Mord an Frauke Liebs
07.07.2019 um 12:27
Dieser Täter hat einen extremen Aufwand betrieben, von sich und der Tat abzulenken und geht enorme Risiken ein, die so im Vergleich zu üblichen Sexualstraftaten eher unüblich sind. Von seinem tatsächlichen Aufenthalts- bzw. Wohnort bzulenken scheint ihm wichtiger gewesen zu sein, als die Tatsache, dass er ein Opfer bei sich hat, mit dem er entdeckt werden könnte. Er dürfte sich zum Zeitpunkt ab der zweiten SMS und den Anrufen sicherer darüber gewesen sein, dieses Risiko eingehen zu können, mit ihr umherzufahren, als darüber, ermittelt werden zu können. Konkreter gesagt: der Schutz seiner eigenen Person/ Identität - auch wenn es paradox anmutet, war vorrangig und ihm so wichtig, dass er sogar das Risiko eingeht, das Opfer mit sich zu führen.
Das weist einerseits auf Unsicherheit hin und andererseits auf ein ausgeprägtes Bedürfnis, jederzeit alles unter Kontrolle zu haben. Ein Hinweis darauf, dass er in sich wenig gefestigt ist und mangelndes Kontrollerleben mit Ersatzhandlungen kompensieren muss.
Darauf weist auch die mögliche Betäubung des Opfers hin. Scheinbar ist der Täter in seiner Person bzw seinem Auftreten allein nicht autoritär genug, dass es als Bedrohung an sich ausreichen würde, das Opfer einzuschüchtern und in Schach zu halten, sondern er bedarf Hilfsmittel, die das Opfer für ihn kontrollierbarer machen. Ein sadistischer Täter, der seine Befriedigung aus der Wehrhaftigkeit eines Opfers bezieht, würde wenig davon haben, wenn das Opfer derart sediert und betäubt wird, dass es kaum handlungsfähig ist oder schmerzunempfindlicher. Frauke eine ganze Woche bei sich zu haben, zeigt m.M.n. dennoch auf, dass es ihm wichtig war, über sie zu verfügen. Womöglich aber weniger aus sexuellen Motiven heraus, sondern vielleicht aus persönlichen Motiven.
Das Umherfahren deutet aus meiner Sicht darauf hin, dass er aufgeschreckt worden sein könnte durch die Öffentlichkeitsfahndung am Folgetag, die darauf Bezug genommen hat, von wo aus ihre erste SMS gesandt wurde. Dies ist aus meiner Sicht ein weiterer Hinweis auf die Unsicherheit des Täters. Er REagiert nun und versucht Kontrolle über einen Aspekt wiederherzustellen, von dem er überrascht wurde: dass sein Bezugsort eingegrenzt wurde. Während bei einer reinen Sexualstraftat spätestens jetzt zu erwarten wäre, dass der Täter versucht, sein Opfer schnellstmöglich loszuwerden, macht dieser Täter hier genau das Gegenteil. Welchen Sinn hat es also ein Opfer länger als nötig bei sich zu behalten und derartige Risiken einzugehen, statt sie schnellsmöglich zu beseitigen?
Denkbar sind zwei Szenarien:
a) der Täter hatte eine intensive bzw. gerechtfertigte Entdeckungsangst und war gleichzeitig überfordert mit der Situation und ratlos, wie er sie beenden sollte
b) es war dem Täter maximal wichtig, das Opfer bei sich zu behalten
Zwei Aspekte kristallisieren sich als wiederkehrend heraus:
Dass der Täter ein sehr unsicherer Mensch ist, der auf Unsicherheit mit Überforderung und Kompensationsstrategien reagiert, die ihm Kontrolle ermöglichen und seine Unsicherheit in dem Moment einen so extremen Raum einnimmt, dass er sogar in Kauf nimmt, mit dem Opfer gesehen werden zu können, indem er mit ihr rumkurvt. Das ist ein bekanntes Verhalten von Menschen mit pathologischer Ausprägung von Unsicherheit und Angst, die alle Bemühungen auf das ausrichten, was sie vermeiden wollen, aber dabei auf genau das, was sie vermeiden wollen, hinarbeiten. Er will nicht mit ihr entdeckt werden, kurvt dafür aber mehrmals mit ihr hin und her und lässt sie sogar Verbindung mit ihren Angehörigen aufnehmen, was sein Entdeckungsrisiko steigen lässt. Es ist paradox und irrational und vielleicht deswegen auch ein Aspekt im Täterverhalten, das erklären könnte, weswegen es der OFA nicht möglich war, sich auf ein Tatmotiv des Täters festzulegen. Denn ein zweiter Aspekt kristallisiert sich wiederkehrend heraus:
Ihm scheint äußerst wichtig gewesen zu sein, das Opfer bei sich zu haben. Aber warum eigentlich?
Aus meiner Sicht geht es hier um einen (selbst-)unsicheren Täter, der diese Tat nicht geplant hat. Dem es vorrangig auch nicht um Sex ging, sondern um ein habhaft sein. Da er einen enormen Aufwand betreibt, das Opfer bei sich zu behalten, das Risiko eingeht, mit ihm gesehen zu werden, würde ich annehmen, dass es ihm nicht um irgendein Opfer ging, sondern dass die Person Frauke Liebs für ihn von Bedeutung war. Dass Täter und Opfer miteinander bekannt waren und das nicht nur flüchtig, darauf weisen für mich auch ihre kryptischen Angaben in den SMS und Telefonaten hin. Auf die Frage ihres Mitbewohners, ob sie irgendwen kennengelernt habe, antwortet sie sinngemäß, dass er doch wisse, dass sie nicht wegen irgendeines Typen eine Woche wegbliebe. Sie fügt hinzu: "Du kennst mich doch". Aus meiner Sicht kann das ein Hinweis (an ihren Mitbewohner) sein, dass sie ihn kennt und dass womöglich auch ihr Mitbewohner diesen Täter kennt.
Ihre Freundin sagte, dass Frauke nach dem Spiel müde gewesen sei und gleich nach Hause gehen wollte. Fast zwei Stunden später erhält ihr Mitbewohner eine SMS, die ihre Angehörigen noch als unauffällig einstufen. Und tatsächlich klingt diese SMS auch noch nicht merkwürdig. Würde eine müde Frauke, die eigentlich vorhat, nach Hause zu gehen und die weiß, dass ihr Mitbewohner extra wegen ihr aufbleibt, da sie keinen Schlüssel hat, wegen einer flüchtigen, unbedeutenden oder gar völlig fremden Bekanntschaft an diesem Abend umentscheiden? Wahrscheinlich eher nicht. Wie also könnte es gelingen, Frauke umzustimmen und sie dazu zu bringen, noch nicht nach Hause zurückzukehren, sondern erst noch mindestens anderthalb Stunden mit dem Täter zu verbringen? Denkbar sind aus meiner Sicht nur zwei Szenarien, nämlich dass sie den Täter intensiver kannte, sich vielleicht freute, ihn zu sehen und selbst an ihm interessiert war. Oder aber dass sie sich bemüßigt gefühlt hat, sich um ihn zu kümmern - was wiederum nahelegt, dass sie ihn näher kannte. Fraukes Mutter gab an, dass sie sich sehr mit dem Befinden und Schicksal anderer Menschen auseinandersetzte und ein Helfersyndrom hatte. Gut möglich, dass der Täter an ihre Empathie und Fürsorge appelliert hat und sie daher entschied, dass es wichtiger ist, sich zunächst ihm zu widmen statt nach Hause zu gehen. Geht man davon aus, dass die erste SMS noch freiwillig geschah, dann ist möglich, dass sie sich zunächst mit diesem Täter verqatscht hat (also die Zeit aus den Augen verloren hat) und sie einverstanden damit war, aus Paderborn mit ihm gemeinsam rauszufahren - womöglich zu seinem Wohnort. Was m.M.n. wiederum ein Hinweis darauf ist, dass sie ihn näher kannte und er ihr vertraut war. Ihre Schwester sagte aus, dass Frauke niemals ONS hatte. Fährt sie freiwillig mit, kann das nur bedeuten, dass sie entweder an diesem Täter interessiert war und Näherem an diesem Abend entgegen ihrer Gewohnheiten nicht abgeneigt war oder aber, was ich für wahrscheinlicher halten würde, dass für sie in den anderthalb Stunden zuvor in keiner Weise ersichtlich war, dass dieser Mensch ein bestimmtes Interesse an ihr gehegt haben könnte. Was wiederum nahelegen könnte, dass hier im Vorfeld lediglich ein platonischer freundschaftlicher Kontakt gehegt worden sein könnte, dem Frauke gegenüber völlig arglos war.
Geht man wie gesagt davon aus, dass diese erste SMS noch freiwillig war, dann muss die Situation danach "gekippt" sein. Was liegt da nahe? Es liegt nahe, dass Frauke irgendwann den Wunsch äußerte, nach Paderborn zurückzukehren. Ginge man von einem fremden, planvoll handelnden Täter aus, dann ist klar, dass er sie nicht gehen lassen wird. Geht man aber von einem Täter aus, der Frauke kannte, womöglich Interesse an ihr hatte, mehr als sie an ihm, dem wichtig war, dass er sie "hat" und der grob um ihre Lebensumstände weiß (z.B. dass sie mit ihrem Ex zusammenwohnt), dann ist möglich, dass ihn das gekränkt hat, weil er sich mehr erhoffte.
Ich habe meine Zweifel, ob es sich hier um einen fremden, planvoll handelnden Ersttäter handelt, der letztlich so überfordert reagiert und diese Risiken eingeht, wie er sie in der Woche danach zeigte. Aus meiner Sicht war hier ein bekannter, selbstunsicherer, ungeplant handelnder Täter am Werke, der Frauke aus mehreren Gründen nicht gehen lassen wollte, u.a. weil er weder mit Kränkung noch Kontaktlosigkeit umgehen kann, nicht damit, dass sie seine Gefühle nicht erwidert und der wenig, und wenn dann eher angstbesetzte, emotionale Erfahrungswerte mit Beziehungen hat. Auch dies wird in seinen vielen Fahrten mit dem Opfer sowie dem Zulassen telefonischen Kontakts deutlich:
Er scheint sehr geübt darin zu sein, zu antizipieren, wie etwas nach außen wirkt, was und wie andere Menschen denken/ denken könnten und er versucht, diese Wirkung zu beeinflussen - ein Zeichen dafür, dass er gut beobachten kann und vielleicht weite Strecken seines Lebens sowie in Bezug auf Beziehungen lediglich eine distanzierte Beobachterrolle eingenommen hat oder mangels Beziehungserfahrungen einnehmen konnte.