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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

11.655 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Wald, Entführung, München ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 19:11
Zitat von 245HCT74245HCT74 schrieb:Das erweckt in mir einen äußerst negativen Eindruck darüber, was in der Justiz in D vor sich geht.
"Hier wende ich mich mit Grausen, kann ich hier nicht ferner hausen,"
Auch wenn ich Dir in vielen Kritikpunkten Recht gebe: Manchmal glaube ich, dass Deine Erwartungen an die Rechtsprechung sind unerfüllbar groß. Du bewertest das anhand eines (dieses einen) Falles und schließt dann auf den gesamten Apparat.

Wie dieser Apparat aber als Ganzes funktionieren soll, wie wir bei zigtausenden Fällen Gerichte arbeiten lassen wollen, wie wir damit umgehen, was als "prozessuale Wahrheit" bezeichnet, die auf "Fragmenten" und "Konstrukten" beruht, das ist wirklich eine eigene Sache. So wie bei Entscheidungen für die Zukunft nicht alle wesentlichen Faktoren bekannt sind, aber entschieden werden muss (Pandemie, Wirtschaft), so gibt es auch bei Entscheidungen, die Sachverhalte der Vergangenheit betreffen, vielleicht sogar wesentliche Umstände, die nicht bekannt sind oder nicht erkannt werden.

Und wenn Du mich fragst, wie viele anzweifelbare Urteile es vom Schlage eines Mazurek gibt, dann kann nur sagen, so viele, wie es ähnlich anzweifelbare Fälle gibt. Hier in diesem Forum sind es im Vergleich zu einigen hundert Tötungsverbrechen jährlich nur sehr wenige, eine Handvoll in etwa. Dabei ist es viel wert, dass die Verfahren in Deutschland sehr korrekt und sauber ablaufen, es ein komplexes Verfahrensrecht gibt, das der BGH sehr viel genauer prüft, als die Beweiswürdigung.
Zitat von julina32julina32 schrieb:Trotzdem wäre ein Fall in den USA im Ermittlungsverfahren wohl anders abgelaufen. Jemanden wie KP, hätte man höchstwahrscheinlich an den Lügendetektor angeschlossen und somit einen Märchenonkel recht schnell entlarvt.
In den USA wären wohl M. wie auch P. in der Todeszelle gelandet oder zu echtem lebenslänglich verurteilt worden. Dort hätte eine Jury dann nochmals von den Beweismitteln das gelten lassen, was sie, nach einer entsprechenden theatralisch von Staatsanwaltschaft und Verteidiger auf Beeinflussung hin optimierten Verhandlung mit Suggestivfragen und einseitiger Interpretation als Wahrheit erkannt zu haben glaubten. Und an die Wahrhaftigkeit des Lügendetektors glaubt eh jeder wie er will. Ich halte davon nichts.
Zitat von julina32julina32 schrieb:KP, ein Krimineller mit Mietschulden, denunziert vom Vermieter, auf der Suche nach finanziellen Quellen, die höher sind als ein Grabungshonorar von 1000,- DM, mit Belohungsgelüsten und Jobdealgedanken, gibt ein Geständnis ab
was er zurückzieht. Da sollten Richter sich nicht nur auf ihre Lebensweisheit berufen.
1. Das ist Deine Interpretation.

2. Was soll der Richter machen? Er kann nur dem P. glauben oder nicht glauben. Hier haben die Richter P. geglaubt. Und das sehr ausführlich begründet.

3. Man muss P. nicht glauben. Aber es ist vertretbar, ihm zu glauben. Auch wenn ich persönlich vielleicht skeptischer gewesen wäre. Aber in der Begründung ist das Gericht aus skeptisch, hinterfragt hier und dort, aber halt nicht so skeptisch wie ich.

