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Mordfall Hinterkaifeck

51.943 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Bauernhof, Hinterkaifeck ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Mordfall Hinterkaifeck

Mordfall Hinterkaifeck

26.06.2022 um 14:13
@EdgarH

Danke für Dein Interesse. Ich habe deshalb hier doch noch eine komprimierte und leicht verständliche Darstellung der damaligen Probleme im § 211 RStGB mit dem Tatbestandsmerkmal "mit Überlegung ausgeführt hat" im Auszug angefügt.

Sie stammt aus der Berlin School of Economics and Law. (Damit das Zitat nicht zu sperrig wird, habe ich die Fußnoten herausgenommen. Die zitierte Quelle ermöglicht jedem, ggf. bei Bedarf diese Fußnoten aufzurufen.)
...So wuchs zunehmend die Kritik an dem im Reichsstrafgesetzbuch aufgenommenen Begriff der Überlegung,57 weil man erkannte, dass der Sanktionensprung zwischen Totschlagsstrafe und Mordstrafe eine genaue und scharfe Definition verlangte, die durch diesen Begriff jedoch kaum zu leisten war, da dieser einen psychologischen Sachverhalt bezeichnet, dessen Vorliegen sich forensisch kaum nachweisen lässt.58

Darüber hinaus erwies sich der Begriff als „entweder zu enges oder zu weites
Auslegungskriterium“59. Einerseits vermochte er nicht alle als höchststrafwürdig angesehenen Aspekte einer Tötung zu erfassen,60 andererseits waren auch Tötungen vom Mordtatbestand umfasst, bei denen die Todesstrafe als Rechtsfolge zweifelhaft erschien, wie etwa bei den sog. Mitleidstötungen, bei welchen der Täter das Für und Wider der Tat in der Regel sorgfältig abwägt.61
Die Rechtspraxis versuchte zwar, dies zu lösen, indem sie das Merkmal in den Fällen verneinte, wo eine Todesstrafe unangemessen hart erschien, dies führte jedoch zu einer Inkongruenz zwischen den eigentlich für eine Wertung als Mord vorgesehenen und den tatsächlich erfassten Fällen.62

Dessen ungeachtet herrschte innerhalb der Rechtsprechung zudem Inkonsistenz hinsichtlich der Frage des Zeitpunktes, des Gegenstandes und des Umfangs der Überlegung,63 die in widersprüchlichen Entscheidungen des Reichsgerichts zum Ausdruck kam,64 so dass im Ergebnis zu konstatieren bleibt, dass das „Überlegenskriterium“ die notwendige Rechtssicherheit für die Bürger vermissen ließ...


https://www.hwr-berlin.de/fileadmin/portal/Dokumente/Fachbereiche-Institute/FB4/Forschung/FB-4-Heft-2016-05.pdf
[Hervorhebungen von mir]


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Mordfall Hinterkaifeck

26.06.2022 um 17:23
@totto
Zitat von tottototto schrieb:Solche Fragen mögen vielleicht einen Historiker zu der Zeit um 1920 interessieren
Moment mal: unabhängig von einer eventueller Relevanz für den Fall (die ich auch nicht sehe), hast Du etwas behauptet über Versicherungsschutz und Gesetze. Jetzt schon zweimal.
Ohne die Quelle und den genauen Wortlaut anzugeben. Ohne dass irgendjemand etwas überprüfen kann.

Liefer das einfach nach und gut ist.


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26.06.2022 um 20:27
Zitat von BlaubeerenBlaubeeren schrieb:Die Frage lautet ja, hatten zu dieser Zeit die meisten Betriebe, die mit Ochsen etc arbeiteten auch Stationärmotoren? War das üblich zu der Zeit?
Wenn man Kosten und Nutzen betrachtet, war ein Stationärmotor samt Infrastruktur 1920 eher der Ausreisser auf einem "Huber" Hof, im Fall von Hinterkaifeck irgendwie absurd.

