Hanna W. tot aus der Prien geborgen
22.12.2023 um 20:19
Bericht 22.12 Teil 2
Nahtlos begann Psychiater Dr. Rainer Huppert mit seinem Vortrag.
Er erklärte, dass er vom Gericht beauftragt wurde zu prüfen, ob Grundlagen für die Paragraphen 20 (Schuldunfähigkeit) und 21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit) vorliegen könnten. Auch ob eine Unterbringung nach dem 63er (Maßregelvollzug) oder 64 (Entziehungsanstalt) in Frage kommen könnte. Weiter sollte er überprüfen ob auf den Angeklagten Paragraph 105 JGG (Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden) anwendbar ist.
Dr. Huppert erwähnt, dass er sich bei seinem Gutachten auch auf ihm vorliegende Krankenakten stützen wird, die ihm vorgelegt wurden. Denn Sebastian war in den Jahren 2011 und 2012 Patient in der Heckscherklinik Rosenheim. Einmal als ambulanter Patient und auch als Patient in der Tagesklinik.
Der Psychiater erlebte einen freundlichen jungen Mann, der im Laufe der fünf Gespräche immer zugänglicher wurde und dem Arzt das Gefühl gab, kein Fremder mehr zu sein. Der Angeklagte bestritt gegenüber dem Gutachter die vorgeworfene Tat.
Der Sachverständige fängt in der Schwangerschaft an. Diese ist an sich unauffällig gewesen, jedoch zeigte sich eine postnatale Spitzfußstellung, die auf einen Sauerstoffmangel während der Geburt hindeutet. Bereits in der frühen Kindheit waren grobmotorische Störungen und psychosoziale Verzögerungen zu erkennen. Diese Verzögerungen sind auch oft bei Kindern zu beobachten, die noch länger im ersten Jahrzehnt hinein, an Enuresis nocturna leiden, so auch der Angeklagte. Aufgrund wiederholter Mittelohrentzündungen wurden bei Sebastian in den Jahren 2005 und 2008 Ohrenstäbchen eingesetzt.
Im Jahr 2007 wurde dann bei Sebastian das Erste Mal im Klinikum Vogtareuth ADHS diagnostiziert. Deswegen wurde er in eine Diagnose u. Förderklasse der Grundschule eingeschult, bei der sich der Stoff der Ersten Klasse auf zwei Jahre erstreckt. Jedoch hatte der Angeklagte Schwierigkeiten sich die Kulturfähigkeiten wie Lesen u. Schreiben anzueignen, dies führte zu geäußerten Suizidgedanken und er rutschte in die Rolle eines „Klassenclowns“. In der Heckscherklinik wurde ihm dann Ritalin angeraten, dies setzte er jedoch nach einiger Zeit ab. Auch wurde damals die Intelligenz geprüft, die im Bereich der Lernbehinderung anzusiedeln war. Umso beachtlicher findet es der Sachverständige, dass Sebastian seinen Quali mit einem Schnitt von 2,8 absolviert hat.
Der Gutachter Bericht von einem engen Verhältnis zur Familie. Der Angeklagte hat im Haus der Familie ein Zimmer und man machte noch zusammen Unternehmungen und spielte Hausmusik. Er erwähnte die Aussage des Polizisten vom 2. Verhandlungstag und ist der Meinung, dass der Zustand des Zimmers von T. wohl über normale Meinungsverschiedenheiten von Generationen wie ein Zimmer auszusehen habe hinausgeht. Jedoch schloss der Arzt aus den Schilderungen der Beamten, dass das Haus unordentlicher ist, als es „Spieß-und Kleinbürgerliche Verhältnisse“ ansetzen würden. Sebastian schien trotz der Unternehmungen mit den Eltern, eher ein engeres Verhältnis zu den Großeltern zu pflegen und mit Problemen eher zu ihnen zu gehen.
Dr. Huppert führte aus, dass der Angeklagte noch keine feste Beziehung zu Frauen gepflegt hat. Der Angeklagte hat zwar öfter in Rosenheim fremde Frauen auf der Straße angesprochen, da er gerne mit ihnen soziale Netzwerke austauschen wollte und Kaffee trinken. Ab einem gewissen Punkt, sei es aber nie weiter gegangen. Sebastian bestritt jedoch, bei diesen Ansprachen je körperliche Grenzen überschritten zu haben.
