Rick_Blaine schrieb:Wir haben sowieso nach der Meinung vieler Kollegen und auch meiner Meinung nach eine Rechtsprechung, die sich viel zu häufig auf Gutachter verlässt und den eigenen gesunden Menschenverstand immer weniger bemüht. Ich glaube nicht, dass der BGH dem noch einen Vorschub gewähren würde, indem er in diesen konkreten Fragen hier auch noch ein Gutachten fordern würde - aber das ist nur meine persönliche Meinung.
Du sprichst da einen sehr wichtigen Punkt an, ja, Du hast vollkommen Recht, Gerichte verlassen sich viel zu sehr auf IHRE Gutachter, auf Gutachter, welche Sie oder die StA bestimmt hatten.
Aber man darf von einem „Extrem“ nicht in das andere fallen. Beides, also der gesunde Menschenverstand als auch Gutachten sind wichtig.
Wenn Gerichte in bestimmten Fragen einfach keine Expertise haben und diese entscheidungsrelevant ist, dann kann man auf diese auch keinesfalls verzichten. Daher kann der gesunde Menschenverstand keine Gutachten ersetzen.
Manchmal Überschätzen sich auch Gerichte, weil sie die Problematiken eines bestimmten Vorgangs nicht erkennen. Ob das hier bei dem Transport wirklich der Fall war mag jetzt mal dahin gestellt sein, ich persönlich glaube nicht, dass so der Transport überhaupt so wie das Gericht meint möglich war. Auch dürfte es auch für ein Gericht schwer sein, einen Angeklagten wirklich von seiner körperlichen Leistungskraft einzuschätzen, die Größe und das Gewicht allein sind da wenig relevant, wenn man mal Umzugsleute zusieht, da wundert man sich, was die für Lasten heben können, obgleich sie drahtig und schmächtig wirken. Es kommt daher nicht unbedingt auf Gewicht und Größe an. Klar, es gibt auch „Schränke“ dabei. Hier wird immer behauptet, dass die Arbeit eines Hausmeisters eine besondere körperliche Kondition notwendig ist. Wenn ich aber hier wo ich wohne die Arbeiten des Hausmeisterehepaares sehe, da ist nicht wirklich schwere körperliche Arbeit dabei, da gibt es ganz andere Berufe. Meistens wird auf dem Rasenmäher gesessen und damit das Gras gemäht und im Herbst das Laub damit aufgesaugt. Gartenarbeiten ja, aber die sind auch nicht wirklich körperlich anstrengen, das hat mein Großvater noch mit 90 Jahren in seinem großen Garten ausführen können und er hatte keinen Aufsitzrasenmäher, sondern ein ganz normalen mit 45cm Schnittbreite, den er vor sich hin schieben musste bei einem Hanggrundstück. Im Winter muss Schnee geschippt werden, meist auch mit maschineller Unterstützung. M.E. wird zumindest hier im Forum die notwendige körperliche Kondition eines Hausmeisters vollkommen überschätzt. Besser können das dann schon Gutachter abschätzen, auch wenn er etwas mehr kostet – wenn es darauf ankommt. Denn ein Fehlurteil in Tötungsdelikten kann man nicht mit allem Geld der Welt ungeschehen machen und nicht zu vergessen, Deutschland verhält sich gegenüber Justizopfern extremst schäbig.
Trotzdem gebe ich Dir Recht, es wäre sinnvoll, wirklich den gesunden Menschenverstand einzusetzen, wobei man natürlich aufpassen muss, der „gesunde Menschenverstand“ wird vielfach missbraucht, weil die eigene Ansicht immer den „gesunden Menschverstand“ darstellt. Ich würde das lieber durch eine bessere Beschreibung ersetzen: Der Sache so gut wie möglich auf den Grund gehen und nicht zu früh ein Urteil fällen, denn andernfalls wird „gesunder Menschenverstand“ leicht zum Bauchgefühl. Trotzdem der Einfachheit halber nenne ich das hier weiter: „Gesunder Menschenverstand“.
Und in diesem Fall wäre es besser gewesen, dass man wirklich mehr auf diesen gesunden Menschenverstand (dieser obigen Definition) gehört hätte.
