nasenstüber schrieb:Könntest du npaar Quellen dazu empfehlen,
Nein, kann ich nicht, denn ich kenne keine einzige Quelle. Keine, die das so deutlich ausführt. Du kannst es nur selber begreifen; dann freilich findest Du das in zahlreichen Quellen wieder. Zum Beispiel derzeit in allem, das sich über "disruptive Technologien / Innovationen" ausläßt. Nimm die Dampfmaschine. Das war so eine "disruptive" Technologie, welche die weniger effizienten vorherigen technologischen Lösungsansätze für "mehr als
Menschenkraft" im Wortsinne von
disruptiv "zerstörte", also verdrängte, beseitigte. Letztlich aber eine bahnbrechende, grundlegende Innovation & Technologie meint.
Solch eine disruptive Innovation wie die Dampfmaschine revolutionierte die folgende technologische Weiterentwicklung in vielen Bereichen, die nichts miteinander zu tun haben müssen. Aus der
manufactury wurde die factury, aus dem kleinen
Handwerksbetrieb von 1800 die Großfabrik von 1900. Und aus der Kutsche für eine Hand voll Passagiere wurde die Dampflokomotive, die mehrere Waggons mit hundert Reisenden ziehen konnte.
Aber ich meine jetzt nicht mal so sehr diese sehr unterschiedlichen Anwendungsgebiete ein und der selben grundlegenden Technologie, die für sich betrachtet nicht miteinander zusammenhängen müssen, aber dennoch eindeutlich in ihrem Auftreten zeitlich zusammenhängen, da sie von der selben grundlegenden Innovation abhängig sind. Auch das ist ein Aspekt dessen, was ich meine. Doch viel mehr will ich hierauf aufmerksam machen: Ist die Dampfmaschine per se eine "disruptive Technologie"?
Nein, das ist sie nicht. Denn schließlich wurde die Dampfmaschine (mindestens) schon in der Antike erfunden; bekannt ist sie uns in Gestalt der
Aeolipile des Heron. Heron selbst brachte schon Anwendungsbeispiele für diese Dampfmaschine, etwa die pneumatische Türschließanlage. - Doch wurde die Dampfkraft damals nicht verwendet, setzte sich nicht durch, verdrängte kein vorheriges Technologie-Level. Die Dampfmaschine selbst ist nicht "disruptiv". Was aber ist es dann?
Es muß schon allgemein "in der Kultur drinstecken", daß es einen echten Bedarf für eine Innovation gibt. Und dieser war für die Dampfkraft eben erst ab der Zeit des Biedermeier gegeben. Als immer mehr Menschen lebten, deren Ansprüche durch die bisherigen technologischen Möglichkeiten und Ansätze nicht mehr abgedeckt werden konnten.
Eine einzelne Erfindung ist eben nicht einfach nur ein Ding für sich, dessen Nutzen einfach aus sich heraus verständlich wäre, wie man aber schnell denken könnte, wenn man nur den reinen Nutzen einer Dampfmaschine betrachtet. Aber der Nutzungsbedarf einer gesellschaftlichen Ausgangssituation, selbst die vorherrschende Weltanschauung einer Kultur, sind das eigentlich Entscheidende, das eine Innovation disruptiv macht - oder nicht macht.
Und genauso hängt nun auch die Dampfmaschine mit den neuzeitlichen Zuchtrassen der Tierhaltung zusammen oder den immer mehr werdenden Apfel-, Weizen- und Kohlsorten des 19.Jh. Denn auch hier bestanden die drängenden Bedürfnisse, eine immer stärker anwachsende Bevölkerung versorgen zu können, was mit den bisherigen ertragärmeren Pflanzen- und Tierarten nicht mehr geleistet werden konnte. Genau so wie deren Versorgung mit Transportmöglichkeiten und handwerklichen Produkten.
In dieser Zeit des Biedermeiers, der neuentstandenen Probleme und der Suche nach Lösungen, kam auch noch etwas anderes auf, das genauso damit zusammenhängt und nicht unabhängig von jenen anderen, zum Teil doch so anders scheinenden Innovationen aussieht: die Evolutionstheorie. Der Zusammenhang mit den landwirtschaftlichen Zuchterfolgen von Nutzpflanzen und Nutztieren ist ja noch offensichtlich; Darwin bediente sich da sogar begrifflich: "natürliche Zuchtwahl". Aber er bediente sich auch noch einer anderen damaligen Vorstellung, die wir heute als "Sozialdarwinismus" kennen, und von dem mancher meint, dieser wäre dem Darwinismus als Entgleisung entsprungen. Doch steckte der Sozialdarwinismus damals bereits in der Gesellschaft und wurde genau andersrum von Darwin dann aufgegriffen.
