Verschwinden und Tod von Gabby Petito
05.10.2021 um 01:37Blutgräfin schrieb:Ganz richtig, Ockham's Razor.Ich hatte das schon mal erwähnt, aber ich denke, der Fehler den wir hier oft machen ist, dass wir in Kenntnis des Endpunktes (GP=tot) alle vorherigen uns bekannten Handlungen der Beteiligten als einen einzigen kausal verknüpften Handlungsstrang vorstellen (was er nicht ist!), und dabei verschiedenen kognitiven Bias erliegen.
Allerdings übersiehst du dabei, dass eine Person hinterher tot und die andere auf der Flucht ist.
Und Beziehungstaten fallen nun mal selten aus einem Himmel voller Geigen, sie haben üblicherweise eine Vorgeschichte, die meist erahnen lässt, wer am Ende tot sein könnte und wer nicht.
Denn wir wollen doch nicht vergessen, dass es hier um eindeutig festgestellte Fremdeinwirkung bei einem Todesfall geht. Eindeutig festgestellt trotz wochenlanger Liegezeit des Leichnams, Elementen und Tieren ausgesetzt. Es kann sich also demzufolge um keine Verletzungen handeln, die ebenso von einem Unfall herrühren könnten, dann wäre die Ursache nämlich als unklar deklariert worden.
Viele der Dinge, die wir aus dem Leben und insbesondere dem Trip von BL und GP kennen, haben aber sehr wahrscheinlich überhaupt nichts mit dem Endpunkt zu tun. Die Geschehnisse, Handlungen und Umstände, die wir kennen, sind zufälliges, fragmentarisches Wissen, und viele Details und ganze Handlungsabschnitte kennen wir gar nicht.
Da wir trotzdem die Gründe (und den Sinn) für den Endpunkt wissen wollen, sind wir anfällig dafür, alle uns bekannten Handlungen und Fakten oftmals aus einem Blickwinkel, der unserer voreingenommenen Sichtweise in Kenntnis des Endpunktes entspricht, zu interpretieren. Anders gesagt: wir bewerten alle uns bekannten Handlungen und Geschehnisse in dem Fall unter dem Blickwinkel "wie ist diese Handlung/Geschehnis mit dem Tod von GP verknüpft".
Dies führt dann dazu, dass diejenigen, die von BL's Schuld am Tod von GP ausgehen, jedes vorangegangen bekannten Geschehen so interpretieren, daß in diesem Geschehen BL's Tätereigenschaft schon sichtbar sein muss (und umgekehrt - aber es gibt ja eigentlich niemanden, der nicht von einer Beteiligung von BL ausgeht). BL's Verhalten im vorangegangenen Geschehen wird dann als negativ interpretiert. Im nächsten Schritt wird dann wiederum diese negative Bewertung von BL's vorangegangenem Verhalten als Bestätigung der eigenen Anfangshypothese ("BL ist schuldig") gesehen, da er in seiner Vergangenheit ja nun scheinbar schon negatives Verhalten gezeigt hat.
Diese Art von Denken führt zu mehreren kognitiven Bias (hier in der Diskussion zu beobachten u.A. Confirmation Bias, Belief Bias, illusorische Korrelation, Halo-Effekt, siehe Wikipedia: Liste kognitiver Verzerrungen) und ist daher analytisch nicht sauber, aber weit verbreitet (siehe z.B. diese interessante Meta-Studie: "Cognitive Biases in Criminal Case Evaluation: A Review of the Research" https://link.springer.com/article/10.1007/s11896-020-09425-8).
Lange Rede kurzer Sinn: es ist besser, jede uns bekannte Handlungen und Geschehnisse in einem Fall zuerst einzeln und ohne a priori angenommene Korrelation zu analysieren, und erst zuletzt auf Grundlage dieser Einzelanalysen Schlüsse zu ziehen, und nicht andersherum.