Natürlich können auch nicht nur Richter sondern auch Gutachter ihre Expertise überschätzen, die Schwierigkeit unterschätzen, nicht sämtliche Möglichkeiten erkennen. Erkennen können das natürlich auch nicht die Richter, weil sie noch eine weitaus geringere Expertise besitzen als die Gutachter, das ist ein Problem. Trotzdem, es gibt in solchen Verfahren nicht einfach nur eine einzige Spur (Lage der Toten in der Badewanne) sondern eine Reihe anderer. Und mit diesen hätte das Gericht durchaus die Gutachten überprüfen können. So gab es DNA-Spuren, nur ein kleines Zeitfenster, ein Alibi etc.. Nun der Reihe nach.
Es gab DNA-Spuren, die genau zu einem Unfall passten. Es gab Gutachten der Verteidigung, welche einen Unfall für mindestens möglich hielt. Sie hatte sogar ein Stuntversuch anzubieten. Dieser Stuntversuch ist sogar sehr ähnlich mit dem Ergebnis der Simulation. Ja, hätte man damals den gesunden Menschenverstand wirklich eingesetzt, hätte man damals G eher freisprechen müssen, das erfolgte jedoch nicht.
Das Gericht hatte dann alles mögliche am Stuntversuch auszusetzen, hatte aber dabei übersehen, dass zumindest das Gutachten von Keil genauso auf einem Selbstversuch aufbaute und sicher die Dinge, welche sie am Gutachten der Verteidigung bemängelte, in Wirklichkeit auch für die Selbstversuche von Keil ebenfalls zutrafen.
Als der Physik nahestehender Mensch bekomme ich bei den Ablehnungsgründen bzgl. des Stuntversuchs das kalte Grausen. Aus den meisten Experimenten kann man Schlüsse ziehen, auch wenn sie nicht 100%ig die Realität wiederspiegeln. Das ist in der Physik sogar bei den meisten Experimenten so, man muss vereinfachen etc. um zu Erkenntnissen zu kommen. Man betrachtet nur Teilsysteme, etc.. Nur durch die Fähigkeit des Menschen aus diesen Teilabschnitten weiter zu denken, war die Entwicklung möglich, die wir heute haben. Mit diesem Klein-Klein des Gerichts hätten wir wahrscheinlich schon das Feuer uns nicht nutzbar machen können. Ich bin der Ansicht, dass genau an dieser Stelle sowieso das Verfahren nicht fair war, wie gesagt, das Gericht hätte mindestens das Keil-Gutachten nicht mehr nutzen dürfen. Aber das ist für mich fast egal, für mich ist allein die Methodik des Gerichts geradezu absurd. Mir ist klar, Richter sind Juristen und die haben selten wirklich Vorlieben zur Physik gehabt, die zwei Klassenkameraden, welche diesen Beruf ergriffen hatten, waren darin in keiner Weise Leuchten. Man muss daher Nachsicht mit dem Gericht haben.
Und wenn man dieses Drehen des Oberkörpers in die Wanne betrachten hätte man schon damals erkennen können, dass ein größeren Radius es durchaus zu Hämatomen hätte kommen können, wenn man etwas weiter gedacht hätte. Dieser geringere Radius wird in dem Stuntversuch dadurch zu klären sein, dass das Opfer sich mit der linken Hand am Wannenrand abgestützt hatte. Aber es gab DNA-Spuren am Griff und an den Armatur. Wenn diese beim kurz vor dem Unfall drauf gekommen war, dann hat sich das Opfer mit der rechten Hand am Griff festgehalten und mit der linken Hand die Armatur bedient. Wenn sie sich dann versucht hätte aufzurichten und sie hätte dann einen Schwächeanfall, dann hätte man einen Fall, wie die Simulation zeigt, keine Abstützung mit der linken Hand am Wannenrand und der Radius den der Oberkörper dann beschreibt ist größer und die Hämatome werden wahrscheinlicher. Sicher, heute weiß man es besser, daher ist das etwas schwierig sich in die damalige Situation zu versetzen.
Trotzdem, die Problematik dieses Falles deckt sich auch mit der Problematik, welche in folgendem Fachartikel sehr genau nachgegangen wird:
https://www.yumpu.com/de/document/view/10578985/die-abhangigkeit-des-richters-vom-sachverstandigenDieser Artikel liefert schon eine recht genaue Erklärung, warum es in diesem Fall höchstwahrscheinlich schief gegangen ist. Richter können nicht wirklich die Gutachten verstehen und greifen dann meist zu dem Ergebnis der Gutachten, welche Sie bzw. meist die StA bestimmt haben. Genau das ist hier zu sehen, das Gericht hat nicht mal erkannt, dass das Gutachten von Keil auf dem gleichen angeblichen „Fehler“ beruhte, wie das der Verteidigung. Man sieht hier, wirkliches Verständnis war hier nicht vorhanden, sonst hätte es das sicher erkannt.