Der Sachverständige kam deswegen auf die Angaben der Verena zu sprechen. Diese schilderte Übergriffes Verhalten. Einmal die Sache im Auto mit dem Streicheln über das Knie, sowie ein an den Körper reiben beim Tanzen auf Partys. Der Gutachter konnte es sich vorstellen, dass es sich bei der Empfindung vllt um ein „Stadt-Land-Gefälle“ handelt. Den Ausdruck fand ich lustig. Hat er das dann wahrscheinlich so gemeint, dass die es aus konservativen Gründen auf dem Land dramatisieren ? Juckt anscheinend doch nicht beim Jodeln die Lederhosen. Das habe er aber verworfen, da die Schwester Lea es als ernst aufgefasst hat.
Nun kam die Sprache auf die Vorliebe des Angeklagten für Frauen in Pflegeberufen zur Sprache. Der Gutachter konfrontierte den T. damit, dass das in den Akten auftauchen würde. Dieser bejahte die Leidenschaft und meinte ihm würde der Aspekt und die Phantasie der Fürsorge gefallen. Es kam hierbei auch die Sprache auf eine Janina, die wohl in so einem Beruf arbeitet, eine Freundin von Verena ist und mit der Sebastian zumindest über soziale Netzwerke Kontakte pflegte. Nach dieser Sitzung passierte wohl die Sache mit der Hand und sie war wohl mindestens zum Teil ein Auslöser dafür. Dr. Huppert war jedoch sehr überrascht, als ihm ein Pfleger von dem Vorfall berichtete.
Es wurde auch in den Gesprächen sein Verlangen generell nach sozialen Kontakten beredet. Der Sachverständige stufte Sebastian als Einzelgängerisch ein, jedoch sieht er auch den Wunsch in Kontakt mit Anderen zu treten. Zumindest in den Monaten vor der Tat sei ihm das gut gelungen und diesem Wunsch auch immer wieder nachgegangen. So hat er viel mit seinem Arbeitskollegen gemacht, mit einem weiteren Freund und den Schwestern R. Wobei der Psychiater andeutet, dass er diesen Umgang, also mit den Schwestern,als nicht sehr sinnvoll ansieht.
Aus seiner Schulzeit dagegen berichtet er von Schikanen durch Mitschüler und Lehrkräfte, bei denen er nicht in der Lage war sich adäquat Hilfe bei Eltern etc. zu suchen, sondern es lieber mit sich selbst ausmachte. Der Gutachter meint, da der Angeklagte verzögert gewachsen ist, sei er für die Rolle des „Opfers“ prädestiniert gewesen. Die Größe sieht der Sachverständige in der Ursache eines genetischen Minderwuchses, der sich durch die ganze Familie zieht. So extrem wäre mir das jetzt nicht aufgefallen, muss ich sagen.
Jedoch sagte auch der Angeklagte bei den Untersuchungen, dass er sich noch mit seiner Größe schwer tut. Er wird auch oft daran erinnert. So sei er in der Fahrschule gefragt worden, ob er nicht einen Kindersitz benötigt. Auch habe es ihn belastet, dass er dadurch nicht so viel Kraft hat. So habe er schon mal beim Armdrücken gegen ein Mädchen verloren und er hätte gerne mehr bei den Pfadfindern getragen. Der Gutachter könne sich aber vorstellen, dass sich das durch die beachtliche Gewichtszunahme in Haft geändert hat. Grundsätzlich gehe aber der Angeklagte fatalistisch damit um, man müsse damit zurechtkommen was man hat. Diesen Fatalismus hat er sich auch für generelle Soziale Enttäuschungen angeeignet.
Doktor Huppert sprach auch nochmal das Verhältnis zur Tat an. Der Angeklagte leugnete die Tat stets, aber eher nur wenn man ihn darauf anspricht.
Dabei fragte der Arzt auch, was wäre wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass die Tat von ihm begangen wurde. Sebastian sagt, er denkt hierbei in erster Linie an seine Familie. Er weiß nicht, wie sie in diesem Kosmos in Aschau noch weiterleben können. Hierbei kämpfte der sonst wieder ruhig zuhörende Angeklagte stark mit den Tränen.
Rainer Huppert kam nun zur Diagnosestellung.
Er führte allgemein aus, dass es sich mit der Psychiatrie anders, als in Anderen Medizinischen Bereich verhalte. Er nahm als Beispiel den Blutzucker. Da gibt es konkrete Werte, wann dieser zu hoch ist und Diabetes vorliegt. Bei seelischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen ist das nicht so offensichtlich abzugrenzen. Er erzählt weiter, dass es in den letzten Jahren modern geworden ist, die Ursachen für Störungen in der Kindheit und einer fehlgeleiteten Erziehung und schlimmen Erlebnissen zu sehen. Es sei aber viel mehr ein Zusammenspiel zwischen Erlebnissen, eigenen Fähigkeiten im Umgang damit und weiteren inneren, sowie äußeren Einflüssen. So hat man herausgefunden, dass bei schlimmen Erlebnissen wie Krieg und Vergewaltigungen ca. 50 Prozent Traumata davontragen.
