Füchschen schrieb:Warum es in Lüneburg letztlich nicht geklappt hat und Chedor zu Recht die dortige Polizei tadelte, zum Beispiel, warum sie es einfach hinnahm, dass KWW die Familie Köpping ausspioniert hatte ohne diese Spur weiter aufzunehmen, wird ein Rätsel bleiben. Es gab einige Ungereimtheiten in Lüneburg.
Ja. Knackpunkt ist wohl, dass die dortige Staatsanwaltschaft nach dem Tod von KWW alle Fälle einstellte, die mit ihm zu tun gehabt haben könnten. Wie erläutert, ist die StPO auf die Ermittlung und Anklage eines Straftäters geeicht, nicht auf die historische Aufarbeitung von Kriminalfällen. So lange kein anderer Straftäter als Beschuldigter in Betracht kam, konnte eingestellt werden. Man hätte es wohl nicht müssen und evtl. auch nicht dürfen, so lange weitere - noch lebende - Täter in Betracht kamen.
Die Ermittler-Nummer "Bei uns gibt es keine Cold Cases, wir vergessen nie, wir lassen keinen zurück, Mord verjährt nicht!", das kam ja erst in den letzten 10 oder 20 Jahren aufs Tablett. Auch wegen Social Media und den Möglichkeiten für Angehörige, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Genauso wie die Verurteilung von zum Tatzeitpunkt 17jährigen Beteiligten an NS-Verbrechen (Wachleuten, Fotografen, oder Sekretärinnen), die dann weit über 90 im Rollstuhl vor Gericht gezerrt und nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, obwohl klar war, dass es keinen Haftantritt geben würde.
Aus der oben zitierten Entscheidung des BVerfG ist ersichtlich, dass schon Einiges zusammen kommen muss, um erfolgreich staatliche Aufklärung einzufordern. Und in BVerfG-Fall waren die mutmaßlichen (Fahrlässigkeits-)Täter bekannt und lebten noch.
Kurz und gut, da ist viel Lyrik dabei, wenn es um Cold Cases ohne Anhaltspunkte für einen Beschuldigten geht. Und noch problematischer, im Podcast wird es auch ausführlich thematisiert, sind die Vermisstenfälle ohne Leiche.
Vermutlich war das Aufkreuzen von Sielaff im Lüneburger Jagdrevier insoweit auch etwas kontraproduktiv. Die eher ländlich oder kleinstädtisch (Lüneburg: 75.000 Einwohner) geprägten Strukturen machten vermutlich gegenüber den hochrangigen, hochqualifizierten, gewandten und autoritätsgewohnten Hamburger "Schnöseln" dicht und verweigerten sich einer Zusammenarbeit. Auch ist die Fehlerkultur gerade in der Justiz eher schwach ausgeprägt, sofern sich nicht andere Ansichten im Instanzenzug durchsetzen. Also mussten sie durch die Hamburger "zum Jagen getragen" werden.
Und stellten das auch wieder ein. Im Grunde haben sie schon vor den 400 Asservaten auf dem Grundstück von KWW kapituliert. Ex post, ohne den Haupttäter, dutzende von Fällen aufzuklären, das ist Kernerarbeit, die die Lüneburger auch nicht leisten könnten.
Füchschen schrieb:Die Polizei damals war ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Sicher. Aber die Polizei 1990 war auch nicht mehr die von 1960. Die "sexuelle Revolution" war Ende der 1960er Jahre, schon in den 1970er Jahren war alles möglich. Trotzdem habe ich es auch noch Mitte der 1990er erlebt, dass ein bestimmter Richter in meiner kleinen Heimatstadt bei allen "Aussage:Aussage"-Sexualdelikten dem Opfer fehlende Glaubwürdigkeit unterstellte. Immer. Auch bei positiven Glaubwürdigkeitsgutachten.
Diese Typen sind ausgestorben. Dafür kamen dann die Typen, denen Kachelmann in die Fänge geriet. Wohl auch ein Spiegelbild der Gesellschaft...
Nochmals: Es ist nicht so einfach, im Fall KWW Ermittlungsverfahren durchzuführen, die zudem mit ihren Puzzleteilen extrem viel Arbeit kosten. Im Podcast wird das auch von Püschel und Chedar (sehr sachlich und hochkompetent) thematisiert. Im Grunde ist es völlig richtig, sich letztlich auf die Handvoll von unaufgeklärten Taten zu konzentrieren, bei denen die Hinweise am schwersten wiegen. Man wird bei vielen unaufgeklärten Mordfällen (noch mehr bei Vermisstenfällen) immer mit der Ungewissheit leben müssen, dass es KWW gewesen sein könnte, keine anderen Täter in Betracht kommen. Und kein Beweis erbracht werden kann.
Die Opfer haben immer lebenslänglich.