Andante schrieb:Weshalb dann ja eine mögliche Anklage auch nicht auf Mord (für den man subjektive Mordmerkmale, folglich so etwas wie ein "Motiv" brauchen würde) lauten könnte, sondern auf Totschlag.
Das ja sowieso. Denn ich kann mich nicht erinnern, dass die Staatsanwaltschaft je zertifiziert durch O-Ton oder durch eine hauseigene Mitteilung erklärt hat, dass das Ermitllungsverfahren nunmehr nicht mehr als Totschlag nach § 212 StGB, sondern als Mord nach § 211 StGB geführt wird. Dass es solche Pressemitteilungen zwischendurch mal als Tagesfliegen gegeben hat, weiß ich - reicht mir aber als Quelle für die Annahme eines solch gewaltigen Paradigmenwechsels nicht aus.
(Es sei sicherheitshalber doch noch angemerkt, dass auch der Mordparagraph des § 211StGB bekanntlich auf sehr verschiedenen Mordmerkmalen beruhen kann, die sich nur zum Teil auf das Motiv oder die Beweggründe der Tat beziehen.)
Also es geht mir hier "nur" um den Totschlagsverdacht, und bei 212 StGB ist nicht die Feststellung eines Motivs "notwendig", da hast Du Recht - nicht
notwendig.
Aber : Wenn man einen Indizienprozeß wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts ohne eine Leiche oder gerichtsmedizinisch identifizierte Leichenteile führen muß, somit "normalerweise" vorhandene Beweise nicht vorweisen kann, ist das für die EB gewissermassen ein gravierendes Dilemma im Beweisgebäude.
Dieser Nachteil kann zwar entweder durch so gewichtige, insbesondere naturwissenschaftliche Indizien, die so stark sind, dass sie fast äquivalent sind zu einer Leiche als Beweismittel, wieder weitgehend wettgemacht werden. Z.B. die hier schon erörterten mögichen körperlichen Ausscheidungen bei oder vor dem Todeseintritt oder auch Mikrobestandteile überlebenswichtiger Organe
Beides haben die EB aber nicht gefunden ! Sie können auch nicht auf Tatzeugen zurückgreifen.
Das erörterte Ausschlußverfahren ist zwar bei korrekter Anwendung -wie es schiefgehen kann zeigt die Revisionsentscheidung im Falle des LG Bonn- weiterhin nach Auffassung des BGH auch geeignet, Lücken die in der Beweisführung zu Tat und Täter gegeben sind, gewissermaßen zu kompensieren.
Aber ich bin der Auffassung, dass das aus rechtsstaatlicher Sicht auch nicht überdehnt werden darf. Ich glaube das wurde heute auch schon mal angesprochen.
Wenn - zu allem was ohnehin zu Tatablauf und Verdächtigem ohnehin schon bisher entweder gar nicht oder nur sehr vage feststellbar ist - auch noch dazu käme "aus unbekannt gebliebenen Beweggründen", so könnte das für die kompensatorische Beweisführung im Ausschlußverfahren m. E. irgendwann auch den Bogen überspannen.
Sonst endet man am Ende überspitzt formuliert bei der Inschrift auf der Gedenksäule für Kaspar Hauser:
Was wir über ihn wissen, steht auf einer Gedenksäule im Hofgarten zu Ansbach:
"Hic occultus occulto occisus est"
Hier ist ein Geheimnisvoller auf geheimnisvolle Art ermordet worden.
Quelle :
https://www.welt.de/kultur/history/article11072984/Das-schaurige-Geheimnis-des-Kaspar-Hauser.html