Der Gutachter sieht beim Angeklagten eine Symptomatik von ADHS. Dies kann auch nur ein gewisser Rest sein, der sich bis ins dritte Lebensjahrzehnt hinein äußert. So erinnert er an die Zeugen, die den Angeklagten im Kindergarten als Außenseiter erlebten, das sei für ihn logisch, da Leute mit diesem Defizit schwierige Spielpartner sind. Auch ist es wahrscheinlich für die Ausbrüche verantwortlich, die der Mann von der Bergwacht schilderte. Anscheinend ist es aber dem Angeklagten schon gelungen gewisse Kompensationsstrategien zu finden. So folgt er der Verhandlung auch mittlerweile sehr aufmerksam und rutscht nicht auf dem Stuhl rum und gähnt nicht viel. Nicht wenige Leute mit ADHS, gerade unbehandelt, neigen später zu Straftaten und intensiven Alkohol- und Drogenkonsum. Der Angeklagte ist aber nicht vorbestraft den Alkoholkonsum würde er noch als Alterstypisch einstufen.
Auch erkennt er an der Biografie multiple Entwicklungsstörungen, die sich aber nicht zu einer Persönlichkeitsstörung ausgeweitet haben. Generell sieht er beim Angeklagten keinen Hinweis auf eine Psychotische Erkrankung, Persönlichkeitsstörung, Alkoholismus und auch nicht auf eine andere Seelische Abartigkeit. Reifeverzögerungen bejaht auch er aufgrund der schon oft genannten Lebensumstände, die Reife im psychosozialen Bereich. Weiter hat der minderjährige Zeuge Max K. ausgesagt er konnte keine Reifeunterschiede zwischen Sebastian und ihm selbst erkennen. Auch verweist er auf den Mithäftling G. der eine Weiterentwicklung beim Angeklagten erkennen konnte. Jedoch sagt er auch, dass Sebastian im Oktober bereits 20,10 Jahre alt war und in zwei Monaten keine besondere Entwicklung zu erwarten ist.
Doktor Huppert erklärt, dass er in seinem Gutachten schrieb, wenn die Kammer zu dem Schluss kommt, dass der Angeklagte der Täter ist. Er es möglicherweise aus Narzisstischer Kränkung gemacht haben könnte. Hierbei hätte er sich aber ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt, da man einfach zu wenig weiß, was nun eigentlich passiert ist.
Nach einer kurzen Pause, ging es in die Fragerunde.
Die Vorsitzende wollte wissen, ob der Gutachter gemerkt hat, dass ihn das Gespräch über diese Janina und das Frauenthema belastet hat. Dr. Huppert erklärt, dass ihm bei Sebastian vegetative Resonanz wie erröten aufgefallen ist, aber er nicht dachte, dass es sich so zuspitzt. Er war überrascht als er davon erfahren hat. Das Gespräch worauf die Hand folgte war wohl am 20.1, das nächste am 16.2. Sebastian erklärte, dass er sich so über sich selbst geärgert hat. Diese Formulierung hört man bei jungen Leuten öfter. Gemeint sei, dass man vllt was unterlassen hat zu sagen, so dass der Kontakt abbricht. Generell sieht er es aber als Motivbündel, da es auch einen Todesfall in der Familie gegeben hat.
Es wurde dann diskutiert wann ein Großelternteil des Angeklagten genau gestorben ist. Das wird nun nochmal recherchiert. Die Beisitzerin meint, sie haben ein Datum für eine Beerdigung in den Akten, die wohl im Februar war, aber das müsse ha nicht heißen, dass die Person erst einen Tag zuvor gestorben ist. Der Angeklagte hat wohl dafür eine Ausführung bekommen. Das finde ich nicht schlecht. Bisher hat man immer nur gehört, dass die Leute in U-Haft nicht zu Beerdigungen der engsten Angehörigen ausgeführt wurden. Dr. Huppert meint, am Tag der Untersuchung und auch am Tag davor sei keiner gestorben.
Der Beisitzer fragt, ob ihm der Angeklagte von Stress über die Vernehmungen berichtet habe. Der Gutachter bejahte das erst. Der Beisitzer hält vor, dass in seinem Gutachten steht, dass der Angeklagte es nicht komisch findet verhört geworden zu sein. Er findet gut, dass in diesem Fall ermittelt wird, wie die Tat sich zugetragen haben könnte, wisse er nicht. Der Sachverständige meint, dann wird das stimmen und er hat das vllt mit einer anderen Aussage kontaminiert.