4. Im Grunde ist es so wie bei anderen Dingen: Ärzte können zwei unterschiedliche Therapien für richtig halten, Politker zwei unterschiedliche Maßnahmen. Und Richter können eine Aussage unterschiedlich interpretieren.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 19:22
Tja, noch schaffen es wohl weder KI noch Lügendetektoren besser als leibhaftige Menschen, Dichtung und Wahrheit im Prozess zu unterscheiden. Jedenfalls nach Meinung des Obersten Gerichtshofs der USA:
Ein abschließendes Wort sprach der Oberste Gerichtshof der USA: Er urteilte, dass nicht Geräte, sondern „Menschen, nämlich Geschworene, unsere Lügendetektoren sind.“
Quelle: https://www.swp.de/politik/inland/luegendetektoren-in-den-usa_-land-der-unbegrenzten-polygraphen-22340085.html, soeben von @JosephConrad verlinkt


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01.01.2021 um 19:27
Zitat von monstramonstra schrieb:2. Was soll der Richter machen? Er kann nur dem P. glauben oder nicht glauben. Hier haben die Richter P. geglaubt. Und das sehr ausführlich begründet.
Wenn die Verteidigung es damals vergeigt hat, die Richter von Herrn Mazureks Unschuld zu überzeugen und Entlastendes vorzubrigen, dann ist das nicht die Sache der Richter. Denn: hätte die Verteidigung damals brilliante Gegengutachten und Entlastungszeugen vorgestellt und Herr Mazurek wäre freigesprochen worden und man hätte später zufällig bei ihm das Originalband mit den Erpresseranrufen gefunden oder einen anderen ultimativen Beweis, so hätte man ihn auch nicht mehr erneut Verurteilen können, sondern gesagt: das ist jetzt Pech, das hat die Anklage damals vergeigt, "Ne bis in idem".
So gesehen war seine Verurteilung möglicherweise ein "Betriebsunfall".


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 19:36
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Wenn die Verteidigung es damals vergeigt hat, die Richter von Herrn Mazureks Unschuld zu überzeugen und Entlastendes vorzubrigen, dann ist das nicht die Sache der Richter.
Nein, so ist das nicht. Im Strafprozess herrscht in Deutschland der Amtsermittlungsgrundsatz.

§ 244 Abs. 2 StPO: "Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind."

"Ne bis in idem" zwingen Anklage und Gericht, einen Prozess möglichst gut vorzubereiten, aber auch zu verurteilen, weil der Strafklageverbrauch ein Damoklesschwert darstellt.

Von "Betriebsunfall" würde ich nicht sprechen. Die kann es zwar geben. Wo während des Prozesses nur durch reinen Zufall der Beweis auftaucht, dass es der Angeklagte nicht war, z.B. Aber wie in einem Betrieb auch sollte alles erdenkliche getan werden, damit es nicht zu einer Falschverurteilung kommt. Je aufwendiger das Verfahren ist, desto weniger sollte das der Fall sein.


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01.01.2021 um 19:39
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:So gesehen war seine Verurteilung möglicherweise ein "Betriebsunfall".
Hui, @JosephConrad, so zynisch kenne ich dich gar nicht ;-) Gut gebrüllt, Löwe!

Aber in gewisser Weise könntest du recht haben. Auch die Verteidigung hat ja damals das Tonbandgutachten im Prozess offenbar anstandslos „passieren“ lassen. Andererseits hätte man, wenn man durchschlagende Argumente gegen die Anklage gehabt hätte, diese wohl in den Ring geworfen. Da war aber anscheinend nicht viel, was man hatte.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 19:50
Zitat von monstramonstra schrieb:§ 244 Abs. 2 StPO: "Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind."
Das ist zu theoretisch und zu statisch, klingt wie der Gummiparagraph. Ich bin der Meinung, dass gerade im vorliegenden Indizienprozeß die Qualität der Verteidigung sicher den Unterschied von Strafe oder Freispruch hätte ausmachen konnte, Du nicht auch?
Denn der Verteidiger ist unabhängiges Organ der Rechtspflege und hat darauf hinzuwirken, dass eine Verurteilung eben nur erfolgt, wenn die Beweisaufnahme einen Schuldbeweis ergibt. Tut sie das nicht, ist freizusprechen, völlig egal, ob der Angeklagte es nun war oder nicht.

