Unik schrieb:du meinst vor allem, das ich meinte, das die Menschen von damals eher primitiv waren
Und ebenso das Ausdenken. Wenn ein Philosoph eine Philosophie ausformuliert, oder wenn ein Mensch sich seine Weltanschauung bildet, dann kannst Du sagen, er denkt sich da was aus. Das wird der Sache aber überhaupt nicht gerecht. Denn wenn eine Geschichte als "ausgedacht" bezeichnet wird, dann meint dies "fiktiv". Für einen Philosophen oder einen Menschen mit seiner Weltanschauung ist dies nichts "Ausgedachtes", nichts "Fiktives", sondern etwas Höchst Reales, die Welt, wie sie wirklich ist und funktioniert, und wie alles zu erklären ist udgl. Das hat für den Betreffenden noch am ehesten die Charakterisierung "Wahrheit".
Einem solchen Menschen zu sagen, das sei ausgedacht, das ist keine formale Beschreibung der Prozesse, wie er zu seiner Weltsicht und seinen Erklärungen gekommen ist, sondern es ist eine polemische Abwertung seiner "Wahrheit".
Als ich vielleicht sieben Jahre alt war (plusminus ein Jahr), erzählte ich meinem Vater stolz meine Welterklärung. Da gab es zwei Samen. Der eine ist gewachsen, immer größer und größer, bis er so groß war wie die Erde. Dann aber ist der gestorben, und zu Erde zerfallen. Und das war dann die Erde. Und dann wuchs der andere Same und wurde zum ersten Leben, einer Pflanze. Und daraus entwickelten sich dann die anderen Lebewesen, und so gibts uns heute und alles Leben auf der Erde. Klar hab ich da nen Mythos geschaffen, und klar war der "ausgedacht". Aber der Gedanke dahinter, zumindest der von natürlichen Prozessen, Umgestaltungen, evolutionärer Entfaltung und so, der war unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des "Mythos von den beiden Samen". Der Gedanke war "Wahrheit", die konkrete Ausschmückung "ausgedacht".
Und so haben alle Kulturen in allen Zeiten ihre eigene Weltsicht und "Wahrheit", und dann noch ihren eigenen "Mythos", also die Weise, wie es erzählt wird, was doch "wahr" ist. Und so ist auch die Bibel ein Kompendium von "Wahrheit", erzählt in "Mythos".
Und auch in heutigen Kulturen hast Du dieses beides. Evolution ist unsere "Wahrheit", konkret erzählt z.B. als "der Mensch stammt vom Affen ab" ist es "Mythos". Und damit meine ich nicht, daß das mit dem "Mensch stammt vom Affen ab" ja schließlich falsch sei. Nein, auch richtig Formuliertes wäre "Mythos", und das für "Wahrheit" Gehaltene könnte durchaus "falsch" sein (auch wenn ich das bei meinem Beispiel Evolution nicht vertrete).
Rein formal kann man von "ausgedacht" sprechen. Selbst Wissenschaft ist ausgedacht (und wird spätestens dadurch als korrekt erwiesen, daß jede Theorie als vorläufig gilt und man erwartet, daß jede Theorie eines Tages falsifiziert und durch eine andere ersetzt wird; jede konkrete Theorie ist quasi "Mythos"). Dennoch wäre es fatal, letztlich sogar falsch und geradezu wissenschaftsfeindlich, sie als "ausgedacht" zu charakterisieren. Das wird dem Streben nach Wahrheit und der Ernsthaftigkeit wie dem Aufwand und den Methoden ihrer Vertreter nicht gerecht.
Unik schrieb:Was mich vor allem interessiert: Wie kommen Bibelgelehrte darauf, die Bibel sei von Gott? Unterliegen sie einfach einem Zirkelschluss, weil die Bibel in sich vllt. logisch scheint? Ist sie das? Keine Widersprüche?
Letztlich hab ich das gerade schon beantwortet. Will aber erneut darauf hinweisen, daß Du schon wieder, wie soll ich sagen, despektierliche Untertöne einstreust. Auch im Zeugen-Jehovas-Thread schießt Du Dich grad immer wieder auf "so sind Religiöse" ein, wiewohl Du Sachen beschreibst, die weder negativ noch auf Religiöse beschränkt sind. Versehentlich kann ich das nicht nennen. Unbewußt sicher, aber das ginge auch mit einem "überheblich" zusammen. Daß Du das nicht bemerkst, glaube ich Dir durchaus. Daß Du so ankommst, solltest Du aber wenigstens bedenken.
