traumsee schrieb:Finde diese Ansprachen in Rosenheim auf der Straße von fremden Mädels schon sehr übergriffig beispielsweise.
Wie meine Vorredner, sehe ich da nicht unbedingt was Übergriffiges darin. Kommt denke ich drauf an, wie man es macht. Auf jeden Fall kann man nicht daraus schließen, wie es einer vor ein paar Seiten gemacht hat, dass man deswegen auch im Dunklen in seinem Heimatort mit Stirnlampe auf dem Kopf sich Frauen zum Ansprechen sucht.
Aber nun will ich deine Frage beantworten
:)traumsee schrieb:Bei dir habe ich anfangs herauszulesen gedacht, dass du an die Schuld des Täters glaubst und nun eher andersrum? Finde deine Meinung sehr interessant, da du ja sehr oft vor Ort warst.
Das ist jetzt schwierig genau zu erklären. Ich würde nicht sagen, dass ich hundertprozentig von seiner Unschuld überzeugt bin, aber für mich gibt es nicht mehr viel was logisch für seine Schuld spricht. Und damit meine ich schon ein bisschen mehr, als dass es nicht in meinen Augen für eine Verurteilung reicht.
Die Vorsitzende sprach ja immer von dem Puzzle, wie man auch generell in Indizienprozessen davon spricht, aus dem ein Bild entsteht oder auch nicht. Und das verschwimmt in meinen Augen immer mehr.
Am Anfang wusste ich ja nicht was mich erwartet. Grundsätzlich versuche ich „in dubio pro reo“ hochzuhalten. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Und schweigende bzw. leugnende Angeklagte gibt es vor der Jugendkammer selten. Ich dachte einfach, wahrscheinlich ist er es und dann geht es erstmal mit einem Geständnis los. War nicht. Da aber seine Verteidiger auch im Interview Andeutungen gemacht haben, dass es sich jederzeit ändern kann und es ja am zweiten Verhandlungstag nicht so gut aussah wegen viel Zeit für die Strecke, vllt falsche Hose mitgebracht etc. dachte ich weiter, dass da schon gut was dran sein könnte. Später sollte sich herausstellen, dass er zu der Zeit nachweislich Rückenprobleme hatte und so eindeutig ist es mit der Kleidung auch nicht.
Am Anfang kam Familie R. Die Aussagen der Schwestern R. sind in meinen Augen in sich zusammen gefallen. Eine gute Figur haben sie ja schon Anfangs nicht gemacht und dann war ich auch an dem Tag da, wo zum ersten Mal die GPS-Daten und die Sprachnachrichten vorgetragenen wurden. Dann natürlich die Verweigerung und Teilverweigerung der Schwester, was die Sache mit dem Messer angeht. Dann gibt es noch das Geständnis von der Party, was sich aber nach und nach als Scherz rausgestellt hat. Zumindest zeigte sich, dass es lapidar gesagt wurde und von den meisten als Scherz aufgefasst wurde. Man stelle sich vor das wäre im Zeitalter ohne Handy passiert.
Weiter merkt man, dass auch andere Zeugen aus dem Kreis, vllt ein bisschen zur Hysterie neigen und auch nicht viel belastendes hervorgebracht haben.
Nach dem Tag, wo die ganzen Eiskeller-Zeugen dran waren, brachte die Verteidigung ihre Unfalltheorie ins Spiel. Da fiel mir ein, dass ich anfangs sehr skeptisch war, ob es sich um einen Mord handelt. Erst als die Meldung von Sebastians Festnahme kam, lösten sich die Zweifel auf.
Und dann gibt es immer so „aha‘s“ und darauffolgende „ohs“.
Das kann z. B. die Wunde am Arm sein. Da denkt man sich erst, könnte ein sauberes Indiz werden. Und dann kommen Zeugen, die sagen, dass man es sich sehr gut bei der Arbeit holen kann. Gipfelt sogar darin, dass es die Rechtsmedizinerin mit einem Satz beiseite wischt und gar nicht in ihr Gutachten aufnimmt.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich als der Sachbearbeiter das Erste Mal die Suchanfragen aufzählte. Im Ersten Moment schreckt man kurz auf, in Anbetracht des Vorwurfs. Und was kommt raus? Traumdeutung und Prozessartikel. Natürlich auch ein wohl unschönes Video. Was laut Medien ja der Tat wahnsinnig ähneln soll, da ja Hanna auch stranguliert wurde. Ein paar Verhandlungstage vorher hat die Rechtsmedizin erklärt, es gab wahrscheinlich nie eine Strangulation. Wer sagt denn, ob das sexuelle Motiv schon im Haftbefehl stand oder ob es in der Anklage aufgrund der Suchanfragen steht.
Dann gibt es noch so Ereignisse wie den Mithäftling. Das wusste ich als es aufkam nicht richtig einzuordnen, war aber gespannt. Wer kam? Ein Zeuge, der nichts Neues zu berichten wusste und der vor die selbe Kammer kommt. Dem das Geständnis wieder eingefallen ist, als er von diesem Fakt erfahren hat. Der Zeuge räumt deshalb sogar offen ein, dass er sich schon eine Strafmilderung erhofft. Aber nur zu „2-3 Prozent“ bei den Anderen 97 Prozent, geht es ihm darum, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Jedem der einem im Privatleben mit so einem Aussageverhalten kommen würde, würde man auslachen.
Wahrscheinlich könnte ich noch ein paar weitere Dinge so abarbeiten. Was die Joggingroute angeht bin ich weiter offen und gespannt. Sebastian soll ja zwei verschiedene genannt haben, das machte ihn wohl auch verdächtig und das kann ich verstehen. Aber obwohl man ihm nicht glaubt, kann man seine genaue Route ablaufen und die Zeit stoppen?
Und naja, einen nicht unerheblichen Teil nimmt wahrscheinlich mein Gerechtigkeitssinn ein. Das sagt jetzt weniger faktisch was über die Schuld des Angeklagten aus, aber manches kann ich nicht haben.
Am Anfang hatte ich nämlich, ich wiederhole ich mich jetzt hier in einigen Dingen, einen angenehmen Eindruck von der Kammer und vom Staatsanwalt habe ich nichts mitbekommen. Die ersten zwei Einladungen zum Geständnis habe ich damals auch noch neutral aufgenommen. Aber mittlerweile stößt es mir ein bisschen auf, dass das Gericht dem Angeklagten „Hellserische Fähigkeiten“ aufgrund des Steins ausmalt, obwohl viele von uns wahrscheinlich damals an einen Stein gedacht haben. Ich jedenfalls schon.
Die erste Sache die ich vom Staatsanwalt nicht so schön fand, als er die Zeugin aus dem Schwarzwald mehrfach aufforderte „ruhig zu sagen“ falls sie der T. angefasst hat, obwohl die Zeugin es mehrfach klar verneint hat. Weiter hat man das Gefühl, dass er an dem Zeugen M. festhält wie nochmal was. Was erstens nicht sehr offen für Fakten wirkt und die Anklage auch nicht sehr stabil aussehen lässt.
Auch lässt man sich vllt ein bisschen durch die Stimmung anstecken. Eher unterbewusst und theoretisch, übertrieben lasse ich mich von sowas nicht leiten. Aber man braucht nur über den Flur gehen und ständig hört man Fetzen wie „Ich habe meine Meinung mittlerweile geändert“ oder „Ich bin mir nicht mehr sicher.“
Eine verzwickte Sache ist es so oder so. Der abgedroschene Spruch mit dem „Es gibt nur Verlierer.“ , passt da einfach perfekt.