Eine mir gut bekannte Strafverteidigerin hat mir davon berichtet, dass sie einmal in einem Mordprozess "gewonnen" hat, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass der Angeklagte schuldig war. Als ich fragte, ob das nicht schwer sei, meinte sie:

"Nicht ich spreche frei oder verurteile, sondern das Gericht. Ich habe nur deutlich gemacht, dass ihm die Tat nicht nachzuweisen war. Nicht meine Überzeugung war entscheidend, die habe ich völlig ausgeblendet, so lange ich arbeitete. Meine Überzeugung gründete sich auf dem, was in der Verhandlung passiert ist. Und das war objektiv nicht ausreichend. Das Gericht war derselben Ansicht."
Quelle: Maria Baumer (Seite 490) (Beitrag von monstra)


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 19:55
Zitat von AndanteAndante schrieb:Hui, @JosephConrad, so zynisch kenne ich dich gar nicht ;-) Gut gebrüllt, Löwe!
Ich habe nie behauptet politisch korrekt zu sein, manchmal bricht Subjektivität ihre Bahn.
Zitat von hopkirkhopkirk schrieb am 04.06.2019:robernd schrieb:
Ich werfe den Richtern vor, die technischen und logischen Zusammenhänge nicht zu verstehen.

Um jetzt mal so zynisch zu sein, wie Mazurek es ist, und bei seiner Art der Interpretation zu bleiben: Dann war das Urteil wohl ein Betriebsunfall. Sowas passiert halt, auch wenn Menschen sich Mühe geben. Manchmal sind sie halt technisch einfach überfordert. Hat Mazurek im Interview ja selbst erläutert. Und überhaupt sei Ursulas Tod gar nicht qualvoll gewesen. Was regt er sich dann so auf, dass er im Knast sitzt? Ist doch alles gut. Shit happens, und manchmal trifft es eben nicht kleine Hunde und kleine Mädchen, sondern empathielose alte Männer. Kommt vor. Nichts, worüber man sich aufregen müsste. Betriebsunfall halt. Ironie Off...

Deine technische Interpretation in allen Ehren, aber meiner Meinung nach ist der Kerl dort, wo er ist, goldrichtig aufgehoben. Mag sein, dass das jetzt alles hochgradig emotional und unsachlich ist, aber manchmal muss man sich wohl auf das Niveau der Person, um die es geht, herabbegeben.



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01.01.2021 um 19:59
Zitat von monstramonstra schrieb:2. Was soll der Richter machen? Er kann nur dem P. glauben oder nicht glauben. Hier haben die Richter P. geglaubt. Und das sehr ausführlich begründet.
Du gibst Dir doch selber die Antwort.
Zitat von monstramonstra schrieb:3. Man muss P. nicht glauben. Aber es ist vertretbar, ihm zu glauben. Auch wenn ich persönlich vielleicht skeptischer gewesen wäre. Aber in der Begründung ist das Gericht aus skeptisch, hinterfragt hier und dort, aber halt nicht so skeptisch wie ich.
Die Skepsis können sie dann durch plausibilisierte Gutachten abbauen. Das mit der Lebensweisheit in der Urteilsbegründung war einfach zu dick aufgetragen, wie ich finde.


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01.01.2021 um 20:04
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Das ist zu theoretisch und zu statisch, klingt wie der Gummiparagraph. Ich bin der Meinung, dass gerade im vorliegenden Indizienprozeß die Qualität der Verteidigung sicher den Unterschied von Strafe oder Freispruch hätte ausmachen konnte,
Natürlich sind Verteidiger keine Statisten und die Richter nicht Hampelmänner, die im Prozess alles alleine machen müssen (und dafür dann allein die Prügel kassieren). Amtsermittlungsgrundsatz heißt nicht Allwissenheit und nicht Hellseherei.

