Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre
20.01.2021 um 20:49JosephConrad schrieb:Denkst Du das jetzt auch beim Gutachten? Da gibt es ja ein Ergebnis auf einer Skala, nur ist die mehrdeutig zu interpretieren.So ist das mit Bewertungen. Die Skala beim LKA ist ja nur ein Anhaltspunkt, wie ein bestimmtes Ergebnis irgendwo zwischen "total sicher" und "total unsicher" begrifflich eingeordnet werden kann. Dabei ist ganz konkret die Kategorie "wahrscheinlich" einfach semantisch doof.
Ansonsten neigte die Gutachterin ja eigentlich zum "sehr wahrscheinlich", legte sich ja geradezu fest, in der Verhandlung. Schon das zeigt auch die prinzipielle Offenheit einer solchen Bewertung.
Die BKA-Skala ist genauso möglich, entspricht m.E. mehr den Gepflogenheiten bei Gutachtern - und dürfte von Richtern auch eher erwartet werden. Dabei sind die Ziffern auch nur grobe Anhaltspunkte, nicht der Ausgangspunkt bei Einordnungen (schließlich geht es um Schriftgutachten, da ist eine zahlenmäßige Bestimmung der Wahrscheinlichkeit seriös nicht möglich).
Die bloße Annäherung an einen Wert irgendwo zwischen "gut möglich" und "hoch wahrscheinlich" liegt schlicht daran, dass solche Gutachten nur Ähnlichkeiten oder Muster herausarbeiten können, die dann vom "geschulten Ohr" oder "Auge" bewertet werden. Was eigentlich zeigt, dass man naturwissenschaftlich-technisch erläutern, aber eben nicht messen kann.
245HCT74 schrieb:Wie löst man dann das Problem juristisch? Ich denke, die angegebenen Zahlen kann man auch durch wahrscheinlich, unwahrscheinlich etc. ersetzen.Interessante Frage.
Ganz einfach: Das Gericht hat das gesamte Gutachten und die gesamte Einvernehme des Gutachters zur Kenntnis zu nehmen. Es ist nicht an eine Wahrscheinlichkeitseinstufung gebunden. Es muss aber begründen, warum es davon signifikant abweicht (wahrscheinlich zu unwahrscheinlich). Paradebeispiel: Das LG Aschaffenburg zu einem Zahngutachten (ich habe den Fall schon erwähnt).
Allerdings gibt es im Recht einige genauer spezifizierte Wahrscheinlichkeitsgrade, an die sich Juristen schon gerne festhalten, weil es dazu Judikatur oder Legaldefinitionen gibt:
- "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" = anderes lässt sich nicht völlig ausschließen, ist aber höchst unwahrscheinlich
- "überwiegende Wahrscheinlichkeit" beim "hinreichenden Tatverdacht" = Verurteilung ist wahrscheinlicher als Freispruch (mehr als die Hälfte)
- "hinreichende Wahrscheinlichkeit" = Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigen wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dabei das Produkt aus "wahrscheinlicher Schadenshöhe" und "Eintrittswahrscheinlichkeit" des Schadens die Schwere der Gefahr bestimmt.
usw.
Letztlich sind solche Begriffe wie unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen und auslegbar.