Leider ist es mir bisher nicht gelungen, eine (Vorkriegs-)Preisliste für Sendlinger Motoren aufzustöbern, aber man kann einen Neupreis von etwa 1200 bis 1500 (Gold-)Mark als realistische Grössenordnung ansetzen.


prstella2


8474496400 15203084f2 m2



Gemessen am aufgefundenen Bargeldbestand (1780 Mark in Goldmünzen 20M) ein ausgesprochen hoher Betrag - zumal die Anschaffung des 'Sendlingers' nur ein Element einer (geplanten) Modernisierung darstellte. Um die Motorkraft zu nutzen, waren Transmissionen erforderlich und natürlich für Kraftbetrieb ausgelegte Gerätschaften. Weitere Kostenpunkte betrafen Instandhaltung und Reparaturen der Technik sowie die notwendigen Betriebsstoffe.


Zur Einordnung der HK Betriebsgröße hilft diese Begriffsdefinition:


https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&url=https://www.arlan.de/assets/files/Begriffsdefinitionen-derHofgreninBayern.pdf&ved=2ahUKEwibruze7Mr4AhVkQ_EDHfu9By0QFnoECAcQAQ&usg=AOvVaw2t0LJzzRyvWBIzxIyFdjCX


In Kürze:

"Ganzer Hof - Mayrhof
auch Meierhof
(ca. 40 - 90 Tagwerk bebautes Land) - ganzes Lehen
- mit 4 bis 6 Pferden (bei Vorspanndiensten auch mehr) und 4 Ochsen

Halber Hof - Huber
oder Halbbauer
etwa 30 Tagwerk - ein halbes Lehen
mit 2 Pferden und 1 bis 2 Ochsen

Viertel-Hof
oder halbe Hube - in Bayern auch Gütler oder Lechner genannt
etwa 15 bis 20 Tagwerk - ein Viertel Lehen
mit 1 Pferd und 1 Ochsen"



Die Hinterkaifecker bewirtschafteten etwa 30 Tagwerk (ca 10 Hektar) Ackerland mit einem Ochsengespann. Meiner Meinung nach ist das eine recht minimalistische Zugtier-Ausstattung. Was tat der Gruber, wenn einer seiner Ochsen gesundheitlich schwächelte? Von diesen Tieren hing immerhin der Ernteertrag und damit das Einkommen ab. Wenn ein Ochse ausfiel, konnte das vom Stationärmotor nicht kompensiert werden.

Im Vermögensverzeichnis finden sich zwei Geräte, die der Sendlinger betreiben konnte: Eine Gsottmaschine und ein Dreschwagen. Unter dem Aspekt, dass für die gesamte Feldarbeit und sämtliche Lastaufgaben (Holz transportieren etc) zwei Ochsen genügen mussten, halte ich die immense Investition in jenen Motor neben unverhälnismässig auch für reichlich unzweckmässig.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.06.2022 um 15:04
Zitat von DonislDonisl schrieb:Was tat der Gruber, wenn einer seiner Ochsen gesundheitlich schwächelte? Von diesen Tieren hing immerhin der Ernteertrag und damit das Einkommen ab. Wenn ein Ochse ausfiel, konnte das vom Stationärmotor nicht kompensiert werden.
Ich denke, dass die Dorfgemeinschaft von Gröbern sich in solchen Engpässen und Notlagen gegenseitig halfen.
Wahrscheinlich hätte man sich in so einer Situation einen Ochsen vom Nachbarn geliehen.

Den Stationärmotor hätten sie ja, wenn ich richtig verstehe, an den Dreschwagen technisch anbinden können. Bei dieser Arbeit hätte man dann wohl auch gänzlich auf die Ochsen verzichten können. Beim Pflügen wäre man wohl ohne Ochsen eher nicht klargekommen. Falls du das mit " nicht kompensiert" meintest.
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Wenn die Tat im Affekt begann, dann könnte die erste Tötung als Totschlag gesehen werden, die fünf weiteren als Morde, die zur Verdeckung des Totschlages dienten.
Allerdings hätte der (oder die Täter) ja problemlos eine alternative Lösung für das Problem mit den potentiellen Zeugen Maria B und dem kleinen Josef zur Verfügung gestanden. Möglicherweise auch schon früher. Anstelle dort auf das nächste Ofer zu warten oder den Stallgang entlang zu gehen, einfach den Tatort nach dem Affektmord an der ersten Person schleunigst zu verlassen.