Hier will ich noch auf die Sache mit den Widersprüchen eingehen.
Wenn Du die ersten Kapitel der Bibel (AT) aufmerksam liest, wirst Du feststellen, daß da nicht ein Schöpfungsbericht drin steckt, sondern zwei. Zuerst der Siebentage-Schöpfungsbericht, und dann der Adam-Eva-Garteneden-Schöpfungsbericht. Im ersten dauert die Schöpfung sechs Tage plus einen siebten Ruhetag. Im zweiten wird als erstes gesagt, die Erschaffung von Himmel und Erde sei an einem Tag geschehen. Im ersten werden erst alle Tiere erschaffen und am Ende der Mensch, ohne Zahlenangabe, nur mit Hinweis auf männlich und weiblich. Im zweiten wird erst ein Einzelwesen "Mensch" (hebräisch Adam) erschaffen, dann "die Tiere alle", und schließlich wird noch aus dem Menschen ein zweites Lebewesen (hebräisch Eva) gebildet. Nach dem ersten Bericht wird gesagt, daß der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen wurde und über alles Leben herrschen soll. Im zweiten wird der Adam erschaffen und in den angelegten Garten ("die Natur") gesetzt, um dieser zu dienen (den Garten zu bebauen und zu bewahren), nicht darüber zu herrschen. Außerdem wird gesagt, daß das "Sein wie Gott" etwas Schlechtes ist, weswegen die Menschen auch aus dem Garten ("Paradies") vertrieben werden. Widersprüche? Jawoll, aber heftig! Oder aber, es geht in beiden Berichten nicht um eine "historisch korrekte Abfolge" von erst Tier, dann Mensch usw. Oder es geht darum, daß das, was uns Menschen ausmacht, eben selbst widersprüchlich ist, oder wie zwei Seiten einer Medaille. Es ist gut und richtig, daß wir die Erde untertan machen und über sie herrschen können, dürfen und sollen, und daß wir gottgleich sind, sodaß uns alles (zumindest sehr vieles) möglich ist. Zugleich aber richten wir mit unserem gottgleichen Herrschen auch vielen Schaden an, auch und gerade an der Natur (oder uns selbst), und mit mehr Verantwortung zum Dienen sowie mit mehr Demut und Bescheidenheit und dem Ernstnehmen unseres Begrenztseins wäre uns oft mehr geholfen. Dennoch sollen wir über uns hinauswachsen, unsere gottgleichen Fähigkeiten fördern... Beides ist richtig und wichtig. Aber nur beides zusammen, nicht nur eine Seite.
In diesen Widersprüchen wird weit mehr Wahrheit mitgeteilt, als stünde nur eine der beiden Geschichten da. Die "Historizitätsfrage" hingegen, war nun erst der Mensch und dann die Tiere, waren es zwei Menschen oder eine ungenannte Zahl, diese Frage spielt ja offensichtlich mal gar keine Rolle, wenn die Damaligen meinten, man könne solche Sachen direkt nebeneinander stellen. Erst in der Zeit des Hellenismus (ab Alexander dem Großen, bis zur Römerzeit), als griechisches Denken, Philosophie, Mathematik und vor allem Historiographie, die jüdische Gesellschaft und Kultur veränderte und prägte, kamen solche Fragen auf, wie diese beiden Schöpfungsberichte "historisch" zusammenpassen.. Wenn also zuerst der Mensch "männlich und weiblich" erschaffen mitgeteilt wird, dann aber erzählt wird, wie aus dem erschaffenen Adam die Eva "gebildet" wird, dann muß Adam ursprünglich ne andere, gleichwertig erschaffene Frau gehabt haben, die dann irgendwie "abhanden gekommen" sein muß, sodaß Eva dann der "zweite Versuch" wäre. Und so entstand in dieser Zeit die Lilith-Geschichte von der Frau, die beim Sex nicht immer unten liegen wollte, weil sie ja mit Adam gleichwertig sei, weil sie wie er erschaffen wurde. Adam fand das doof, beschwerte sich bei Gott, und der (ganz Kerl) wollte Lilith zur Unterwürfigkeit zwingen, was die aber weiterhin nicht wollte. Daraufhin wurde Lilith verworfen und wurde zur Dämonin (und heute für viele zur feministischen Heiligen), und als nächstes vermied Gott es, wieder ne starke Frau zu erschaffen, sondern bildete sie nur aus nem Stück Mann, dem sie also gefälligst gehören solle. Issn Mythos, kannste ausgedacht nennen, aber letztlich war das ein Versuch, die Welt widerspruchsfrei, monistisch zu beschreiben. Und zeitgeschichtlich war es voll patriarchalisch.
