Das sind zwei verschiedene Fragestellungen. Wie ist die Passage in 2.Korinther4 zu verstehen, also wer ist der "Gott dieser Welt", und als zweites, wie steht diese Passage zu jener Jesajastelle, die in Johannes12 zitiert wird, wonach es der Gott Israels ist, der die Heiden sehenen Auges nicht sehen macht.
1. Sprachlich wie inhaltlich findet sich die engste Parallele zu der 2Ko-Stelle in 1.Korinther2. Ich stell mal beide ein.
2.Korinther4,3-4
Wenn aber unser Evangelium doch verdeckt ist, so ist es [nur] bei denen verdeckt, die verlorengehen, den Ungläubigen, bei denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, damit sie den Lichtglanz des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus, der Gottes Bild ist, nicht sehen.
1.Korinther2,6-7
Wir reden aber Weisheit unter den Vollkommenen, jedoch nicht Weisheit dieses Zeitalters, noch der Fürsten dieses Zeitalters, die zunichte werden, sondern wir reden Gottes Weisheit in einem Geheimnis, die verborgene, die Gott vorherbestimmt hat, vor den Zeitaltern, zu unserer Herrlichkeit.
Im Griechischen steht für "dieser Welt" in 2Ko4 dasselbe wie in 1Ko2 für "dieses Zeitalters", nämlich tou aiônos toutou. Also "dieses Äons". Der Äon kann im Griechischen sowohl ein Zeitalter meinen als auch die Welt (dieses Zeitalters). An anderen Stellen kann es sogar Ewigkeit bedeuten. An beiden Stellen werden Wesenheiten genannt und auf "diesen Äon" bezogen. Der Gott dieses Äons und die "Fürsten" dieses Äons. Im Griechischen ist die Rede von Archonten. Ein Begriff, der ursprünglich ein menschliches Herrschaftsamt der altgriechischen Poleis meint, aber schon recht bald auch für überirdische machtvolle Wesenheiten stand. Wesenheiten, die Paulus für schlecht hält, denen er auch nachsagt, in böser Absicht für Christi Tod am Kreuz verantwortlich zu sein (einfach 1Ko2 weiterlesen).
Paulus spricht also an beiden Stellen von höheren Mächten, die ausdrücklich auf "diesen Äon" bezogen sind und ebenso ausdrücklich Christum wie dem Evangelium Schaden zufügen wollen. Und zugleich spricht er an beiden Stellen von der verdeckten bzw. verborgenen Verkündung des Evangeliums. Geradezu von einem Geheimnis.
Daß mit "dieser Welt", "diesem Zeitalter" eine negative, gottferne Größe gemeint ist, die nicht von der "Herrschaft Gottes, des Vaters Jesu Christi" geprägt ist, kann auch an anderen Paulus-Stellen erkannt werden, wo ebenfalls von "diesem Äon" die Rede ist.
Römer12,2: "
Und seid nicht gleichförmig dieser Welt"
1.Korinther1,20: "
Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortstreiter dieses Zeitalters? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?"
1.Korinther3,18: "
Niemand betrüge sich selbst! Wenn jemand unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, so werde er töricht, damit er weise werde."
Wer "diesen Äon" beherrscht, ihn inhaltlich bestimmt, kann nicht Gott, muß widergöttlich sein. Der "Gott dieser Welt" ist nicht der "Christengott".
Menschen, die "dieser Welt" entsprechen, unterliegen den hier wirkenden Mächten und sind daher "blind" für die göttliche Wahrheit des Evangeliums. Es ist ihnen verborgen, töricht und ein Ärgernis. Beide Passagen aus den beiden Korintherbriefen sagen praktisch dasselbe aus. In 1.Korinther2 wird dies auch nach den oben zitierten zwei Versen noch weiter ausgeführt. Gerade 1.Ko2 macht es eindeutig, daß der "Gott dieser Welt" nicht Gott ist.
2) Wenn nun der die "Weltmenschen" verblendende Gott dieser Welt nicht Gott ist, wie paßt das dann mit der Johannesstelle zusammen, wo doch offensichtlich der Gott Israels der ist, der verhindert, daß die Ungläubigen die Wahrheit sehen. Ich zitier auch diese Stelle.