Maria B soll kurz vor dem Zubettgehen gewesen sein. Und Josef lag wohl eher alleine in seiner Kammer und in seinem Kinderwagen.

Bis zum nächsten Morgen hätten die Beiden von der Tat zeitlich eher nicht unmittelbar erfahren.

Der Totschlag war schwerlich zu verdecken. Aber die Aufdeckung zeitlich verzögerbar.

Insgesamt wäre ein Mord zwecks Verdeckung des Totschlags oder dessen Verögerung eine rational erklärbare Folgehandlung des Täters, die Angst vor Entdeckung und Strafe implizieren würde.

Warum ist der Täter nicht sofort geflüchtet, wenn er doch zuvor aus Angst entdeckt zu werden, 5 weitere Tötungen begangen hat. Das müsste dann extreme Angst gewesen sein, bei 5 Personen inkl. Kleinkind. So einer wäre doch schwerlich am Tatort verblieben.

Meiner Meinung nach hat da jemand einfach alle töten wollen, von Vornherein.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.06.2022 um 15:14
Ich meine, wenn jemand eine so starke Angst vor Entdeckung seiner ersten Tat hat, dass er weitere Menschen hinterhältig erschlägt, wie hält dieser Jemand das Warten in der Schwelle aus und wie ist er dann noch zu einer strukturierten und sukzessiven und zielgerichteten, " geordneten" Tötung der restlichen Bewohner fähig?
Selbst die Fingerabdrücke fehlten an der Reuthaue, wo doch hätten welche sein müssen? Als hätte man hier von vornherein mitgedacht.


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27.06.2022 um 15:22
Zitat von BlaubeerenBlaubeeren schrieb:Selbst die Fingerabdrücke fehlten an der Reuthaue, wo doch hätten welche sein müssen? Als hätte man hier von vornherein mitgedacht.
Auf Holz ? Die Frage wäre welche Finderabdrücke man mit den damaligen Mitteln hätte finden können.
Ob man auf dem Stahl welche hinterlassen würde.. fraglich.


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27.06.2022 um 15:29
@Blaubeeren
Lass Dich nicht täuschen. Bevor die Reuthaue kriminaltechnisch untersucht wurde ging sie noch ungeschützt zumindest durch die Hände des Entdeckers. Und seine Fingerabdrücke hätten ja dann mindestens gefunden werden müssen, selbst wenn der Täter seine bewußt entfernt hätte.

Tatsächlich war es so, dass damals weit weniger Fingerabdrücke in ausreichender Qualität ermittelt werden konnten als heute. Das lag zum einen an dem zu untersuchenden Material - unlackiertes Holz war da eines der schwierigsten Untersuchungsobjekte. Zudem bauen sich Fett- und Wasserbestandteile (wenn ich recht erinnere) mit der Zeit ab und damals gab es große Probleme mit alten Fingerabdrücken. Alles nach 24h wurde schon deutlich schwieriger.

Als die Haue im Februar gefunden wurde herrschten beim Abriss des Gebäudes winterliche Bedingungen: Um die 3°C, feucht und dazu noch geringer Niederschlag. Selbst wenn das Werkzeug umgehend luftdicht gesichert worden wäre wäre eine erfolgreiche Fingerabdruckabnahme schwierig gewesen; die Untersuchung fand ja auch erst Mitte/Ende März 1923 statt. Also nochmal ne ganze Zeit später.


