behauptet. Obwohl die Ermittler diese Spur als nicht talrelevant eingestuft haben, ist die o.g. Überprüfung erfolgt.
Aber lassen wir die DNA Spur einfach mal als ein Indiz "gelten", dass pot. den Verurteilten entlasten würde, weil diese DNA ein Hinweis darauf sein kann, dass ein Dritter, der dem Umfeld der Ermordeten offenbar nicht zuzuordnen ist, in der Wohnung der Ermordeten war und dort dieses Glas angefasst hat. Was steht diesem einen dann als entlastend gewerteten Indiz an weiteren belastenden Indizien gegenüber?
Dem gegenüber steht, dass der Verurteilte
- kein Alibi für die Tatzeit hat (übrigens auch keines für die von Petermann vermutete frühere Tatbegehung, der Angeklagte hat nach 16:00 Uhr kein Alibi mehr, die Staatsanwaltschaft nahm zugunsten des Angeklagten an, dass er "spätestens" ab 17:00 Uhr kein Alibi mehr hatte, die Verlobte sagte aus, sie habe ihn gegen 16:00 Uhr in der Wohnung alleine zurückgelassen)
- ein Motiv für die Tat hätte
- Zeitungen vom Auffindetag in seiner Wohnung gefunden werden die aus dem Stadtteil der Parkgarage stammen, was an sich noch kein außerordentlich belastenden Indiz wäre, aber es sich genau um die drei Zeitungssorten handelt, die dem Opfer an die Tür gehängt worden waren und die genau an diesem Tag fehlten, der Verurteilte ja auch die Gelegenheit gehabt hätte die Zeitungen an sich zu nehmen (er war vormittags bereits in der Garage vor Auffindung) und seine Alternativversion nicht zutreffend sein kann, weil zumindest für 2 der 3 Zeitungen die exakte Menge ermittelt werden konnte, die am Kiosk vorhanden war, von der der Angeklagte nach eigener Aussage diese entnommen haben will
- der Angeklagte im Besitz von Geldscheinen ist, an denen Spuren des Opfers gefunden werden und seine Alterativtheorie wie er in den Besitz der Scheine gekommen ist durch Ermittlungen der Polizei nachvollziehbar als fernliegend ausgeschlossen werden konnten
- der Angeklagte keine nachvollziehbare Erklärung für seine vormittägliche Anwesenheit für in der Parkgarage liefern kann und seine Einlassungen dazu widersprüchlich wirken (er hat eigentlich Hausverbot, er soll den GF vertreten, hat aber dazu keinen Schlüssel fürs Büro, obwohl er die Tante wenige Tage vorher gesehen haben und diese Vorgehen verabredet haben will)
- der Angeklagte am Vormittag des Auffindetages in ungewöhnlich legerer Kleidung in der Garage erscheint, die von der Tante schwerlich akzeptiert worden wäre, wenn er die Vertretung des GFs an diesem Tag übernehmen soll
- der Angeklagte keinen plausiblen Grund für die Fahrt nach Augsburg liefert
- Fingerabrücke des Angeklagten am Kuvert mit dem Testament gefunden werden
- DNA Spuren des Angeklagten an der Kleidung des Opfers gefunden werden
So gesehen also stehen einer pot. entlastenden Spur sehr viele belastende Indizien gegenüber. In dieser Abwägung sehe ich nicht, wie man einerseits all diese Indizien beiseite schieben will und sie gleichsam für irrelevant/ falsch/ nicht beachtenswert usw. einordnet aber gleichzeitig diese eine (1) Fremdspur als die über allen anderen Indizien stehende Spur bewertet, die defacto schon den Beweis erbracht hätte, dass der Verurteilte nicht der Täter gewesen sein kann. 9 Indizien sind auf einen Schlag entwertet, weil 1 nicht zuordenbare Spur auftaucht. Wenn man sich der Sache von der Seite des Angeklagten nähern möchte fände ich es dann zutreffender zu sagen, die 1 Spur besäße das Potenzial für Entlastung, wenn weiteren Indizien, die auf einen anderen Täter hindeuten, hinzukämen, denn zu "entlasten" ist ja nicht das eine Gegenindiz sondern sehr viele. Diese weiteren Indizien, die auf anderen Täter hindeuten, sind bisher zumindest nicht aufgetaucht.
Ich sehe schon, dass nicht alle den Angeklagten belastenden Indizien gleich stark belasten, ich sehe aber auch, dass bestimmte Indizien erst durch die Einlassungen des Angeklagten belastend für ihn wurden. So sind z.B. seine Erklärungen zum Inbesitzgelangen der Zeitungen und Geldscheine dadurch belastend geworden, dass die vom Angeklagten vorgebrachten Erklärungen als nicht zutreffend ermittelt werden konnten. Andere Einlassungen des Angeklagten hätten mitunter eine andere Bewertung der Indizien bewirkt. Auch hat der Verurteilte zumindest öffentlich bisher keine neuen Einlassungen zu diesen ihn belastenden Sachverhalten gemacht, die eine andere Bewertung als die im Urteil vorgenommene plausibler erscheinen lassen.
Was für mich auch evident ist, dass es viele Zufälle bräuchte, um viele der belastenden Indizien zu "entlastenden" zu erklären. Natürlich kann man die DNA Spur des Angeklagten als "berechtigte DNA" einstufen, wie es Petermann tut, aber man findet ausgerechnet an diesem Kleidungsstück, dass am Tattag getragen wurde, am Rücken DNA des Angeklagten? Und natürlich könnte das Opfer die Scheine dem Angeklagten alle geschenkt haben, obwohl man im Streit war, das würde die Spuren des Opfers an den Scheinen erklären, aber der Angeklagte selbst wählt eine andere Erklärung wie er in Besitz der Scheine gelangt ist. Die Polizei geht dieser Aussage nach und kann diese Erklärung als "fernliegend" ausschließen. Zudem würden durch die Einlassungen nicht erklärt, wie Blutanhaftungen des Opfers an die Scheine gelangt sind. So wie der Angeklagte die Scheine in seinem Geldbeutel trägt (gefaltet und unter dem Geldfach in einem Einschubfach) kann bei Auffindung kein Blut drangekommen sein. Natürlich hätte der Angeklagte diese Scheine bei Auffindung offen in der Hand tragen können, was doch recht unwahrscheinlich ist, niemand bezeugen kann und er selbst auch nicht aussagt. So ist also auch hier die Einlassung des Angeklagten nicht in Einklang mit den festgestellten Spuren zu bringen. Gleiches gilt für die Zeitungen.
Ich könnte sicher ein paar weitere Aspekte dazufügen, aber ich will es dabei belassen. Für mich ist es am Ende ja auch eine Abwägung von Wahrscheinlichkeiten. Das Urteil stellt das ja auch klar: kein Indiz für sich alleine reichte für eine Verurteilung aus, aber alles zusammengenommen bildet dann schon eine Evidenz, die man nicht mit einer Fremdspur alleine Wegwischen kann.