Diese Problematik ist in Wirklichkeit schon länger bekannt (der Artikel ist von 2009) und beruht auf dem damals schon erkennbaren. Es versucht auch neue Lösungsansätze, aber geändert hat sich seitdem nichts.
Was sich als Problem laut diesem Bericht darstellt, sind die Forderungen des BGH, das er an die Begründung des Gerichts stellt, wenn er eine vom Gutachter abweichende Ansicht haben will, dann ist die Anforderungen an die Begründungspflicht sehr hoch. Eigentlich vernünftig, aber da er vielfach kein Verständnis mehr hat in der Realität nur selten möglich. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass man den Weg des geringsten Widerstandes geht, was hier recht gut zutrifft. In diesem Fall hat das Gericht einen Weg gefunden, in dem es mikroskopisch den Stuntversuch angesehen hatte und damit die Gutachten der Verteidigung abgelehnt hat, das war dann sehr einfach zu begründen. Aber wie man heute sieht, eher eine wenig vernünftige Ablehnung, besonders weil es das Keil-Gutachten gleich hätte mitablehnen müssen und es wissenschaftlich gesehen diese Ablehnung wenig vernünftig war.
Aber trotzdem, Gutachten sind unverzichtbar, nur der gesunde Menschenverstand kann die nicht ersetzen. Aber mit Hilfe von gesundem Menschenverstand hätte sich hier das Gericht durchaus fragen können, liegen die Gutachter der Verteidigung vielleicht doch richtig? Ich habe hier DNA-Spuren, welche voll und ganz zu einem Unfall passen. Ich habe nirgends Spuren in der Wohnung bzgl. einer Auseinandersetzung. Das mögliche Zeitfenster der Tat war äußerst klein.
Sicher, der Angeklagte könnte sich wirklich bewusst ein Alibi verschafft haben, das könnte auch der Grund sein, dass das Zeitfenster klein ist.
Aber dann muss man sich dieses Alibi genauestens ansehen und jeden Fehler vermeiden. Leider sind gerade bei dieser Bewertung nicht gerade leichte Logikfehler erfolgt:
Den einen hatten wir ja schon, angeblich soll G nach Ansicht des Gerichts gewusst haben, dass das Opfer tot sei. Weil er ohne Aufforderung Schmuck, Kassenbon etc. rausgegeben habe. Das Gericht war dann bei der Bewertung objektiv willkürlich davon ausgegangen, dass es auf den Stand der Ermittlungen ankäme und nicht das, was G subjektiv annehmen durfte, ein Fehler, der eigentlich nie vorkommen darf. In Wirklichkeit hatte ein Polizist G um den Schlüssel der Wohnung gebeten, weil die Wohnung versiegelt werden muss. Daraus durfte G durchaus schließen, dass ein Verbrechen vorlag.
Dann gibt es den weiteren Punkt, die Sache mit den Binden, auch hier steckt ein schwerer Denkfehler hinter. So hatte das Gericht angenommen, dass der Kauf von G nicht notwendig gewesen sei und meinte dann, dass G nur das eingekauft habe, was er immer für das Opfer eingekauft hat, also quasi den letzten Kauf wiederholt hat. Hier steckt ein schwere Denkfehler hinter, der Schlafzimmerschrank enthielt 12 Packungen Binden. Ein Kauf der Binden wäre schon lange vorher nicht notwendig gewesen, d.h. mit diesem Argument darf man diesen Einkauf nicht als verdächtig ansehen.
Entweder stimmte es nicht, dass für G der Einkauf von Binden normal war, oder Frau K hatte schon immer die Eigenschaft, wenn G für sie einkauft, soll er gleich Binden mitbringen, ein Verdacht kann das nicht begründen. Der Schluss des Gerichts beruht auf einem schweren Denkfehler.
Schaltet man hier den „gesunden Menschenverstand“ ein, dann erklärt sich das auch ohne Denkfehler ganz anders. Der große Vorrat im Schrank zeigt, dass Frau K grundsätzlich dazu neigte, bestimmte Artikel lieber einmal mehr kaufen zu lassen, als mal ohne dazustehen. Das zeigt der große Vorrat im Schlafzimmerschrank. Anders kann man diesen Vorrat kaum erklären.