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27.06.2022 um 16:08
Zitat von BlaubeerenBlaubeeren schrieb:Warum ist der Täter nicht sofort geflüchtet, wenn er doch zuvor aus Angst entdeckt zu werden, 5 weitere Tötungen begangen hat. Das müsste dann extreme Angst gewesen sein, bei 5 Personen inkl. Kleinkind. So einer wäre doch schwerlich am Tatort verblieben
Ich finde deine Analyse gut. Die Motivation des Täters zu verstehen ist wesentlich. In der Tat ist das Vorgehen etwas inkonsistent. Aber die Würgespuren könnten ein Hinweis auf eine Beziehungstat sein. Sicher ist es nicht für mich, aber wahrscheinlich. Wenn wir die unterstellen, dann liegt der Affekt nahe. Was m.E. auch für eine eher ungeplante Handlung spricht ist die Tatwaffe. Wenn es die Reuthaue war, die Tatwaffe, dann kam der Täter ohne Waffe zum Tatort. Das spricht schon für ein Szenario, wo etwas kulminiert ist.
Wieso wurden alle Bewohner umgebracht? Eine Möglichkeit: weil der Täter das Anwesen nach der Tat noch durchsucht hat? Den kleinen Josef hätte man nicht töten müssen, aber der Täter hatte offenbar keine Idee, wie er das kleine Kind weiterleben lassen konnte, ohne eine frühzeitige Entdeckung der Tat zu provozieren, z.B. er hätte das Kind nicht unversorgt lassen können, dann wäre es verhungert, er hätte es z.B. dem nächsten Hof vor die Tür stellen können, aber das wäre ein hohes Risiko schon beim Transport gewesen (könnte ja losschreien) und es hätte definitiv sofort zu einem Entdeckung der Tat geführt.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.06.2022 um 16:15
Ergänzung: der Täter hat in seiner Tatausführung erschreckend konsequent gehandelt. Das wirkt sehr überlegt, darf meiner Einschätzung aber nicht täuschen, dass die Tatbegehung eher spontane Züge trägt.


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27.06.2022 um 20:16
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Das wirkt sehr überlegt, darf meiner Einschätzung aber nicht täuschen, dass die Tatbegehung eher spontane Züge trägt.
Ich tue mir schwer, hier spontane Züge zu erkennen.

Vorbereitende Observierung - Schneefussspuren, Einbruchsspuren, Münchner Zeitung, verschobene Dachziegel, Geräusche am Dachboden und mehr - lässt darauf schliessen, dass der/die Täter etwas in jenem Gehöft zu erledigen hatten.

Was das war, wird uns niemand mehr sagen können.

Eine Abrechnung, etwas musste geklärt werden oder nur etwas gefunden - möglicherweise alles zusammen.
Bezeichnend ist, dass nach der Tat die Hinterkaifecker Schusswaffen fehlten. Die wurden folglich präventiv beseitigt. Aus Angst vor einem Gewehr als Waffe oder aus Angst vor dem Lärm eines Schusses?
Auch wieder beides möglich, auf alle Fälle weist der Umstand der fehlenden Schusswaffen darauf hin, dass der/die Täter eine Begegnung mit den Bewohnern einkalkuliert hatten.
Und nachdem sie insgesamt schon nichts dem Zufall überliessen, gehe ich davon aus dass sie auch einen Plan für die Vorgehensweise für eben diesen Fall hatten.


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27.06.2022 um 20:38
Zitat von DonislDonisl schrieb:Vorbereitende Observierung - Schneefussspuren, Einbruchsspuren, Münchner Zeitung, verschobene Dachziegel, Geräusche am Dachboden und mehr - lässt darauf schliessen, dass der/die Täter etwas in jenem Gehöft zu erledigen hatten.
Hallo @Donisl ! Für mich gibt es keine Sicherheit, dass diese Dinge mit der Tat in Verbindung stehen. Wenn dem so wäre würde ich dir zustimmen, dass offenbar etwas größeres im Gange war.
Aber selbst dann wäre die Tat selbst keine geplante Tat. Eine Tat, zu der die Tatwaffe aus dem Besitz der Opfer stammt, ist ganz offensichtlich nicht geplant. Eine Tat bei der das vermutete erste Opfer Würgemale offenbart, hat für mich Züge einer Beziehungstat. Das ist das, was man in meinen Augen aus den gesicherten Fakten rausfiltern kann. Und auch das ist natürlich nur das, was ich für am wahrscheinlichsten halte, auch dafür gibt es keine Gewissheit. Für eine andere Tatmotivation, wie z.B Feme etc., sehe ich allerdings noch weniger Anhaltspunkte. Man kann das natürlich auch völlig anders sehen, bitte nicht falsch verstehen, aber ich halte das wahrscheinliche auch für das naheliegende.


