Grob lassen sich hier im Thread zwei Szenarien unterscheiden –
eines,
@Tajna das von den ‚Ramsey-Verteidigern‘ vertreten wird und von einem außenstehenden Täter ausgeht und
ein zweites, z.B.
@Photographer73,
@Sonnenblume91 and me
:), das die Annahme eines außenstehenden Täters mangels entsprechender Indizien ablehnt. Ich würde klar für das zweite votieren, aber wie muss man sich das erste Szenario eigentlich vorstellen, für das hier einige Diskutanten so vehement eintreten?
Für alle die noch etwas Zeit übrig haben und evtl. einen Wert darin erkennen, sich mit den konkurrierenden Theorien nochmals etwas konkreter auseinanderzusetzen, versuche ich es hier mal, mit einer etwas umfangreicheren Zusammenfassung:
Zunächst zum Motiv eines möglichen, außenstehenden Täters: Geht man von einem solchen Täter aus, der die Taten – also den Missbrauch, die tödlichen Verletzungen und den Erpressungsversuch – begangen hat, so wird man unterstellen dürfen, dass diese Einzeltaten nicht gleichrangig beabsichtig waren. Entweder der Täter wollte das Kind missbrauchen und/oder anschließend töten, oder er wollte es entführen. Aber was denn nun?
Das Erpresserschreiben wurde bekanntlich mit einem Stift und auf Papier geschrieben, die im Ramsey-Haushalt zuhanden waren. Folglich ist es unwahrscheinlich, dass der Täter tatsächlich vorhatte, das Kind zu entführen. In diesem Fall hätte er ein entsprechendes Schreiben vorbereitet. Das ist bzgl. des Motivs in diesem Szenario der springende Punkt: Von der Richtigkeit und Vollständigkeit der dort angegebenen Information würde ja der Erfolg des gesamten Unterfangens (Entführung und Erpressung) nicht unmaßgeblich abgehangen haben – er hätte es daher wohl kaum darauf ankommen lassen, ob er im Zuge der Entführung vor Ort die Zeit und die Mittel dafür gefunden hätte, einen entsprechenden Brief zu verfassen!?
(Hier ist es interessant zu erwähnen, dass bekanntlich auf dem Notizblock, aus dem auch das Papier für dieses Erpresserschreiben stammte, ein Blatt gefunden wurde, dass lediglich eine gemeinsame Anrede an die Ramseys enthielt und ansonsten leer war.)
In dem ‚Pro-Ramsey-Szenario‘ muss man daher davon ausgehen, dass der außenstehende Täter keine Entführung (!) geplant hatte. Man muss so deutlich darauf hinweisen, da das Täuschungsmanöver mE auch hier - und im vollen Bewusstsein, dass es sich um ein solches handelt - noch manches mal für Verwirrung sorgt! Nimmt man aber dem entsprechend an, der Täter habe das Entführungsschreiben verfasst, um von seinen eigentlichen Taten abzulenken, würde er sich also entweder vor, nach oder zwischen den beiden Einzeltaten die Zeit genommen haben müssen, um das Schreiben – immerhin drei Seiten – zu verfassen! Würde sich dieses Risiko und die verbundene Mühe des Formulierens und Fabulierens, der Suche nach Schreibwerkzeug etc. für ihn mit kalkulierbarer Wahrscheinlichkeit ausgezahlt haben? Nur dann, wenn er das Mädchen bzw. ihre sterblichen Überreste so hätte verbergen können, dass sie nicht aufgefunden werden. Der Leichnam wurde aber im Ramsey-Keller gefunden. Der Täter hätte das Schreiben, darauf wurde zuletzt erst kürzlich mehrfach hingewiesen - demnach vollkommen umsonst verfasst (oder wenigstens zurückgelassen) – denn zeitnah nach dem Einsetzen der Ermittlungsarbeit war klar, das Kind wurde nicht entführt sondern im Elternhaus getötet. (Immerhin: „zeitnah“ heißt hier ca. 8 Stunden nach dem Notruf! – Eine Verzögerung, mit der allerdings nicht zu rechnen war.
- Interessant auch: Zwar würde sich auch in dem oben genannten zweiten Szenario die Entführung erledigt haben, nachdem das Kind im Haus gefunden wurde, aber nicht mit derselben Konsequenz wie für den Täter im ersten Szenario. Während seine Tat unmittelbar auffliegt und klar ist, dass es keine Entführung gab, bleibt den Autoren des Erpresserbriefs in Szenario 2 immer noch die Schutzbehauptung, dass eine Entführung geplant war und schief gegangen ist. Im zweiten Szenario ist der Erpresserbrief daher "sinnvoller" zu verorten.)
An die Tatsache, dass der Täter sich spontan für ein Erpresserschreiben entschied, schließen sich min. zwei interessante Fragen an:
1. Wieso wollte der Täter überhaupt verschleiern, dass es sich tatsächlich um ein Sexualverbrechen bzw. Tötungsdelikt handelte?
2. Wieso ist er dann von seinem spontanen Vorhaben, eine Entführung vorzutäuschen, nochmals abgewichen? Wieso hatte er das Mädchen respektive ihren Leichnam nicht aus dem Haus geschafft, um seine Täuschung zu vollenden?