Es gibt Dinge, von denen das Gericht nichts wissen kann, und die muss dann schon der Angeklagte bzw. seine Verteidigung selber einbringen. Aufgabe des Gerichts ist es dann natürlich, diesen eingebrachten Sachen nachzugehen.

Beispiel hier der vom Angeklagten behauptete Tonbanderwerb auf dem Flohmarkt in Beverungen. Woher der Angeklagte das bei ihm beschlagnahmte Gerät hatte, konnte die Strafkammer nicht wissen. Das musste der Angeklagte schon selbst sagen, und dann hat von Amts wegen die Beweisaufnahme hinsichtlich der behaupteten Umstände des Erwerbs stattgefunden, die allerdings nicht zu Gunsten des Angeklagten ausging.

Und wie gesagt hätte auch die Verteidigung vielleicht darauf kommen können, dass das Tonbandgutachten nicht das Gelbe vom Ei war. Ist sie aber nicht.

In diesem Fall aber, denke ich, hätte es auch die beste Verteidigung schwer gehabt. Die Indizien in ihrer Gesamtheit waren schon erdrückend.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:22
Nachtrag: Die Verteidigung hat ja auch versucht, einen Altetnativtäter in den Fokus zu stellen, nämlich HW, und hat, so weit ich die Presseberichte verstanden habe, beantragt, insoweit auch den Tod der damaligen Freundin des HW im Jahre 1970 weiter aufzuklären oder so ähnlich. Das war sicher ein löblicher, aber ziemlich untauglicher Versuch der Verteidigung, denn was hätte der Tod der Freundin mit einer eventuellen Verstrickung des HW 11 Jahre später in den Entführungsfall Ursula Herrmann zu tu gehabt bzw. zu tun haben können?


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:24
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Ich bin der Meinung, dass gerade im vorliegenden Indizienprozeß die Qualität der Verteidigung sicher den Unterschied von Strafe oder Freispruch hätte ausmachen konnte, Du nicht auch?
@JosephConrad

Zu § 244 StPO hat @Andante das Entscheidende gesagt. Mit der Norm korrespondiert noch § 221 StPO, wonach das Gericht auch in Vorbereitung auf die Hauptverhandlung zu prüfen hat, ob alle Beweismittel vorhanden sind (Der Vorsitzende des Gerichts kann auch von Amts wegen die Herbeischaffung weiterer als Beweismittel dienender Gegenstände anordnen).

Häufig wird hier in der Praxis vom Gericht noch einmal ein eigenes gerichtliches Gutachten angefordert, auch wenn im Ermittlungsverfahren bereits Gutachten eingeholt worden sind.

Ansonsten hat @Andante ebenfalls zu Recht erklärt, dass es im Indizienprozess nicht zwingend auf den Verteidiger ankommt, ob verurteilt wird oder nicht. Es kommt schlicht auf den Fall an. Im von mir zitierten hat die mir wohlbekannte Strafverteidigerin auch nicht behauptet, es sei ihrer Genialität zu verdanken gewesen, dass der Freispruch erfolgt ist (obwohl sie um die Schuld den Mandanten wusste). Mein Beispiel taugt also nicht zu Widerlegung des von mir Gesagten.

In großen Wirtschaftsstrafsachen kann eine Horde von einschlägig bewanderten Verteidigern durchaus für erhebliche Unsicherheit beim Gericht sorgen, auch in komplexen Fahrlässigkeitsprozessen nach Unfällen (so im Fall "Loveparade", der aus meiner Ansicht aus fadenscheinigen Gründen eingestellt wurde). Zumeist wirken aber Verteidiger im Vorfeld, im Ermittlungsverfahren, erreichen einen Strafbefehl statt einer Anklage oder einen § 153a StPO statt eines Strafbefehls. Und während es bei Mord noch Lebenslänglich oder Freispruch gibt, gibt der Strafrahmen bei vielen anderen Delikten Luft her. Auch für Zweifel.