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27.06.2022 um 22:40
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Eine Tat bei der das vermutete erste Opfer Würgemale offenbart, hat für mich Züge einer Beziehungstat. Das ist das, was man in meinen Augen aus den gesicherten Fakten rausfiltern kann.
Beim 'Würgen' scheiden sich ja schon die Geister bzw die Aussagen.

https://www.hinterkaifeck.net/wiki/index.php?title=Sachverhalte:_Die_Verletzungen_der_Opfer

Offenbar gab es Würgemale, jedoch ist nicht sicher bei wem. Viktoria oder Cäcilia, Renner gegen Telefonnotiz, ebenfalls mit Renner.

Dass die hofeigene Reuthaue als Waffe benutzt wurde setzt nicht voraus, dass der/die Täter unbewaffnet kamen.
Hierbei sollte man berücksichtigten, dass auf einem Bauernhof der damaligen Zeit unzählige zum Töten geeignete Geräte versammelt waren. Hacken, Beile, Äxte, Sensen und nicht zuletzt die universelle Mistgabel. Wer das wusste, musste nicht unbedingt eine Waffe mitbringen, wer mit einer Pistole kam, fand ein Arsenal an lautlosen Alternativen.
Hinsichtlich vorangehender Planung kann man an der Reuthaue m.M. nicht allzuviel festmachen.

Für aussagekräftiger halte ich das Fehlen der Schusswaffen von Hinterkaifeck. Wo sind sie abgeblieben und vor allem warum? Dass ein Infantriegewehr ('98) und eine Schrotflinte vom Erdboden verschwinden sollte einem zu denken geben.


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27.06.2022 um 23:19
Zitat von DonislDonisl schrieb:Dass die hofeigene Reuthaue als Waffe benutzt wurde setzt nicht voraus, dass der/die Täter unbewaffnet kamen.
Nein. Aber es macht auch wenig Sinn zu improvisieren, wenn man bewaffnet ist.
Zitat von DonislDonisl schrieb:Hierbei sollte man berücksichtigten, dass auf einem Bauernhof der damaligen Zeit unzählige zum Töten geeignete Geräte versammelt waren.
"Unzählige" sicherlich nicht. Zudem wüsste ein Fremder nicht wo sie sind. Er müsste erstmal suchen. Das passt nicht zu einem planenden, organisierten Täter.


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28.06.2022 um 08:28
Zitat von DonislDonisl schrieb:Offenbar gab es Würgemale, jedoch ist nicht sicher bei wem. Viktoria oder Cäcilia, Renner gegen Telefonnotiz, ebenfalls mit Renner.
Da geb ich dir Recht, da ist die Lage nicht ganz klar bei wem diese Würgemale sind. Aber klar ist, dass es Würgemale gab bei einer der beiden ermordeten Frauen gab.
Das Nichtmitführen einer Tatwaffe an den Tatort kann bedeuten, wie Du richtig sagst, dass der oder die Täter anderweitig bewaffnet waren. Aber es ist eben sehr unwahrscheinlich. Die gesamte Tatausführung spricht dagegen. Beides zusammengenommen, Würgemale + kein Mitführen einer Tatwaffe, spricht faktisch gegen eine geplante Tat und eben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine Beziehungstat. Ebenso spricht das Abdecken der Leichen auch eher für eine Beziehungstat. Die Absenz anderer erkennbarer objektiver Spuren, die z.B. einen Raubmord kennzeichnen würden (es wurden ja sehr viele Vermögensgegenstände im Haus gefunden, teilweise gar nicht oder nicht besonders schwer versteckt, so dass ja ein sich dort aufhaltender Täter bei ein bisschen Durchsuchen von Schränken größerer mengen an Münzen, Aktie und Bargeld an sich hätte nehmen können, wenn das sein Motiv gewesen wäre), spricht eben dann auch für eine Beziehungstat. Ähnlich verhält es sich mit Feme, hier gibt es keinen konkreten Hinweise am Tatort.
Zitat von DonislDonisl schrieb:Für aussagekräftiger halte ich das Fehlen der Schusswaffen von Hinterkaifeck. Wo sind sie abgeblieben und vor allem warum? Dass ein Infantriegewehr ('98) und eine Schrotflinte vom Erdboden verschwinden sollte einem zu denken geben.
Diese Schrotflinte war aber offensichtlich nicht die Tatwaffe. Von daher kann sie zwar durch den Täter entwendet worden sein, aber sie steht nicht in Verbindung mit der Mordtat. Auch hier würde ich dagegenhalten: ein Täter, der die Tatwaffe am Tatort zurücklässt, wird nicht ein registriertes Gewehr an sich nehmen, dass ihn unweigerlich mit HK in Verbindung brächte. Der Täter war offensichtlich auf zwei Dinge bedacht: die tat so lange wie möglich vor Auffindung zu schützen uns selbst keine mit dem Tatort in Verbindung zu bringender Gegenstände (Tatwaffe, Sachvermögen) an sich zu nehmen. Daher halte ich das Fehlen der o.g. Waffe für eine Koinzidenz, uns es damit wahrscheinlicher, dass dieses Fehlen nicht mit der Tat in Verbindung steht. Das würde ich auch so sehen, wenn die Gewehre nicht registriert gewesen wären. Die Gewehre hätten identifizierbar sein können.


