robernd schrieb:Indizien
Wie ich es verstanden habe, stehen Indizien im Zusammenhang mit der Tat, beweisen aber nicht die Tat. Allerdings müssen auch die einzelnen Indizien bewiesen sein, bevor sie zu einer Kette zusammengebastelt werden. Die Richter haben sich darüber hinweggesetzt, weil sich in der "Gesamtschau" die unbewiesenen Indizien gegenseitig plausibel machen.
Aus Sicht des Strafprozesses muss nur die Tat (genau genommen die Schuld) bewiesen werden, für die der Täter bestraft wird. Dazu bedarf es nicht einer Summe von im Einzelnen bewiesenen Tatsachen, sondern des Beweises der Tat, des strafrechtlich relevanten Sachverhalts. Und das erfolgt - im Sinne einer Gesamtschau - durch die Summe der Indizien, die unterschiedliches Gewicht haben können. Indizien sind erst einmal Thesen, Annahmen oder Schlussfolgerungen, die aufgrund eines tatsächlichen (objektiven) Umstandes (Spuren, Zeugenaussage, Gutachten) getroffen werden. Sie lassen sich oft nicht beweisen, bewiesen ist nur die Existenz einer Spur (z.B. Tatwaffe), die Aussage eines Zeugen, die Urkunde mit einem Gutachten.
Die Strafprozessordnung spricht deshalb nicht von Indizien, sondern von "Beweismitteln". In der Summe ergeben sie den Beweis. Umgangssprachlich sprechen wir von "Beweisen", meinen aber diese Beweismittel. Kein einziges der Indizien muss - aus naturwissenschaftlicher Sicht - bewiesen sein. Die Regel "im Zweifel für den Angeklagten" ist keine Beweisregel, die für die einzelnen Indizien gilt. Sondern sie besagt, dass bei der Gesamtschau keine "vernünftigen Zweifel" mehr bleiben dürfen, das Gericht mithin "überzeugt" ist. Habe ich beispielsweise 10 Indizien, die alle überwiegend oder hinreichend wahrscheinlich sind, kann eventuell der Tatnachweis trotzdem nicht geführt werden. Genauso ist es möglich, hieraus eine Überzeugung zu gewinnen, die lautet: "Es kann nicht Zufall sein, dass diese 10 Indizien in diesem Fall auf den Angeklagten zutreffen."
Ein Problem - hier wie auch in anderen umstrittenen Prozessen - ist die Wertung eines Indizes als belastend, weil bereits ein Verdacht (vielleicht schon eine Überzeugung) besteht. Doch viele Indizien können, aber müssen nicht zutreffen, da sie Schlussfolgerungen sind und Wertungen unterliegen. Sie sind vielleicht zu 50% wahrscheinlich. Die Annahme könnte so oder so getroffen werden. Entlastend oder belastend.
@SirMarvel zeigt oben ganz schön, wie ich eine Aussage belastend interpretieren kann.
@EdgarH spricht dagegen von "plausiblen" Aussagen. Die unterschiedliche Wertung kann sich im Lichte der anderen Indizien ergeben. So ist das.
Und diese Gesamtwürdigung ist zulässig. Dahinter steht die Erkenntnis der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis. Würde man 100%ige Sicherheit verlangen, wäre keine Verurteilung möglich. Das Gesetz und die höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen auf ein ordnungsgemäßes Verfahren ("Legitimation durch Verfahren" - Niklas Luhmann), die Öffentlichkeit, drei Berufs- und zwei Laienrichter, einen Verteidiger usw. Andererseits gibt es auch Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung, z.B. wenn eine Indizienkette in sich inkonsistent ist ("Denkgesetze"). Die Grenzen wurden hier im Fall m.E. nicht verletzt. Trotzdem gefällt mir das Urteil genauso wenig wie Dir. Weil ich es materiell für falsch halte. Weil ich denke, ein Unschuldiger wird bestraft.