Weiß nicht mehr wer, aber irgendein Damaliger hatte diese damals verbreitete Denke in einem Buch so wiedergegeben, daß die Natur in jeder Generation mehr Nachkommen hervorbringe als nötig, damit diese dann alle gegeneinander kämpfen würden, sodaß sich die Edelsten gegen die Unedlern durchsetzen könnten. Der Krieg sei für die Menschheit eine Notwendigkeit. Kein Krieg wäre eine Katastrophe. Denn man sehe ja, daß vor allem die unedelsten Menschen, Armeleutepack, sich vermehren wie die Karnickel. Würde man dies nicht aktiv reduzieren, würden die sich in der menschlichen Gesellschaft am Ende durchsetzen, und dann hätten wir den kulturellen Abstieg. Also müsse es ein Selektionsverfahren geben, welches dazu führt, daß vor allem die Edelsten überleben. Die Siegreichen, wenn man sie denn siegen läßt. Also ---> Krieg ist eine Notwendigkeit und ein Segen. Denn nicht nur siegen die Siegreichen, sondern fällt in einer Schlacht vor allem das billige Fußvolk statt der edlen Generalität.
Auch wenn man nach Alternativen zu "Krieg" suchte, so waren viele von diesem Ansatz begeistert. und dachten ebenfalls so über die "besseren Menschen" und die "schlechteren". Und da man nicht allein für das Selektieren einen Krieg anzetteln wollte, kamen zahlreiche Staaten auf den Trichter, per Gesetz die Möglichkeiten ärmerer Schichten zum Heiraten und Kinderkriegen einzuschränken. Wer nicht nachweisen konnte, ne Familie zu ernähren, durfte nicht heiraten bzw. nur soundsoviel Kinder kriegen. Man konnte ins Gefängnis kommen für nen zusätzlichen Blagen. Darwin nun übernahm nicht den Sozial"darwinismus" seiner Zeit, wohl aber die darin ausgedrückten tatsächlichen Phänomene und bedachten Prozesse (Nachkommenüberproduktion, Selektionsprozesse), quasi "rein technisch betrachtet", ohne die sozialdarwinistische Menschenverachtung.
Dieser Sozialdarwinismus aber war ein Kind seiner Zeit, er entstand geradezu "zwingend". Und ebenso "zwingend" entstand er im Zusammenhang mit ner neuen Obstsorte und der Lokomotive. Um das erkennen zu können, muß man nur leider ein wenig Hintergrundwissen zu der damaligen Zeit, Gesellschaft und den damaligen Problemen und weltanschaulichen Vorstellungen haben. Und das ist nicht unbedingt Allgemeinwissen. Ohne dieses jedoch verschließt sich genau dieser Zusammenhang. Aber mit solchem Hintergrundwissen sieht man solche Zusammenhänge völlig unabhängig voneinander scheinender Innovationen ziemlich schnell.
Und vielleicht wird jetzt auch klar, wieso es für sowas keine direkte Quelle zum Nachlesen gibt. Da muß man sich letztlich selber einarbeiten, und zwar jedes Mal aufs Neue. Die Mechanismen, Ursachen, Ebenen des Zusammenhängens können auch immer wieder andere sein. Man kann also auch kein "Handwerkszeug" für dieses Zusammenhänge-Erkennen zusammenstellen und auf Papier oder im Net publizieren, quasi als Quelle. Man kann über diese Zusammenhänge immer nur stolpern. Und vielen ist, selbst wenn sie diese Zusammenhänge unbewußt als zusammenhängend erfassen, dies dennoch nicht: bewußt, daß solche Zusammenhänge geradezu zwingend sind.
Oder bist Du Dir dessen bewußt, wann man in einem Satz "worden" sagt und wann "geworden"? Dennoch wirst Du es schon richtig einsetzen im Alltag, aber bewußt darüber nachgedacht, daß und warum es manchmal "worden" heißt, wirst Du sicherlich noch nie haben. Deoch wird Dir sicher beim Nachdenken schnell klar, wieso ich von meinen Eltern großgezogen
worden bin und schließlich groß
geworden bin. Doch ne Quelle, die mir das erklärt, hab ich bis heute nicht ein einziges Mal z.B. im Net gesehen. Mag es geben, die sich diesem Spezialthema widmet, aber gebraucht hab ich sie nicht, und zum "bring mir mal ne Quelle dazu" wüßte ich nichts zu benennen.