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28.06.2022 um 08:41
@Donisl
eine Ergänzung noch: auch das Verschleiern der Auffindung, sofern wir das aus den Spuren lesen, da gibt es durchaus - in meinen Augen berechtigt- unterschiedliche Interpretationen, wäre viel mehr ein Hinweis für den Beziehungstäter aus lokalem Umfeld. Ob täterseitig Maßnahmen ergriffen wurden, die Auffindung zu verschleiern, ist m.E. durchaus zu Recht umstritten. Ich persönlich halte das für irrelevant, weil auch so der wahrscheinliche Bezug zw. Täter und wenigstens einem der Opfer aus der Tat heraus heraus gelesen werden kann. Klar ist, dass ein externer Täter keinen Grund für eine Verschleierung hat. Er hätte zum Ziel so schnell wie möglich den Tatort nach Ausführung der Tat (z.B. Raubgut an sich nehmen, die Tötung wäre dann nur "Mittel zum Zweck" gewesen, nicht wie bei der Beziehungstat das eigentliche Ziel) zu verlassen. Er ist dort fremd, allein sein dort sein ist verdächtig (gilt jetzt auch für sein Dasein in unmittelbarer Umgebung von HK; ein Fremder fiel auf, damals viel mehr als heute).


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28.06.2022 um 10:42
Zitat von pensionärpensionär schrieb:...So wuchs zunehmend die Kritik an dem im Reichsstrafgesetzbuch aufgenommenen Begriff der Überlegung,57 weil man erkannte, dass der Sanktionensprung zwischen Totschlagsstrafe und Mordstrafe eine genaue und scharfe Definition verlangte, die durch diesen Begriff jedoch kaum zu leisten war, da dieser einen psychologischen Sachverhalt bezeichnet, dessen Vorliegen sich forensisch kaum nachweisen lässt.58
Danke Dir @pensionär
für diese neuerliche Ausführung! Exakt das meinte ich, mit der Schwierigkeit in der Beweisführung. Wenn man weiß, wie schwer manchmal eine Motivnachweisung ist, insbesondere wenn sie auf Indizien beruht, dann kann man abschätzen, wie schwer der oben benannte Paragraf zielsicher anzuwenden gewesen ist. Insbesondere beim Fehlen oder uneindeutigen Sachbeweisen für diese „Überlegung“ ist das dann schon problematisch. Es lief dann wohl in Extremfällen darauf hinaus, dass der Richter eine schwere Entscheidung treffen musste. „Glaubt“ er (oder sie- wohl damals eher nur er), dass der Angeklagte die betreffende Tat mit „Überlegung“ ausgeführt hatte.


