Sector7 schrieb:Die Jura-Literatur ist voll von Fachbeiträgen, welche die Aussagen der StA Berlin teilen und als herrschende Auffassung darlegen. Als Beispiel ein Gerichtsurteil:
Dringender Tatverdacht besteht, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit die hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat und deshalb verurteilt werden wird. Bei der Prüfung des dringenden Tatverdachts muss der Richter in einer Prognosefeststellung zu dem Ergebnis gelangen, dass die Verurteilung des Täters wahrscheinlich ist. Nicht ausreichend ist, dass nur die Möglichkeit der Überführung und Verurteilung des Täters besteht (HK-StPO-Posthoff, 5. Aufl., § 112 Rdnr. 4 u. 5 m. w. N.).
3 Ws 229 u. 230/15 OLG Hamm
Ja das Urteil bezieht sich auf das hier (via Google Books kann man den relevanten Teil finden):
Strafprozessordnung 5. Auflage - Gercke/Julius/Temming/Zöller (Hrsg.)
Also "voll von Beiträgen" kann ich weiterhin nicht nachvollziehen, aber ja ich sehe es gibt zu diesem Punkt offensichtlich parallel existierende Auffassungen.
Insofern ist davon auszugehen, dass die StA derselben Auffassung folgt wie in diesem Urteil, was also einer verbreiteten Auffassung entspricht. Da war ich leider zu blöd zum googeln. Welcher Auffassung die Haftrichter folgen ist dann immer noch unklar. Möglich ist natürlich, dass beide ebenfalls diese Richtung vertreten. Ich hatte in der Diskussion u.a. mit
@pensionär und
@Kirsten vor einiger Zeit mal den Eindruck, dass sich die herrschende Meinung irgendwann mal geändert haben könnte, kann das aber nicht wirklich untermauern.
Zu meiner Ehrenrettung (hatte ich schon erwähnt wie spannend Jura-Lektüre ist?) ein paar Beispiele für die andere Auffassung, die ich auch nach nochmaliger Extremsuche deutlich häufiger finde.
Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht (Randnummer 210)
Selber Wortlaut hier: Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung
Da die Verhängung der Untersuchungshaft uU schon in einem sehr frühen Stadium des Strafverfahrens in Betracht kommt und such zu diesem Zeitpunkt der spätere Verfahrensablauf noch nicht verlsslich abschätzen lässt, kann nicht auf die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung abgestellt werden.
[...]
Ebenfalls via Google Books auffindbar
Seltsam ist dass dort bzgl. der Definition des dringenden Tatverdachts ebenfalls "Posthoff, 5. Aufl., § 112 Rdnr. 4" referenziert wird, genau wie im Urteil von
@Sector7 (s.o.)
Es gibt wirklich massenhaft Quellen und einige Urteile, die den dringenden Tatverdacht nur über die Täterwahrscheinlichkeit definieren. Besonders interessant sind noch diese:
2019 Peggy K.
https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/landgericht/bayreuth/presse/2019/2.php2019 Rebecca R.
https://www.anwalt.de/rechtstipps/warum-ist-der-schwager-von-rebecca-reusch-wieder-frei-u-haft-und-tatverdacht_153893.htmlHier wird die Notwendigkeit eine Prognose ausdrücklich veneint:
Nicht erforderlich ist hingegen, dass auch eine Verurteilung wahrscheinlich ist.
2019:
Vorlesung: Strafrecht IV (Strafprozessrecht) Einheit 8: Strafprozessuale Zwangseingriffe (Teil 3) 2018:
OLG München, Beschluss v. 19.01.2018 – 1 Ws 20/18
https://gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-2178?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1Ein dringender Tatverdacht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer nach deutschem Strafrecht zu beurteilenden Straftat ist. Hierbei muss der dringende Tatverdacht aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden