Edelstoff schrieb:Wie dem Zeugen P. Täterwissen unterstellt werden kann, welches offensichtlich Zeitungswissen ist erschließt sich mir nicht, es wäre schön, wenn jemand erklären könnte, wie derartige Widersprüche in einem Bereich entstehen können, der zum Kern des juristischen Handwerks zugeordnet werden kann.
Nein, das hast Du falsch verstanden. Dem Zeugen P wurde vom Gericht Täterwissen unterstellt, das eben nicht in der Zeitung gestanden ist.
Ich versuche das mal zusammenzufassen, das Gericht hat sich im Urteil weit über 40 Seiten lang mit P. befasst. P geriet in den Fokus der Ermittlungen, weil er kurz vor dem Tatzeitpunkt bis dahin immer wieder mit einem Spaten am Mofa in der Gegend herumfahrend gesehen wurde. Der Vielzahl anderer Zeugen, die dazu vernommen wurden, erschien das für P untypisch. P machte nachweislich falsche Angaben hinsichtlich dieser "Spatenfahrten" und passte sie im Laufe der Ermittlungen immer wieder dem neuesten Stand an, jedoch nicht sehr überzeugend.
Dann "gestand" er freiwillig, dass M. ihn damit beauftragt habe, ein Loch im Weingartengebiet zu graben. Er beschrieb seine Grabungstätigkeit mit erstaunlicher Detailfülle, die das Gericht als für eine erfundene Geschichte völlig unüblich und überflüssig einstufte. Die Details stimmten alle mit den tatsächlich vorgefundenen Indizien überein und wurden von P. mehrfach in Vernehmungen bestätigt. Dabei kam es auch zu detaillierten Äusserungen, deren Details nicht in der Presse und falsch in der Presse zu lesen waren.
Das Gericht folgerte aus all diesen Umständen und den Erkenntnissen zur Persönlichkeit des P. dass die Angaben "erlebnisfundiert" gewesen sind und nicht nur aus den Pressemeldungen stammen konnten. Gerade die Detailfülle, aber auch Ps gewisse Naivität, weil er sich ja durch diese Aussagen selbst belastete, wertete das Gericht als Zeichen seiner Glaubwürdigkeit.
Es ging auch auf andere Dinge ein, die P. im Laufe seiner langen Berührungen mit dem Strafjustizsystem erlebt hatte und stellte diese in Relation zu den Ermittlungen hier.
Unterm Strich stufte es die entscheidenden Aussagen als wahr, erlebnisfundiert und ohne sinistre Hintergedanken durch P freiwillig gemachte Angaben ein. Mir erschienen diese Ausführungen des Gerichts plausibel.
Im Vordergrund stehen zwei Dinge: einmal die, laut Gericht, klar erwiesenen "Spatenfahrten" des P. Und zum anderen, seine sehr detaillierten Angaben zu der Grabungstätigkeit einschliesslich bestimmter Masse, die so nicht in der Presse veröffentlicht worden sind.
Das Gericht beurteilte auch M.s Reaktionen auf die Aussagen des P., die durchaus interessant sind und das gesamte Beziehungsgeflecht zwischen M und P und M und P und anderen Beteiligten.
Es ist meine persönliche Einschätzung (!) dass das Urteil mit diesem Themenkreis steht und fällt, und nicht mit dem Tonbandgerät. Das Gericht hat letztem zwar auch eine erhebliche Bedeutung beigemessen, laut eigener Aussage, aber ich vermute, das Urteil wäre auch ohne den Tonband-Themenkreis so ergangen.
Ps Aussage dagegen hat erstmals eine Verbindung zwischen M und dem Loch und damit auch der Kiste ergeben. Aber auch dieser Themenkreis allein ist ja nicht alles, was das Gericht bewertet hat. Dazu kommen noch umfangreiche andere Zeugenaussagen und Ermittlungen hinsichtlich des M. und weiterer Personen in dessen Umfeld. Insofern empfand ich schon ein Bemühen des Gerichts, den Themenkreis P. nicht losgelöst vom Rest des Falles zu betrachten, sondern zu untersuchen, wie dieser plausibel in den Rest der Indizien passt.
Anders gesagt: selbst ohne den gesamten Indizienkreis um P. hat das Gericht viele Indizien beurteilt, die auf eine Täterschaft des M. weisen. Ob es ohne P. zu so einem Urteil hätte kommen können, kann ich nicht beurteilen, aber man darf sich das Urteil nicht so vorstellen, als hätte es nur diese beiden Themen - P. und Tonband - gegeben.
Es gibt zum Beispiel auch durchaus belastende Indizien hinsichtlich der beim Bau des unterirdischen Gefängnisses verwandten Materialien, die nichts mit P. oder mit dem Tonband zu tun haben.
Zum Tonband ist zu sagen, dass ich das Gefühl habe, dass das Gericht sich vorsichtig geäussert hat. Es hat freilich die Kompetenz der Gutachterin nicht angezweifelt, was verständlich ist, denn das Gericht hat nun mal gerade deshalb eine Gutachterin eingeschaltet, weil es selbst nicht die technische Kompetenz hat. Allerdings, so hatte ich das Gefühl, hat es zumindest berücksichtigt, dass in einigen Fragen die Gutachterin, die das wohl auch so geschrieben haben soll, keine endgültigen Einschätzungen abgeben konnte. Es hat allerdings, das ist richtig beschrieben, das Gutachten als Ganzes als Indiz gegen M. gewertet und geht davon aus, dass dieses Tonband bei der Tat verwendet wurde.
Interessant dabei ist, dass es bei der gesamten Erörterung des Tonband Bereichs mehr darum ging, ob es nun in Ms Besitz zur Tatzeit gewesen ist, bzw. ob seine gegenteilige Aussage dazu glaubwürdig ist. Hier hat das Gericht ebenfalls recht viel Zeit und Gedanken aufgewendet und kommt zu dem Schluss, dass Ms. Aussage nicht glaubwürdig ist.
Noch einmal meine persönliche (!) Einschätzung: würde sich herausstellen, dass das Tonbandgerät nicht das zur Tat verwendete gewesen ist, denke ich, das Gericht würde immer noch guten Gewissens Ms Schuld feststellen, weil die zahlreichen anderen Indizien, die nichts mit dem Tonband zu tun haben, darauf hinweisen.
Der gesamte Themenkreis "Erpresseranrufe und Tonbandgeräte des M." umfasst im Urteil ca. 60 Seiten (von insgesamt über 300), wobei dem umstrittenen Gutachten lediglich ganze 9 Seiten gewidmet sind. Das Gericht hat sich der Auffassung der Gutachterin angeschlossen, dass es "wahrscheinlich" ist, dass das untersuchte Tonbandgerät bei der Tat verwendet wurde (Seite 200), aber schon diese Formulierung ist bedeutsam. Sie zeigt mir, dass das Gericht dieses Thema allein nicht schuldbegründend werten würde, wenn es eben nicht noch zahlreiche ganz andere Indizien geben würde.
Und auch im Gutachten geht es nicht nur um das B3 Signal, sondern auch, und nach meinem Eindruck besonders, um bestimmte Schaltgeräusche eben dieses speziellen Geräts. Der Fokus allein auf das B3-Signal und seine Tonfolge etc. schien dem Gericht nicht übermässig bedeutsam.
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass das Gericht sich dafür sehr mit den Aussagen Ms und vieler Zeugen zum angeblichen Tonbandkauf in Beverungen beschäftigt hat.
Mein Eindruck ist, dass neben Ps. Aussagen ganz besonders das Verhalten und die Aussagen des M. und seines Bekanntenkreises im Fokus des Gerichts gelegen sind. Ich habe den Eindruck, und das kann ich aus eigenem Gefühl bestätigen, dass das Gericht meint, M. habe sich selbst eine Grube hier gegraben - im Englischen würde ich jetzt sagen "pun intended."
Das Gericht schreibt zum Beispiel:
Die Hartnäckigkeit mit der der Angeklagte Mazurek bis zuletzt vehement geleugnet hat, irgendein eigenes Tonbandgerät außer einem Philipps-Gerät zwischen 1984 und 1986 besessen zu haben, lässt nur den Schluss zu, dass er den durch die Beweisaufnahme zweifelsfrei festgestellten Besitz weiterer Tonbandgeräte vertuschen will. Dies wiederum ist nur dann geboten, wenn ein Zusammenhang mit dem gegenständlichen Entführungsfall Ursula Herrmann besteht. Bei einer umfassenden Würdigung der Erkenntnisse, dass der Angeklagte entgegen seiner Angaben einerseits das gegenständliche Tonbandgerät Grundig TK 248 nicht am 14.10.2007 auf dem Flohmarkt in Beverungen gekauft hat und andererseits bereits während seiner Echinger Zeit im Besitz eines sehr ähnlichen Spulentonbandgerätes war, ergibt sich für die Kammer vor dem Hintergrund des Aussageverhaltens des Angeklagten der zwingende Schluss, dass er bereits im Entführungsjahr 1981 im Besitz des bei ihm am 30.10.2007 sichergestellten Tonbandgerätes Grundig TK 248 war, das nach Überzeugung der Kammer für den Zusammenschnitt der Erpresseranrufe verwendet wurde.
Dass das Grundig-Gerät TK 248 bei den früheren Durchsuchungen nicht sichergestellt wurde, kann den Angeklagten nicht entlasten. Neben der Möglichkeit, dass es übersehen wurde, spricht die größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass es außerhalb der durchsuchten Objekte gelagert wurde. Vor der Durchsuchung am 30.10.2007 in Kappeln wurde letztmals beim Angeklagten am 15.11.1982 in Gschwend durchsucht. Von Ende 1982 bis Herbst 2007 blieb der Angeklagte also unbehelligt und durfte sich spätestens nach der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 06.03.1991, die verlesen wurden, in Sicherheit wähnen, wegen des Verfahrens Ursula Herrmann nicht mehr belangt zu werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht fernliegend, dass der Angeklagte Mazurek irgendwann sein Grundig-Tonbandgerät wieder aus dem Versteck holte und in seinen Haushalt integrierte, wo es dann am 30.10.2007 aufgefunden und sichergestellt wurde.
Seite 251
Das ist meines Erachtens aus all den im Urteil aufgeführten Zeugenaussagen und Gutachten ein Schluss, der nicht unplausibel ist. Hier erinnere ich noch einmal daran, dass es Aufgabe des Gerichts ist, alle vorliegenden Indizien zusammen zu würdigen, ob sie zusammen einen Beweis ergeben. Und meiner Meinung nach ist das dem Gericht hier plausibel gelungen.
Ich bin ohne tiefere Kenntnisse zu diesem Fall hier eingestiegen und versuche zunächst einmal das Urteil zu verstehen und nachzuvollziehen. Ähnlich wie im Fall Darsow ist es nicht zielführend, ein Indiz losgelöst von allen anderen zu betrachten, ausser wenn klar ist, dass das Gericht ein einzelnes Indiz komplett falsch beurteilt hat. Das kann ich hier nicht behaupten.
Im Gegenteil: wenn ich all die vorgebrachten Indizien
sine ira et studio betrachte, komme ich auch zu dem Schluss, dass M. der Täter gewesen ist.