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Mordfall Hinterkaifeck

28.06.2022 um 12:09
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Es lief dann wohl in Extremfällen darauf hinaus, dass der Richter eine schwere Entscheidung treffen musste. „Glaubt“ er (oder sie- wohl damals eher nur er), dass der Angeklagte die betreffende Tat mit „Überlegung“ ausgeführt hatte.
Ja @EdgarH und solche Fragen mußten bekanntlich im Deutschen Reich von 1878 bis 1924 zur zweifelsfreien inneren Überzeugung der richtenden Geschworenen im (echten) Schwurgericht alter Fassung entschieden werden. ("Die zwölf Geschworenen").
Schwurgerichte im Deutschen Reich von 1878 bis 1924

Durch das Gerichtsverfassungsgesetz (Reichsjustizgesetze) wurden 1878 im Deutschen Reich die Schwurgerichte als periodisch bei den Landgerichten zusammentretende Spruchkörper eingerichtet (§ 79 GVG a. F.).
Verfahren in der Hauptverhandlung

Zur Hauptverhandlung hatten die 30 Hauptgeschworenen zu erscheinen. Von den tatsächlich erschienenen durften Angeklagter und Staatsanwaltschaft zusammen so viele ablehnen, dass noch zwölf übrigblieben, wobei die Staatsanwaltschaft begann und bei ungerader Differenz der Angeklagte einen Geschworenen mehr ablehnen durfte.

[Auf dieses procedere folgten Anklageerhebung, Einlassung des Angeklagten zur Sache, Beweisaufnahme incl. ggf. verschiedene Gutachten und nach Abschluß der Beweisaufnahme die Schlußplädoyers].
Vor der Urteilsfindung belehrte der Vorsitzende die Geschworenen, welche Fragen zu entscheiden waren. Er unterzeichnete und übergab den Fragenkatalog, worauf sich die Geschworenen zurückzogen und einen Obmann wählten. Je nach Gegenstand der Frage musste sie mit unterschiedlicher Mehrheit beantwortet werden. War das geschehen, so wurde der Angeklagte aus dem Sitzungssaal entfernt und der Obmann verkündete: „Auf Ehre und Gewissen bezeuge ich als den Spruch der Geschworenen …“, wobei er das jeweilige Mehrheitserfordernis nennen musste, sodass der Vorsitzende den Spruch bei Irrtümern über die erforderliche Mehrheit berichtigen konnte. Erst dann entschieden die Berufsrichter über das Strafmaß, der Angeklagte wurde wieder in den Saal geführt und das Urteil verkündet.

Wikipedia: Geschworenengericht#Schwurgerichte im Deutschen Reich von 1878 bis 1924
Aber gab es da im Deutschen Reich nicht auch eine Ausnahme ?
Doch und insbesondere und gerade auch bei Mordanklagen. Aber nur in Bayern.

Nur kurz:
Die Volksgerichte.
Von November 1918 bis Mai 1924 in Bayern bestehende Sonderjustiz zur beschleunigten Aburteilung bestimmter Straftaten. Die Volksgerichte unterschieden sich von den regulären Strafgerichten durch ein summarisches Verfahren und das Fehlen aller Rechtsmittel gegen ihre Entscheidungen.

...

Ein Spezifikum, für welches die Befürworter den Bonus rechtspolitischer Modernität in Anspruch nahmen, war die 'volks'richterliche Komponente: Von den fünf Richtern eines Volksgerichts sollten nur zwei Berufs-, drei aber Laienrichter sein.
...........

Verfassungsrechtliche Bewertung
Die verfassungsrechtliche bzw. verfassungsgeschichtliche Würdigung des Phänomens kommt heute zu dem eindeutigen Schluss, dass das bayerische Volksgerichtsgesetz von 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung nicht vereinbar war...


Empfohlene Zitierweise
Franz J. Bauer, Volksgerichte, 1918-1924, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Volksgerichte,_1918-1924> (28.06.2022)



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28.06.2022 um 14:36
Zitat von jaskajaska schrieb:Tatsächlich war es so, dass damals weit weniger Fingerabdrücke in ausreichender Qualität ermittelt werden konnten als heute.
Danke für deine Ausführung.
Dass solche Analysen damals deutlich schwerer waren als heute, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich bei der Haue um Holz handelt, war mir zwar einigermaßen klar. Dass jedoch bereits nach 24 Std solche Abdrücke labortechnisch nicht mehr nachweisbar waren etc, war mir im Detail bislang nicht bekannt.

