Während ich mich heute meinen eigenen Mandanten widmen musste, ist mein Name hier mehrfach gefallen. Zu den Themen noch mein Senf:
1. Vergewaltigung durch Überraschung (surprise) nach Art. 222-23 des französischen Strafgesetzes
Dieser juristische Terminus schliesst mehrere Szenarien ein, aber wichtig ist hier, dass er auch eine Vergewaltigung an einem schlafenden oder bewusstlosen Opfer mit einschliesst.
Dies hat der Kassationsgerichtshof in Paris, vergleichbar mit dem deutschen BGH, am 1.10.2013 entschieden. Er definierte "surprise," also Überraschung als jede Situation, in welcher das Opfer nicht in der Lage ist, Zustimmung zum Geschlechtsverkehr zu geben, sei es durch Bewusstlosigkeit, durch Schlaf, durch starke Alkoholisierung oder durch aktive Täuschung durch den Täter.
Quelle:
Crim. 1er oct. 2013, n°13-84.944
So, damit wir hier in diesem Fall klar sehen: die Anklagegrundlage in diesen Fällen ist offensichtlich diese Interpretation des Art. 222-23 CP durch den Kassationsgerichtshof.
2. Die Thematik des "Ja"
Jener Fall vor dem Kassationsgerichtshof zeigt aber auch das Dilemma, das sich eben durch die Geschichte aller Vergewaltigungsparagrafen zieht: selten sind bei der Tat unabhängige Zeugen vorhanden, fast immer sind nur Opfer und Täter beteiligt. Und wie in diesem Grundsatzfall aus Toulouse stehen oft zwei Aussagen gegenüber: hier bestritt der Täter keineswegs, dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen war, aber er bestand darauf, dass es einvernehmlich geschah. Allerdings gab er dann zu, dass seine "Freundin" so betrunken war, dass sie nach anfänglichem einvernehmlichen Vorspiel einschlief. Und dann der Geschlechtsverkehr stattfand. Das reichte dem Gericht für eine Verurteilung.
Nun kann man sich aber leicht ein Szenario vorstellen, in dem der Angeklagte nichts derartiges zugegeben hätte, die Frau auch nicht behauptet hätte, sie sei eingeschlafen o.ä., sondern einfach nur, dass sie nicht und niemals ja gesagt hätte oder anders ihre Zustimmung ausgedrückt hätte. Hier stehen dann Aussage gegen Aussage. Und es ist immer noch so, dass dem Täter eine Schuld zweifelsfrei nachgewiesen werden muss.
Das ist das Dilemma bei jeglicher "Ja ist Ja" Gesetzgebung. Wie beweise ich als Angeklagter, dass sie "Ja" gesagt hat? Oder, genauer eigentlich, wie beweist die Staatsanwaltschaft, dass sie nicht "Ja" gesagt hat?
Wenn man jetzt genau aufgepasst hat, merkt man, dass diese Frage gar nicht so neu ist. Denn auch bisher ist Vergewaltigung immer eine Tat "ohne Einwilligung des Opfers." Wie beweist das Opfer, dass es nicht einverstanden war? Das war schon immer die entscheidende Frage und ja, da wurde früher m.E. einiges falsch gemacht. Am Anfang forderte man klare Zeichen von Gewalt. Gab es die nicht, muss das Opfer wohl einverstanden gewesen sein. Das ist freilich hanebüchen, dass ein Opfer sich erst verletzen lassen muss, um als Opfer anerkannt zu sein. Dann gab es die schrecklichen Vorurteile, dass das Opfer doch Einverständnis signalisierte, z.B. durch aufreizende Kleidung usw usw. Und in der Ehe hatte das Opfer eh seine "Pflicht" zu tun. Davon sind wir heute Gott sei Dank in zivilisierten Ländern weg.
Aber die grundsätzlichen juristischen Fragen nach der Beweisbarkeit bleiben in jeder Rechtsordnung:
Ich nehme die Problematik von Vergewaltigungen durchaus ernst, ich finde es ist ein abscheuliches Verbrechen das noch viel härter bestraft werden sollte als üblich, aber ich sehe die juristische Problematik in diesen Spezialfällen.
Sollte man vor jedem Geschlechtsverkehr eine schriftliche Erklärung unterschreiben, dass dieser nun einvernehmlich erfolge? In allen anderen Fällen, wo es um Zustimmung im Rechtswesen geht, werden wir Anwälte immer darauf bestehen: ohne schriftlichen Nachweis keine Zustimmung. Ist das nun sonderlich romantisch, wenn man im Bett immer einen Vordruck, den man sich vorsorglich bei einem kompetenten Anwalt besorgt hat, durchlesen und unterschreiben soll?
Sollte gar der Anwalt immer dabei sein, damit man einen Zeugen hat?
:DGanz so einfach, wie manche Leute sich die Sache vorstellen, ist es leider im echten Leben nicht.