Die mutmaßlichen Taten des Kurt-Werner W.
18.10.2024 um 16:09darkstar69 schrieb:Faktisch ist es aber so, dass bei nicht erfolgenden konkreten Ermittlungen (in Altfällen teilw. seit Jahren oder Jahrzehnten, selbst wenn alle paar Jahre die Akten neu geprüft werden) die Zeit für den Täter läuft und gegen die Opfer. Die Vorgabe, angemessen oder effektiv zu ermitteln läuft dann eben konkret nicht. Wenn Angehörige von Mordopfern erst klagen müssen, sie gegen Wände laufen, dann ist es schwerlich als Opferschutz oder es keinen Konflikt zwischen Täter- und Opferschutz zu erklären. Auch wenn die Gesetzgebung oder Rechtsprechung diesen Konflikt so nicht herstellt, ist er aber faktisch da.Faktisch läuft die Zeit für den Täter, bei Unverjährbarkeit aber unaufhaltsam Richtung Alter, Siechtum und Tod. Faktisch ist es aber auch so - ich habe das schon erwähnt -, dass Opfer bzw. deren Angehörige immer befangen sind. Wie sollte es auch anders sein? Ich habe also auch einen Konflikt zwischen einem auf Objektivität ausgerichteten Verfahren und subjektiven Interessen, auch wenn diese aus Leid und Not bestehen.
Das Recht kann also Opfern nur den Schutz zukommen lassen, der sich mit der Objektivität der Sachverhaltsermittlung vereinbaren lässt. Z.B. mit einem Klageerzwingungsverfahren oder der Rechte als Nebenkläger. Daneben gibt es Opferschutzgesetze, -Beratungen und Vereine wie den "Weißen Ring", die staatlich sehr großzügig unterstützt werden. Und natürlich kollidieren die Interessen (wohl mehr Ausnahme als Regel). Das ist in bestimmten Fällen unvermeidbar. Wird rechtlich kein rechtswidriges Behördenhandeln festgestellt, dann geht es nicht weiter. Siehe die BVerfG-Entscheidung (und ich bin wie die Angehörigen der toten Soldatin der Ansicht, dass da was nicht mit rechten Dingen zugegangen oder jedenfalls dergleichen vertuscht wurde).
Oder nehmen wir den Fall Rebecca R. in Berlin.
SpoilerDa hält die Familie gar nichts von den Ermittlungsergebnissen, die sich gegen ein eigenes Familienmitglied richten. Sie sind quasi doppelte Opfer: Die Tochter und Schwester vermisst. Der Schwager tatverdächtig, die Polizei vom Tod der Vermissten überzeugt. Da die Familie außer der Verteidigung des Beschuldigten nichts machen kann, hat sie Anfangs massiv den Weg über die Medien gesucht und - da sich das eher als kontraproduktiv erwiesen hat - schweigt nun und lehnt jeden Kontakt zu den Ermittlern ab.
Oder Michael Buback, Sohn des von der RAF ermordeten Siegfried Buback (+1977).
SpoilerDa die RAF-Mitglieder immer die Gesamtverantwortung für alle Taten übernahmen, galten sie alle als Mittäter. Es wurden also bei den Terroristenprozessen keine einzelnen Tatbeteiligungen untersucht sondern letztlich nur die Zugehörigkeit zur RAF. So blieb auch unklar, wer konkret die zwei Personen auf dem Motorrad waren, von dem aus Buback mittels Maschinenpistole hingerichtet wurde.
Aufgrund verschiedener Anhaltspunkte kam sein Sohn Michael auf die Idee, es müsse Birgit Hogefeld (Festnahme 1993) gewesen sein. Wie ein Besessener kämpfte er um die Wahrheit und die Bestrafung der Täter. Er trug die Bundesanwaltschaft zum Jagen und die erhob - wohl auch aus Verbundenheit mit ihrem ermordeten Chef und dessen Sohn - Anklage. Das OLG Stuttgart ließ die Anklage auch zu. Michael Buback war Nebenkläger. Und die ganze Anklage erlitt jämmerlich Schiffbruch. GBA und Buback waren den falschen Stories auf dem Leim gegangen, die manche Ex-RAF-Mitglieder zur Mythenbildung oder zur Verwirrung der interessierten Öffentlichkeit zum Besten geben.
Es gab dazu eine Doku. Michael Buback war ein wahnsinnig sympathischer und kluger Mensch. Aber da verrannte er sich total. Er konnte einem leid tun. Denn er wollte nur das Beste: Wahrheit und Gerechtigkeit. Aber er war befangen, ihm fehlte jede Distanz zum Untersuchungsgegenstand.
Oder der Bruder des Entführungsopfers Ursula Herrmann (+1981), der mit guten Gründen an die Unschuld des verurteilten Täters glaubt und (erfolglos) ein Wiederaufnahmeverfahren initiieren wollte.
Oder die Familie des ersten NSU-Mordopfers Simcek (+2000), die verdächtigt wurde, etwas über die vermeintlichen Drogengeschäfte des Vaters zu wissen oder gar daran beteiligt zu sein (die Polizei ahnte damals noch nicht, dass es fremdenfeindliche Motive waren und der Auftakt zu einer Mordserie mit 10 Opfern werden würde).
Ich bin überzeugt, dass viele Angehörige falsche Vorstellungen haben, was Tat und Täter betrifft.
Eine Ausnahme dagegen Sielaff, der Bruder von Birgit Meier. Der war durch und durch Profi. Der konnte professionell Pressekonferenzen geben, war beharrlich bis zur Sturheit, aber er konnte auch jahrelang warten. Der wusste, wo angesetzt werden musste. Nicht mit der Brechstange. Er hatte beste Berater. Aber das ist alles nicht typisch für einen Angehörigen.
SpoilerEs ist ein Trugschluss, die Opfer könnten außerhalb des Ermittlungsverfahrens viel zur Wahrheitsfindung beitragen. Selbst da, wo Substanz da ist (wie im Fall Ursula Herrmann, weil das LKA-Gutachten, auf das sich die Verurteilung größtenteils stützt, wissenschaftlicher Murks ist), geht Rechtssicherheit vor Einzelfallgerechtigkeit. Bitter, aber auch wesentlicher Teil des Rechtsstaats. Es bleibt die Ausnahme, Ermittlungen erzwingen zu können, das BVerfG hat die Voraussetzungen m.E. gut aufgezeigt.