Auf was ich mich innerlich stützte ist die Blutablagerung, die sich auf der Haue befunden haben soll. Leider wissen wir nicht genau wie und wo etc aber ich ging davon aus, dass wenn es der Stiel war, der deutliche Blutanhaftungen hatte, dass man selbst mit bloßem Auge und Super-Lupe solche Fingerabdrücke oder Umrisse davon hätte erkennen müssen.
Auch wenn Zeit verging. Das wären dann Fingerabdrücke auf Blutanhaftungen an Holz gewesen, nicht direkt auf Holz.
Vor einigen Tagen wurde in Kaifeck von dem jetzigen Besitzer mit Namens Gabriel von Laag, Gemeinde Wangen, eine stark mit Blut befleckte Haue mit Stiel, sogenannte Reuthaue zum Stockgraben, vorgefunden.
Quelle: https://www.hinterkaifeck.net/wiki/index.php?title=Dokumente:_1923-02-23_Meldung_Fund_Reuthaue
Zitat von jaskajaska schrieb:Und seine Fingerabdrücke hätten ja dann mindestens gefunden werden müssen, selbst wenn der Täter seine bewußt entfernt hätte.
Dachte an Handschuhe..
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:In der Tat ist das Vorgehen etwas inkonsistent. Aber die Würgespuren könnten ein Hinweis auf eine Beziehungstat sein. Sicher ist es nicht für mich, aber wahrscheinlich. Wenn wir die unterstellen, dann liegt der Affekt nahe.
Wenn man nun das Emotionskonstrukt "Angst" (vor Strafe/ Bloßstellung = Verdeckung des Totschlags) durch "kategorische, extreme Ablehnung" oder "Hass" ersetzen würde, würde sich diese Inkonsistenz (nicht sofort zu flüchten, obwohl extreme Angst) vielleicht von selbst beseitigen. Täter hat keine Angst und bleibt.
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Wieso wurden alle Bewohner umgebracht?
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Ergänzung: der Täter hat in seiner Tatausführung erschreckend konsequent gehandelt. Das wirkt sehr überlegt, darf meiner Einschätzung aber nicht täuschen, dass die Tatbegehung eher spontane Züge trägt.
Wenn jemand die Familie Gabriel/ Gruber so sehr abgeleht oder gehasst hätte, dass er oder sie von vornherein den Wunsch gehabt hätten, sie auszulöschen, dann ließe sich erklären, warum er oder sie nicht sofort flüchteten und zeitgleich die Tatausführung so konsequent erfolgte.
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Ebenso spricht das Abdecken der Leichen auch eher für eine Beziehungstat.
Für mich spricht das erst mal nur für ein Bedürfnis des Täters seine Emotionen wieder auszubalancieren bzw Distanz aufzubauen, um mit sich selbst klarzukommen. Das muss meiner Meinung nach keinen persönlichen Bezug zum Opfer haben. Ließe für mich erst mal die Schlussfolgerung zu, dass die Tötungen auf diesen Täter emotional eingewirkt haben müssen. Hier ist mein fachliches Wissen allerdings leider begrenzt. (Empirie wär gut.)

Dass Täter und Opfer sich kannten kann ich mir gut vorstellen. Dass sie jedoch engen persönlichen Bezug zueinander hatten, ist eher weniger leicht anzunehmen, weil es vor der Tat ja Einbruchspuren an einem Tor gab, bei dem einem "Kenner" hätte bewusst sein müssen, dass es hier keinen Zutritt ins Haus gab (Motorenhaus).


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Mordfall Hinterkaifeck

28.06.2022 um 14:43
Sorry, Nachtrag.
Zitat von BlaubeerenBlaubeeren schrieb:Täter hat keine Angst und bleibt.
Und muss zudem für 1 Totschlag nicht 5 weitere Morde durchführen, um die eine Tötung zu verdecken. Sondern evtl nur einen weiteren Mord, den an Maria B.


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Mordfall Hinterkaifeck

28.06.2022 um 14:58
Ich kann mir ingesamt nicht erklären, wie und mit welcher Persönlichkeit ein Mensch 5 Morde (zwecks Verdeckung) begeht, um 1 Tötung zu kaschieren, deren Ursache ein Ad-hoc Affekt war.

Es hat ja seinen Grund, dass ein Mensch, der nachweislich aus einem Affekt heraus jemanden tötet, juristisch als solcher letztendlich verurteilt wird und nicht als Mörder.


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