RA Rick fragt, was Doktor Huppert meinte, als er sagte, er habe sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Der Arzt erklärt nochmal, dass er damals vermutete, wenn jemand der nicht zu Aggression neigt, so eine Gewalttat begeht, es sein könne, dass er damit sein beschädigtes Selbstbewusstsein wiederherstellen wollte. Aufgrund der jetzigen Lage und den mangelnden Erkenntnissen über einen genauen Ablauf, sei seine Formulierung zu „salopp“ gewesen.
Frau Rick fragte, ob er den Pornokonsum des Angeklagten eher qualitativ oder Quantitativ als überdurchschnittlich sehen würde und ob er alle Videos kennt. Er meint, er kennt nur das Video aus dem Saal und manche Titel. Grundsätzlich beinhalte das Video mit dem ekelhaften Titel auch einen ekelhaften Inhalt. Die Wissenschaftler seien sich aber nicht einig, ob die Qualität oder die Quantität entscheiden sind. So könne nach einer Studie auch jemand der täglich mal reinguckt weniger süchtig sein, als jemand der einmal in der Woche schaut.
Nun hatte die Vorsitzende nochmal eine Frage. Man sieht wie in dem Video jemand bis zum vermeintlichen Versterben stranguliert wird und dann sexuelle Handlungen ausgeführt werden. Generell sei das Video ein „Spiel mit dem Tod.“ Ob der Sachverständige dort nekrophile Neigungen erkennen könnte. Da dachte ich mir, bei allem Respekt, jetzt wird es schon ein bisschen wild. Das ist eine der schwersten Abartigkeiten und wegen einem Video das bei einem nicht bisher auffällig gewordenen Heranwachsenden für möglich zu halten. Was soll der Sachverständige auch da sagen? Verneint vor 5 min jede seelische Abartigkeit und sagt dann, Ja, Nekrophilie ist gut möglich?
Dr Huppert meint, dieses gewalttätige Strangulieren gleicht einem Ritual, wie es bei Descartes zu finden sei. Es gehe um die totale Unterwerfung und Einvernahme. Diese stehe im Mittelpunkt. Man sehe keine „rauschhafte Sexualität“ sondern der Akt sei was „mechanisches“ wie ein Zubehör. Nekrophilie Neigungen sehe er aber nicht dadurch.
Zum Schluss der Bericht der Jugendgerichtshilfe.
Die Mitarbeiterin unterhielt sich auch mit Sebastian über seinen Schulischen Werdegang. So besuchte er bis zur 3. Klasse die Grundschule, danach wurde er auf die Förderschule in Prien zurückgestuft, wo er das Schuljahr neu beginnen musste. Ab der 5. Klasse sei es sein eigener Wunsch gewesen, auf das Schloss Niederfels zu wechseln. Dies sei wohl keine Förderschule, aber eine private Schule mit kleinen Klassen für verschieden Bedarf an Förderung. Hier machte Sebastian auch den Quali mit einem Schnitt von 2,8. Danach wollte er gerne eine Ausbildung in einer KFZ-Werkstatt machen, das hat jedoch nicht geklappt. So kam er über private Vermittlung in die Firma nach Rosenheim. Er sei nun im dritten Lehrjahr und hätte die Zwischenprüfung erfolgreich in der JVA absolviert und legt dort generell viel Wert sich um seine Ausbildung zu kümmern. Ein Lehrjahr wiederholte er aufgrund von Homeschooling während Corona, da die Internetverbindung im Haus der Eltern nicht ausreichend war.
Sie sollte ihre Einschätzung abgegeben, ob Jugend-oder Erwachsenenstrafrecht angewandt werden soll. Es gibt zwei Kriterien. Liegen Reifeverzögerungen vor? Ist die Tat jugendtypisch?
Reifeverzögerungen wurden bejaht. Ob die Tat jugendtypisch war, könne sie nicht sagen, da man zu wenig weiß.
Das habe ich auch selten erlebt. Dass das sowohl Psychiater, als auch Jugendgerichtshilfe sagen, sie können zur Tat nichts sagen. Normalerweise sind die natürlich schon vorsichtig, wie sie formulieren und dass sie keine Beweiswürdigung vornehmen. Aber normalerweise machen sie eben das „Phantasiespiel“ mit der Anklageschrift. Da steht ja ein Szenario drin, aber das scheint nicht mehr so Beachtung zu finden.
Das war’s erstmal für dieses Kalenderjahr.