Grillage schrieb:Wenn man die PinkHuge-Flasche als geplant mitgebrachtes Tatwerkzeug ansieht, fällt halt die Version, dass das Kind aus versehen unter Unachtsamkeit des Vaters ertrunken ist und er sich spontan entschlossen hat, das zur Gesichtswahrung durch einen fingierten Überfall zu vertuschen, weg. Dann bleiben ja nur Mord durch aktives Tun oder Mord durch passives Geschehenlassen. Reicht das denn dann nicht als mögliche Tathandlungen, wenn es eins vom beiden gewesen sein muss?
Ich fange mal mit dem zweiten Punkt an.
Nein. Bei Hugo handelt es sich nicht um ein Tatwerkzeug im umgangssprachlichen Sinne, denn niemand behauptet, das Kind sei mit der Flasche getötet usw. worden. Aber es kann ein Tatmittel im grösseren Zusammenhang sein. Allerdings wird so einfach kein zwingender Tatbestand aus dem allem:
Ist bewiesen, dass der Angeklagte die Flasche a) "absichtlich" oder "geplant" mitgebracht hat? und b) weil sie zu einem vorgefassten Mordplan gehört?
Er behauptet, weder noch. Aber selbst wenn man nachweisen kann, dass die Flasche von ihm absichtlich in den buggy gelegt wurde, bedeutet das noch lange nicht, dass damit bereits der Ohnmachtsvertuschungsplan stand, und der wiederum beweist noch keinen Mord. (siehe unten)
Es kann sein, dass er die Flasche aus ganz harmlosen Gründen in den buggy legte, und erst am Flussufer sich entschied, diese in der fingierten Überfall-Szene einzusetzen, weil sie nun mal griffbereit da war. Dann ist das Vorhandensein der Flasche noch kein Beweis für einen Mordvorsatz und -plan.
Aus welchem Grund aber die Flasche in den buggy gelangte, ist bisher nicht bewiesen.
Grillage schrieb:Den Vorsatz würde ich eben durch das mitbringen der angeblichen Tatwaffe belegt sehen. Das deutet auf einen konkreten und sogar recht komplexen Plan hin. Er hat nicht eben nicht nur eine Hilfsmittel mitgebracht, um das Kind zu töten (dazu brauchte er kein Hilfssmittel, weil das Kind klein, leicht, dadurch tragbar war und sozugagen der Fluss mit Hochwasse als Tatwaffe genutzt wurde), sondern sogar ein Hilfsmittel zur Verschleierung der Tat.
Wie konkret muss man denn nachweisen, wie die Tathandlung war? Unstrittig ist, dass Leon unter Aufsicht des Vaters in den Fluss gelangt ist und dadurch gestorben ist. Ist es dann noch wichtig zu sagen, ob er ihn nun reingetragen/geworfen hat oder ihn nur nah ans Wasser gesetzt hat und billigend gewartet hat, dass er selber reingeht und dann auch keine Hilfe geholt hat.
Nun zu diesem Punkt.
Man muss zweierlei nachweisen:
-eine Tathandlung, das bedeutet einen willentlichen Akt, der auch ein Unterlassen sein kann. Also der TV muss gewollt haben, den Jungen hochzuheben und in den Fluss zu werfen. Oder er muss gewollt haben,untätig dabei zuzuschauen. wie der Junge selbst in den Fluss krabbelt. Usw.
-den Vorsatz, also den Willen, dass dadurch der Tod des Jungen erfolgt, oder das billigend in Kauf zu nehmen
Wenn wir keine willentliche Handlung haben, dann haben wir auch keine Tat. Genauso mit dem Vorsatz.
Wenn man beweisen kann, dass versucht wurde, die Tat, also eines der beiden Elemente zu vertuschen, kann das ein Indiz dafür sein, dass die beiden Elemente vorhanden sind, aber es ist nicht gleich ein Beweis:
Beispiel: 1. Szenario
Irgendwann hat der TV den Entschluss gefasst, den Jungen zu töten, ob direkt oder durch Unterlassen einer Hilfe. Er will, dass am Ende der Junge tot ist. Dieser Entschluss kann Stunden und Tage oder auch nur Sekunden vor der Tathandlung gefasst worden sein. Dann haben wir Vorsatz. Nehmen wir an, der TV hebt den Jungen hoch und wirft ihn in den Fluss in der Erwartung, dass dieser dort ertrinkt. Dann haben wir die willentliche Tathandlung. Wir haben die Elemente für einen Mordvorwurf.