Wenn man die aktuelle Lage des Opfers mitberücksichtigt, dann ist dieser Einkauf sogar besonders leicht zu erklären. Frau K kam gerade aus dem Krankenhaus. Sie war erschöpft. Dass sie in Wirklichkeit einen Überfluss im Schrank hatte, wird sie die Größe des Vorrats – wie so häufig und erst Recht nach dem mehrtägigen Krankenhausaufenthalt – einfach vergessen haben. Es liegt daher in einer solchen Situation sehr nahe, dass sie selber die Binden mit auf die Einkaufsliste gesetzt,
Dann hätten wir allenfalls noch die Frage zu klären, warum ist G direkt nach Verlassen der Wohnung zum Einkaufen gefahren. Auch das liegt auf der Hand, G war nun mal Hausmeister und der hat nicht ganz selten irgendwo zu helfen, weil es eine Störung o.ä. gibt. Wenn man etwas die Art des Opfers berücksichtigt, dann wäre das Opfer vielleicht nicht gerade begeistert, wenn er am nächsten Tag ohne diese Dinge aufgetaucht wäre. Der Beruf zieht es dann einfach nach sich, dass man dann so einen Einkauf durchführt, wenn man gerade Zeit hat und dann auch so früh wie möglich. Da muss man in Kauf nehmen, dass man evtl. auch zweimal fahren muss. Und genau diese Zeit hatte er an diesem Nachmittag gerade nachdem er das Opfer verlassen hatte, nach dem Einkauf ließ er sich sogar noch die Haare färben, erst danach ging es zum Krankenhaus mit einem Zwischenstopp bei Edeka, da wo er schon vorher einmal war. Aber der Nachmittag hätte in Wirklichkeit ungeplant vollkommen anders ablaufen können.
Wenn man das so interpretiert, dann gibt es nicht wirklich das Geringste, was für ein bewusst beschafftes Alibi spricht, ohne Denkfehler/mit Berücksichtigung des Berufes ist alles schlüssig und auch lebensnah.
Wenn man diese scheinbar auffälligen Dinge wirklich auf den Grund geht (gemäß der obigen Definition des „gesunden Menschenverstandes“) und wirklich den Kontext berücksichtigt, in dem sie stehen kommt man zu einem anderen Ergebnis als das Gericht. Hier hat das Gericht wirklich ausschließlich an der Oberfläche gekratzt und den Kontext einfach außer Acht gelassen und sich viel zu früh eine Meinung gebildet.
Wenn das Gericht nicht nur an der Oberfläche gekratzt hätte, wäre es jetzt nicht mal an der Zeit gewesen und sich nicht hätte fragen müssen, ob das Gutachten der Verteidigung nicht doch das richtige war?
Den gesunden Menschenverstand einzuschalten ist auch dann besonders wichtig, wenn ein Urteil in Wirklichkeit nur eine einzige Säule besitzt. Genau dann besteht eine große Gefahr, dass ein Unschuldiger angeklagt wurde.
Das war hier im Gegensatz zur Sichtweise des LG laut OLG der Fall. Im Gegensatz zum LG sah das OLG hier nur eine einzige tragfähige Säule und wenn diese einbricht, dann ist natürlich das ganze Urteil nicht mehr haltbar (erschüttert). Übrigens das traf genauso für den Aschaffenburger Schlossgartenmord zu. Auch die angebliche Säule war ein einziges Gutachten. Irgendwann (vielleicht durch den gesunden Menschenverstand) erkannte das Gericht, dass daran etwas faul war und hatte anschließend sich die Arbeit gemacht, Zahnschemas zu vergleichen, was nicht viel Wissen erforderte sondern mehr eine Fleißarbeit darstellte. Und siehe da, das von der Gutachterin angeblich nie angelegte Zahn tauchte irgendwann in den Zahnschemen aus, er war irgendwann nach dem Mord gezogen worden. Auch ein Fall, wo man vor Anklageerhebung den gesunden Menschenverstand einsetzen sollte und nicht erst im Gerichtsverfahren.
Mein Fazit:
Wir benötigen beides, den „gesunden Menschenverstand“ (wozu auch die kritische Einschätzung der eigenen Expertise gehört) und Gutachter und auch etwas mehr Bereitschaft dazu, mal den Gutachtern der Verteidigung zu glauben. Und je weniger tragfähige Säulen ein Fall besitzt umso wichtiger wird das, im vorliegenden Fall war es nur einen einzige, weniger geht nicht.