Ich denke auch, der Verteidiger hätte hier das Tonband-Gutachten angreifen können, hätte aber dann schon Sachverstand auftun müssen, um entsprechend zu argumentieren. Sonst hätte das Gericht des Beweisantrag abgelehnt. Beim Loch weiß ich nicht, wie der Verteidiger argumentiert hat, häufig erwähnt das Gericht dessen Vorbringen als Gegenargument, dass es dann argumentativ widerlegt.

Die Verteidigung war wohl eher schwach, hätte aber auch nicht viel ausrichten können. Zumal bei über 50 Verhandlungstagen aber auch alles, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist irgendwann einmal behandelt worden ist. Da sind die 300 Seiten noch eine knappe Zusammenfassung.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:28
Zitat von AndanteAndante schrieb:Das war sicher ein löblicher, aber ziemlich untauglicher Versuch der Verteidigung, denn was hätte der Tod der Freundin mit einer eventuellen Verstrickung des HW 11 Jahre später in den Entführungsfall Ursula Herrmann zu tu gehabt bzw. zu tun haben können?
Was hätten der eingefrorene Hund, das Verhalten gegenüber dem Stiefsohn und die Vorstrafe Mazureks aus dem Jahr 2004, die allesamt im Urteil als belastend angeführt sind mit dem Entführungsfall zu tun haben sollen?


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:30
Zitat von monstramonstra schrieb:Ich denke auch, der Verteidiger hätte hier das Tonband-Gutachten angreifen können,
Dazu hätte er aber erst einmal erkennen müssen, dass das Gutachten fehlerhaft war. Er hat es aber ebensowenig gemerkt wie StA und Richter. Den Vorwurf, das die Richter zu blöd waren, die Fehlerhaftigkeit dieses Gutachtens zu bemerken, muss man genau so dem Verteidiger machen, und manches andere, was man dem Gericht vorwirft, auch.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:35
Zitat von ErwinKösterErwinKöster schrieb:Was hätten der eingefrorene Hund, das Verhalten gegenüber dem Stiefsohn und die Vorstrafe Mazureks aus dem Jahr 2004, die allesamt im Urteil als belastend angeführt sind mit dem Entführungsfall zu tun haben sollen?
Die sind nicht als belastendes Moment eingeführt, sondern um die Persönlichkeit bzw. den Charakter bzw. die Haltung von Mazurek zu illustrieren, hier in dem Sinne, dass dieser nicht gerade ein mit überaus vielen Skrupeln behafteter Mensch ist und ihm unter diesem Aspekt die Entführung von Ursula durchaus zuzutrauen ist. Was ja auch seine nicht gerade einnehmende Bemerkung über den Tod des entführten Kindes als „Betriebsunfall“ nahelegt.


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01.01.2021 um 20:41
Zitat von ErwinKösterErwinKöster schrieb:Was hätten der eingefrorene Hund, das Verhalten gegenüber dem Stiefsohn und die Vorstrafe Mazureks aus dem Jahr 2004, die allesamt im Urteil als belastend angeführt sind mit dem Entführungsfall zu tun haben sollen?
Der Charakter eines Angegklagten ist für die Einschätzung, ob er eine Tat begangen hat oder nicht, sicherlich interessant.
Zitat von monstramonstra schrieb:Ansonsten hat @Andante ebenfalls zu Recht erklärt, dass es im Indizienprozess nicht zwingend auf den Verteidiger ankommt, ob verurteilt wird oder nicht. Es kommt schlicht auf den Fall an. Im von mir zitierten hat die mir wohlbekannte Strafverteidigerin auch nicht behauptet, es sei ihrer Genialität zu verdanken gewesen, dass der Freispruch erfolgt ist (obwohl sie um die Schuld den Mandanten wusste). Mein Beispiel taugt also nicht zu Widerlegung des von mir Gesagten.
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Ich bin der Meinung, dass gerade im vorliegenden Indizienprozeß ...
Ich sprach vom vorliegenden Fall. Leider war ich im Prozess nicht dabei, die Frage ist aber: wurden vom Verteidiger die hier von verschiedenen Leuten tatsächlichen- oder vermeintlichen Widersprüche in den Indizien benannt oder nicht?