Dann entschliesst er sich die Sache durch einen fingierten Überfall zu vertuschen. Er erinnert sich an die Flasche im Buggy. Usw. Es kann also durchaus sein, dass dieser konkrete Vertuschungsplan erst sehr kurz vor, während oder gar erst kurz nach der Tat entstand. Das bedeutet, allein aus dem Mitführen der Flasche kann ich noch nicht auf die anderen Dinge schliessen. Die Flasche ist lediglich ein Indiz.
Nun aber Szenario 2:
Der TV hat zu keinem Moment je daran gedacht und schon gar nicht gewollt, den Jungen zu töten. An diesem Abend ist er aus den bekannten Gründen am Fluss unterwegs und selbst todmüde. Er setzt sich auf eine Bank am Ufer und schläft ein. Der Junge ist nicht angeschnallt im buggy und das Geräusch des hochwasserführenden Flusses zieht ihn an, er geht/krabbelt wie auch immer zum Ufer, fällt hinein und ertrinkt.
Der TV wacht auf und stellt fest, was geschehen ist. Er macht sich sofort Vorwürfe, dass er eingeschlafen ist und dass er den Jungen nicht angeschnallt hatte. Er hat Angst, dass er nicht nur eventuell strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnte, sondern dass ihm auch zumindest moralisch die Schuld vorgeworfen werden wird, von Ehefrau, Familie, Nachbarn, Unterstützerkreis usw. Er mahlt sich aus, dass das seine Ehe, seine Existenz, einfach alles zerstören wird. Da kommt ihm die Idee, einen Überfall zu fingieren: Der hoodieman war's. Passend dazu hat er eine Hugoflasche im buggy. Auf geht's.
(Hier gibt es sicherlich noch weitere, im Endeffekt ähnliche Szenarien)
So, nehmen wir an, all das kommt heraus. Mit welchen Straftaten haben wir es zu tun?
1) Vortäuschung einer Straftat nach § 298 StGB - Strafmass maximal 6 Monate Haft
2) Eventuell (!!) eine fahrlässige Tötung nach § 80 StGB - Strafmass maximal ein Jahr Haft
3) Relativ unwahrscheinlich schon anstatt 2) eine "grob fahrlässige Tötung" nach § 81 StGB - Strafmass maximal 3 Jahre
Der entscheidende Unterschied zwischen einer fahrlässigen oder grob fahrlässigen KV und dem Mord ist der Vorsatz. Fahrlässig bedeutet, der Täter hätte sich des Risikos bewusst sein müssen, und dementsprechend sein Verhalten dem Risiko anpassen müssen, dass es einen Tod verursacht, hat das aber nicht getan. Grob fahrlässig handelt, wer hätte erkennen müssen, dass der Schaden sogar sehr wahrscheinlich eintritt, aber sein Verhalten dem nicht anpasst. In beiden Fällen "will" der Täter den Taterfolg, hier den Tod, eben gerade nicht. Er "billigt" ihn auch nicht, er ist nur einfach sehr unvorsichtig.
So, an dem Punkt angekommen sieht man also, dass es immer noch entscheidend ist, den Vorsatz und die Tathandlung zu beweisen, um eine Verurteilung wegen Mordes zu erreichen. Die Hugoflasche, oder die gesamte Vertuschung allein beweisen meiner Meinung hier noch nicht, dass diese beiden Voraussetzungen vorgelegen haben.
Man könnte jetzt noch sagen: ja wenn das alles so war wie in Szenario 2, dann sollte er das doch sagen! Der Einwurf ist nicht einmal unberechtigt, obwohl natürlich allen klar ist, dass ein Angeklagter nichts sagen muss. Nur, eventuell geht es hier eben nicht nur um die strafrechtlichen Konsequenzen, sondern für diesen Angeklagten um viel mehr, wie oben dargelegt.
Wer genau aufgepasst hat, wird natürlich bemerkt haben, dass in meiner Darstellung die Fingierung als bewiesen angenommen wird. Dem muss freilich nicht so sein, das entscheiden erst die Geschworenen.