Die alte Geschichte mit der Eva hingegen war patriarchatskritisch-egalitär. Zwar gab es da schon Patriarchat, aber die Unterordnung der Frau unter den Mann war nicht Schöpfungswille, sondern eine durch den Sündenfall verursachte Störung der Ordnung. Die Unterordnung der Frau ist Strafe wie das Sterbenmüssen, Schmerzenhaben, schweißtreibendes Arbeiten, Schlangenbiß-Gefahr (was ja alles an Strafen verhängt wird in der Sündenfallsgeschichte). Is eben so, kennen wir nicht anders; aber es is nicht toll, sondern Scheiße. Und es ist nicht ursprüngliche Schöpfungsordnung, nicht das, was der Schöpfer eigentlich wollte. Gott machte die Frau nicht als "Gehilfin" des Mannes, sondern als "Hilfe". Das hebräische Wort meint das, was wir meinen, wenn wir laut "Hilfe!" rufen. Etwas, das wir uns nicht selber geben können, etwas, das uns rettet. Gott wird im AT oft mit dieser Vokabel verbunden. "Gott ist Hilfe". Und hier ist Eva "Hilfe". Gott stellt ja fest, daß der erschaffene Adam ("Mensch") nich so dat Wahre is: "Es ist
nicht gut, daß der Mensch alleine ist". Aber die daraufhin erschaffenen Tiere sind keine Lösung. Erst die daraufhin gemachte Frau führt dazu, daß nun die Menschenschöpfung "gut" ist. Erst jetzt ist die Schöpfung "vollkommen".
Wir lesen die Bibel aber eben mit der "Brille" unserer eigenen Kultur, Prägung, Denkweise, und so taten es eben auch die hellenismus-zeitlichen Juden schon. Und auch im patriarchal geprägten christlichen Mittelalter las man aus den Texten eben heraus (eigentlich: hinein), daß die Eva nur ne Art halber Mensch sei, untergeordnet, abhängig, ne Gehilfin. Wir können es oft nicht vermeiden, diese unsere "Brille" abzusetzen. Für uns muß alles historisch sein, und es muß monistisch sein, widerspruchsfrei. Und hübsch "logisch". Und natürlich: weg mit dem Mythos, mit allem Ausgedachten. Ich aber finde: mit der ausgedachten Story von Adam und der Hilfe namens Eva wird eine Wahrheit mitgeteilt, hinter der die gesellschaftliche Realität selbst in unserem Land heute noch immer hinterher hinkt. Die Adam-Eva-Story mag ausgedacht und fiktiv sein, wie es ja auch die Gleichnisse sind, die Jesus den Menschen erzählt hat. Aber die "Wahrheit", die dem zugrunde liegt, die damit transportiert wird, die ist mit "ausgedacht" nicht erfaßt. Und letztlich sind Fragen nach Historizität und Widerspruchsfreiheit völlig belanglos dabei.
Unik schrieb:Derek Prince [...] sagte mal in einen seiner Vorträge sinngemäß "Ich bin Logiker. Die Bibel ist von Anfang bis Ende logisch."
Kann man so sagen. Kann man aber auch anders sagen, klassisch mit dem "
Credo, quia absurdum est", "ich glaube, weil es absurd ist". So finde ich zum Beispiel das oft gehörte "ich glaube nur, was ich sehe" völlig unsinnig. Wenn ich etwas sehe, dann muß ich doch nicht mehr glauben. Aber nur mit rein empirischen, wahrgenommenen Sachen kommt
keiner durchs Leben. Alle glauben Sachen, sind sich nur nicht dessen bewußt. Schon allein, wenn ich annehme, daß etwas, das nach meiner Erfahrung bisher immer so geschehen ist, auch künftig immer so ablaufen wird. auch das ist ein nichtempirischer Glaubenssatz. Ein guter, effektiver, aber eben ne Annahme, Voraussetzung, ein Apriori. Geglaubtes.