Die Richter haben ihn verurteilt nachdem sie Indizien, Zeugenaussagen, Belastendes und Entlastenden, Plädoyers, etc. gehört hatten. Wenn alle ihr Bestes gegeben haben, so wurde Herr Mazurek zurecht verurteilt. So ist es eben.


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01.01.2021 um 20:44
Nur damit ich das jetzt richtig verstehe: Das heißt also dass jemand, der im Suff den Hund tiefkühlt, wegen eines Vermögensdeliktes 23 Jahre nach einer Tat gegen Leib und Leben verurteilt wird und seinen Stiefsohn nicht korrekt behandelt charakterlich für so ein Verbrechen geeigneter erscheinen soll als jemand der 11 Jahre vorher einen bestialischen Mord begangen haben soll?

Der "Charakterisierung" des Angeklagten wird in der Tat im Urteil ein erstaunlich breiter Raum eingeräumt. Offenbar wollten die in Augsburg nach dem Fall Mollath kein Risiko mehr eingehen, dass es in der Öffentlichkeit zu Solidarisierungsszenarien kommt.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:45
Zitat von AndanteAndante schrieb:Den Vorwurf, das die Richter zu blöd waren, die Fehlerhaftigkeit dieses Gutachtens zu bemerken, muss man genau so dem Verteidiger machen, und manches andere, was man dem Gericht vorwirft, auch.
Ja, gerade die schon spitzfindig anmutenden Argumente von @robernd gegen das Gutachten sind sehr komplex und setzen entweder einen ausgesprochenen Fachmann (wie @robernd ) oder einen in der Arbeit mit Tonbändern und Tonbandmaschinen bewanderten Prozessbeteiligten voraus. Ich kann seine wesentlichen Überlegungen leichter nachvollziehen, weil ich mich vor über 30 Jahren mal für Musik- und Studioaufnahmen interessiert habe.

Der Verteidiger hätte also einen Fachmann im Hintergrund gebraucht und hätte auch in der Lage sein müssen, dessen Argumente entsprechend zu "übersetzen". All das stand ja gegen das Vertrauen, das gemeinhin von der Richterschaft einer LKA-Gutachterin entgegengebracht wird. Sollte man hier "gefehlt" haben, dann wäre das wirklich nicht leicht zu erkennen gewesen.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Die Verteidigung hat ja auch versucht, einen Altetnativtäter in den Fokus zu stellen, nämlich HW, und hat, so weit ich die Presseberichte verstanden habe, beantragt, insoweit auch den Tod der damaligen Freundin des HW im Jahre 1970 weiter aufzuklären oder so ähnlich.
Nicht nur untauglich, sondern auch taktisch töricht. Keine Kammer hat auch nur ansatzweise Lust, in 2008 einen Mordfall von 1970 aufzuklären, der gar nicht angeklagt ist. Da hätte der Verteidiger auch Beweisanträge zum Mord an Olof Palme vorlegen können.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:46
Zitat von ErwinKösterErwinKöster schrieb:Nur damit ich das jetzt richtig verstehe: Das heißt also dass jemand, der im Suff den Hund tiefkühlt, wegen eines Vermögensdeliktes 23 Jahre nach einer Tat gegen Leib und Leben verurteilt wird und seinen Stiefsohn nicht korrekt behandelt charakterlich für so ein Verbrechen geeigneter erscheinen soll als jemand der 11 Jahre vorher einen bestialischen Mord begangen haben soll?