Johannes12,37-40
Obwohl er aber so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn, damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt würde, das er sprach: `Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm des Herrn offenbart worden? Darum konnten sie nicht glauben, weil Jesaja wieder gesagt hat: `Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, dass sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.
Zwar kommt die Vokabel "verblenden" in 2Ko4 und ebenso in Jo12 vor, doch ist sie an der letztgenannten Stelle von den Augen her sachlich begründet (Augen - blind), steht in 2Ko4 dagegen in einem übertragenen Sinne (Sinn verblenden). Eine solche übertragene Begriffsverwendung ist dann auch das Verstocken der Herzen in Jo12. Es stehen also in 2Ko4 und in Jo12 eigentlich das Verblenden und das Verstocken einander gegenüber. Und das meint was anderes.
Das Verstocken verhindert keine Wahrnehmung, sondern die Akzeptanz des Wahrgenommenen. So heißt es in Jo12 ausdrücklich "Obwohl er aber so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn". Sie sahen die machtvollen Werke, wollten aber nicht glauben. Dies ist eine "Einstellungsfrage". So taucht die Vokabel "Verstocken" denn auch im AT bei den zehn Plagen Ägyptens auf. Der Pharao will Israel unter Mose ziehen lassen, verstockt dann aber sein Herz und läßt sie doch nicht ziehen, woraufhin es zu einer Plage kommt, sodaß der Pharao Israel dann doch ziehen lassen will - bis er sich wieder verstockt. Zuweilen heißt es auch, daß Gott ihn verstockt. Dennoch bedeutet das, daß dem Pharao selbst in seiner Verstocktheit klar ist, gegen wen er sich da auflehnt und was das für Konsequenzen hat (die nächste Plage).
Wenn wir den Freien Willen ernst nehmen, bedeutet ein "Gott verstockt die Herzen" nicht, daß Gott diese Verstockung selbst herbeiführt, sondern daß er es gewähren läßt, daß der Mensch seine Verstockung selbst verursacht (wie es beim Pharao immer wieder mal ausdrücklich so gesagt wird). Gott läßt es zu, was in gewisser Hinsicht ja dasselbe ist wie "Gott selbst tut es". Merkt man ja ganz gut, wenn jemand die Theodizee-Frage "warum läßt Gott Schlechtes zu" stellt. Sofern jemand diese Theodizeefrage rhetorisch stellt, also weil er eh Gott ablehnt und dies mit der Frage zum Ausdruck bringen will, gibt es praktisch keinen Unterschied mehr zu einem "Warum verursacht Gott dieses Schlechte".
Und so kann auch für einen Gläubigen selbst das Gewährenlassen von Negativem (wie z.B. der Selbstverstockung eines Menschen) als direktes Wirken Gottes bezeichnet werden. Jesaja45,6
Ende-7:
Ich bin der HERR - und sonst keiner -, der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Frieden wirkt und das Unheil schafft. Ich, der HERR, bin es, der das alles wirkt.
Dennoch ist es eben "nur" eine Verstockung, also keine Verhinderung der Wahrnehmung, sondern der Akzeptanz, der inhaltlichen Annahme. Das Verhindern der Wahrnehmung dagegen ist Part des "Gottes dieser Welt". Hier geht es, daß der Mensch mt seinem freien Willen die Chance erhält, das Gute zu sehen und sich dann doch vielleicht frei dafür zu entscheiden. Verstockung dagegen ist die freie Entscheidung gegen das, was doch gut ist. Verstockung ist, wenn heute (ok, mittlerweile gestern) einer auf Allmy schreibt, er wolle lieber mit dem Teufel in die Hölle wandern als von Gott in'n Himmel aufgenommen zu werden. Und ich würde ihm da seinen freien Willen nicht bei absprechen, obwohl ich theologisch sagen kann, daß Gott seinen Sinn verstockt hat.
Insofern sprechen 2Ko4 und Jo12 tatsächlich von zwei verschiedenen Akteuren, aber ebenso von zwei verschiedenen Aktionen. Das aktive Gewährenlassen des Freien Willens und das Verhindern einer Situation, die die "Gefahr" einer freien Entscheidung für Gott beinhaltet.