- Für den ersten Punkt gilt ähnliches wie für das Hinterlassen des Erpresserbriefs selbst; im 2. Szenario ist eine Vertuschung des eigentlichen Delikts sinnvoller denkbar, als im Rahmen des ersten.
Fasst man hier kurz zusammen, kann man festhalten, dass der Täter im ersten Szenario keine Entführung geplant hatte und auch nicht bereits im Voraus vorhatte, mit einem Erpresserschreiben von seiner eigentlichen Tat abzulenken.
Betrachtet man die Tatbegehung in diesem Szenario, dann muss der Täter sich, auf die eine oder andere Weise, von außen Zutritt zum Anwesen des Ramseys verschafft haben. Danach schlich er sich nachts in das Zimmer des schlafenden Kindes. Prinzipiell ist vorstellbar, dass er Jb auch an einem anderen Ort im Haus überraschte. Spuren von Urin und Reste des für die Penetration und das Strangulationswerkzeug benutzten Pinsels wurden jedenfalls im Keller gefunden. Der Täter müsste Jb folglich, falls er sie nicht bereits dort antraf, früher oder später dorthin transportiert haben, um sie zu fesseln, zu missbrauchen und zu strangulieren. Den Schlag auf den Hinterkopf könnte er sowohl im Keller als auch an einem anderen Ort im Haus ausgeführt haben. Ebenso verhält es sich mit der Knebelung mittels eines aus dem Haushalt stammenden Stück Klebebands. Spuren dazu, wo beides stattgefunden hat, sind meines Wissens nicht belegt.
Wo auch immer der Schlag erfolgte, es ist überraschend, dass kein Blut oder sonstiges Gewebe an diesem Ort gefunden wurde. Zwar erklären Experten, dass eine entsprechende Hirnverletzung nicht stark bluten müsse, dennoch wäre evtl. eine kleinere Menge Bluts zu erwarten. Wieso wurde es nicht gefunden? Weder im Raum noch an einer Tatwaffe für den Schlag. Hat der Täter Letztere (wieder) mitgenommen, wo er seine übrigen Tatwerkzeuge allesamt im Haushalt vorgefunden und zurückgelassen hat? Oder hatte er sich die zusätzliche Zeit genommen, die Spuren zu beseitigen und das Tatwerkzeug zu reinigen?
- Überraschenderweise würde auch das beseitigen von Spuren und Reinigen eines Tatwerkzeugs viel eher im zweiten Szenario erklären lassen - denn welches Interesse könnte ein außenstehender Täter an beidem haben, der nach der Tat den Ort verlassen kann, ohne dass ihn das Blut des Opfers in Räumen und an Gegenständen verraten würde?
Fesselung, Strangulation und Penetration mittels eines phallischen Gegenstands müssen im ersten Szenario als die eigentliche, sexuelle Motivation des Täters betrachtet werden. Zum Zweck seiner Befriedigung bediente er sich, wie erwähnt, solcher Gegenstände, die er im Haushalt vorfand – dazu zählt vor allem der lange, abgebrochene Pinselstil, der aus den Vorrat an Malutensilien der Mutter stammt. Diesen verwendete er einerseits, um den eigentlichen sexuellen Missbrauch zu vollziehen, andererseits, um das Kind zu strangulieren.
- Wie im Fall der Schreibwerkzeuge verlässt sich der Täter auch hier darauf, dass er – was er braucht – im Haus vorfinden wird. Er bewegt sich und handelt wie jemand, der dort zu Hause ist.
Noch bevor er den Tatort schließlich verließ, kleidete er das Kind wieder an - Jb trug ein langes T-Shirt, eine lange Unterhose und darunter ihren „Wednesday-Slip“ - und deponierte das Erpresserschreiben.
- Sowohl ersteres (Ankleiden) als auch - wie oben erläutert - letzteres (Erpresserbrief ablegen) lässt sich in Szenario 2 deutlich leichter erklären, als in dem hier diskutierten ersten Szenario der 'Ramsey-Verteidiger'.
Nun bezogen auf den Ablegezeitpunkt des Erpresserschreibens: Wann immer im Tatverlauf er es geschrieben hatte, er konnte es nicht schon vor der eigentlichen Tat, etwa während das Kind bewusstlos im Keller lag, auf der Treppe unterhalb des Elternschlafzimmers abgelegt haben. Denn in diesem Fall hätte er riskiert, dass das Schreiben gefunden würde, noch bevor er, mit oder ohne Kind, das Haus verlassen konnte. Er hätte befürchten müssen, dass ein Notruf der Ramseys (oder eine andere Reaktion) erfolgte, noch während er im Keller zugange war. Daher könnte er das Schreiben wohl erst im letzten Moment, bevor er das Haus verließ, auf der Treppe abgelegt haben – und das wohlwissend, dass es nun nicht mehr dazu dienen konnte, eine Entführung vorzutäuschen!?
- Auch das sind Widersprüchlichkeiten, die sich nur im ersten der beiden Szenarien stellen. Weder hätten die Ramseys zu irgendeinem Zeitpunkt befürchten müssen, dass das Schreiben zu früh entdeckt wird, noch ist es in ihrem Fall vollkommen sinnlos, das Schreiben überhaupt zu deponieren.