Der "Charakterisierung" des Angeklagten wird in der Tat im Urteil ein erstaunlich breiter Raum eingeräumt. Offenbar wollten die in Augsburg nach dem Fall Mollath kein Risiko mehr eingehen, dass es in der Öffentlichkeit zu Solidarisierungsszenarien kommt.
Der Anwalt von Herrn Mazurek wollte doch genau Ähnliches erreichen: Harald W. sollte als möglicher Verbrecher entlarvt werden.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:50
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Der Anwalt von Herrn Mazurek wollte doch genau Ähnliches erreichen: Harald W. sollte als möglicher Verbrecher entlarvt werden.
Mir brauchst du das nicht zu sagen. Es hätte eine vorhandene Gewaltbereitschaft kennzeichnen sollen, die ein Vielfaches über die Attribute hinausgeht die man Mazurek zugeschrieben hat. Dass der Versuch untauglich war ist klar. Nicht nur dass es keine Beweise und Indizien gab, kollidierte dieser Versuch auch noch mit den verbürgten Charaktereigenschaften des HW, die im Urteil angeführt werden.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

01.01.2021 um 20:51
Wenn man sich die Vernehmungen von Pfaffinger durchliest, kommt man zu der festen Überzeugung, dass er der zweite Komplize war. Der Zeitraum der Vernehmungen von Pfaffinger war ja von 25.02.82 – 08.10.82. In der U-Haft wurde Pfaffinger medikamentös behandelt gegen die Alkoholsucht und hatte eventuell einen Entzug gemacht. Auf alle Fälle war er ab dem Haftbefehl trocken. Bis Seite 29, dem Tag des Haftbefehls und erst dem 2. Vernehmungstag bekam Pfaffinger bereits kalte Füße und machte eine belastende Aussage zum Nachteil Mazurek. Mazurek war längst aus der U-Haft und das wusste Pfaffinger. Pfaffinger nahm dadurch stark an, dass dem eigentlichen Haupttäter nichts nachgewiesen werden konnte.
Ja, er verlangte von mir einen Spaten, eine Spitzhacke und einen Spaten.

Da sind also zwei ehemalige KFZ-Mechaniker, die sich über eine Leihgabe von Gartengeräten unterhalten. Das war im März 1981. Dann gibt es noch einen Dritten im Bund, der ein ehemaliger KFZ-Elektriker gewesen war, Harald W.

Wenn man sich die Art der Vernehmung anschaut, merkt man schnell, wie die Kripo taktisch von einem unwichtigeren Thema zu einem besonders wichtigen Thema wechselt. Dass sich Pfaffinger da keinen Anwalt genommen hat, ist schon merkwürdig und nicht nachvollziehbar, wenn man bedenkt, worum es den Kripobeamten eigentlich in Wahrheit ging.

Auf den Tod von Ursula Herrmann angesprochen war er ab diesem Moment ein gebrochener Mann, der auspackte.

Am 01.03.82 macht Pfaffinger meiner Meinung nach die bedeutendste Aussage auf Seite 58:
Es geht um die Lichtung, auf der später die Kiste vergraben wurde und Pfaffinger konnte sogar die flächenmäßige Größe angeben, verglich sie mit der Größe der beiden Tische im Dienstzimmer 13, mehr als konkret.

Es kann natürlich sein, dass sich Pfaffinger über den Tisch gezogen fühlte mit dem Tausender und einem Farbfernseher abgespeist zu werden, als er erfahren hatte, dass es um 2 Mio ging und hat reinen Tisch gemacht und ausgepackt.
Pfaffinger – mit klaren Kopf – hat die Vergrabungsstelle absichtlich nicht finden wollen, weil er zumindest befürchten musste, wegen Beihilfe belangt zu werden. Und dann kam ihm in den Sinn zu widerrufen.

Harald W könnte der dritte Komplize gewesen sein, von dem Pfaffinger allerdings nicht wusste, Harald W schon.

JagBlack


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