Beziehung zwischen Gott u. Jesus Christus - Betrachtung anhand der Bibel
22.06.2013 um 21:35
Die Sintflut fand statt
Auf dem Stand, den der Düsseldorfer Econ-Verlag in der Frankfurter Buchmesse Anfang Oktober eingerichtet hatte, lagen sechs Exemplare des Buches von Werner Keller "Und die Bibel hat doch recht"*). Mehr fertige Stücke gab es bis dahin nicht. Bis zum November aber hatte der Verlag schon 20 000, bis zu Weihnachten sogar 60 000 Exemplare an den Buchhandel ausgeliefert. Am 15. Januar wird die Gesamtauflage das erste Hunderttausend erreicht haben. Elf ausländische Verlage erwarben inzwischen das Recht, Kellers Buch zu übersetzen und nachzudrucken.
Das Ende dieser Kettenreaktion, deren Geschwindigkeit nahezu alle deutschen Bestseller-Erfolge in den Schatten stellt, ist noch lange nicht abzusehen. Der Verleger sieht alle seine "Dispositionen über den Haufen" geworfen, die er mit der Druckerei und der Buchbinderei getroffen hatte. Der 46jährige Autor Dr. Werner Keller, populärwissenschaftlicher Mitarbeiter an Zeitungen, betrachtet seinen Erfolg mit glücklicher Benommenheit.
Der ungewöhnliche Verkaufserfolg dieses Buches ist keineswegs damit zu erklären, daß im deutschen Lesepublikum ein besonderer Sinn für Frömmigkeit vorherrscht. Im Gegenteil: Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte in einer Zeit intakten Glaubens kaum so heftiges Interesse an einem Buch bestanden, das sich - seinem Titel nach - anheischig macht, den Inhalt der Bibel wissenschaftlich zu bestätigen. Es muß erst eine entgegengesetzte Meinung verbreitet sein, ehe die Behauptung sinnvoll und zugkräftig wird, daß die Bibel "doch" recht behalten habe.
Kellers Buch erfüllt zugleich zwei im deutschen Leserpublikum vorherrschende Wünsche:
▷ es befriedigt das weitverbreitete Interesse an der Archäologie, also an zuverlässigen Zeugnissen über die Vergangenheit und Herkunft des Menschen;
▷ es kommt der Sehnsucht nach dem Glauben entgegen, indem es eine sozusagen wissenschaftlich fundierte Brücke zum Inhalt der Bibel zumindest anbietet.
Der Titel läßt den um Orientierung bemühten Käufer hoffen, hier werde das Nicht-mehr-Geglaubte als richtig bewiesen und damit aufs neue glaubhaft. Diese Hoffnung wird auf einem kleinen, gelben Feld in der linken unteren Ecke des Schutzumschlages gleichzeitig genährt und gedämpft. Es heißt da: "Forscher beweisen die historische Wahrheit." Damit ist gemeint, daß sich der Autor nur um den "historischen Hintergrund" der Bibel bemühen wollte.
Keller kam auf den Gedanken, ein solches Buch zu schreiben, als er entdeckte, daß es noch nirgends eine zusammenfassende, auch für Laien verständliche Darstellung der in Universitätsbibliotheken, Instituten und Museen verstreuten Forschungsergebnisse aus dem kultur- und geschichtsgesättigten Raum um das östliche Mittelmeer gab.
In vier Jahren sammelte und sortierte Keller das umfangreiche Material aus Archäologie, Volkskunde und Sprachwissenschaft und ordnete es übersichtlich nach der Chronologie der Bibel, deren historische Berichte im wesentlichen die Zeit von 2500 vor Christus bis zur Zerstörung Jerusalems um 70 nach Christus umfassen.
Aber auch die Schöpfungsgeschichte, mit der die Bibel beginnt ("Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde") will Keller - in einem angehängten Kapitel - mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft aussöhnen. Dabei stützt er sich allerdings weniger auf wissenschaftliche Berichte als vielmehr auf eine Deutung naturwissenschaftlicher Ergebnisse, die Papst Pius XII. in einer Rede gegeben hat. Der Papst war damals zu dem Schluß gekommen, die moderne Physik habe die Richtigkeit der Schöpfungsgeschichte erwiesen und einen Beweis für die Existenz Gottes geliefert.
Auf festerem Grund steht Keller, sobald er erläutert, welche der biblischen Geschichten mit wissenschaftlichem Material belegt werden können. Daß - zum Beispiel - eine ungewöhnlich ausgedehnte Überschwemmung ("die Sintflut") um 4000 vor Christus stattgefunden hat, ist durch eine von Archäologen entdeckte Schicht aus Lehm und Schwemmsand nachweisbar. Reste des berühmten Turmes von Babel sind unter der Leitung des deutschen Forschers Professor Dr. Robert Koldewey bereits zwischen 1899 und 1917 zutage gefördert worden.
Auch das Rätsel des plötzlichen Unterganges der Städte Sodom und Gomorrha "konnte gelöst werden": Der amerikanische Gelehrte Jack Fringan formulierte 1951 die Ansicht, "daß ihre Vernichtung durch ein großes Erdbeben vor sich ging, das wahrscheinlich begleitet war von Explosionen, von Blitzen, von dem Austritt von Naturgasen und von allgemeiner Feuersbrunst". Dieses Erdbeben ereignete sich nachweislich etwa um 1900 vor Christus, also zu Lebzeiten Abrahams, dessen Neffe Lot - dem Buch Moses zufolge - mit seinen beiden Töchtern allein dem allgemeinen Untergang entronnen sein soll.
Solche sachlich zum Teil hochinteressanten und aufregenden Ermittlungen, archäologischen Resultate und kulturgeschichtlichen Erläuterungen bietet Keller seinen Lesern in einer betont leicht faßlichen, journalistischen Sprache an. Dabei verirrt er sich zuweilen auch auf polemische Nebengeleise. Er macht sich zum Beispiel die Mühe, Houston Stewart Chamberlain (1855 bis 1927) zu widerlegen, der Christus für die Arier gewinnen wollte, indem er ihm einen römischen Legionär als Vater zuschrieb.
Keller holt seinen Gegenbeweis aus der Bibel (deren historische Wahrheit er doch beweisen wollte). Im Neuen Testament wird Jesus als "Sohn Davids"*), also als Sohn aus Davids Geschlecht bezeichnet. "Das ist eindeutig gesagt und bietet Erwägungen über heidnische Herkunft keinen Spielraum", bestimmt Keller. Er übersieht dabei, daß die Bibel nur den gesetzlichen Vater von Christus, Josef, stammesgeschichtlich auf das Geschlecht Davids zurückführt, einen "leiblichen" Vater für Jesus aber ausschließt, da sie über die "jungfräuliche Empfängnis" der Maria keinen Zweifel erlaubt.
Einen solchen Glaubenssatz aber - daß die Jungfrau Maria ihren Sohn Jesus vom Heiligen Geist empfangen habe - kann Keller selbstverständlich nicht durch Zitate von Forschern wissenschaftlich belegen, wie überhaupt alle Angaben, die sich mit der Person Christi und den von ihm vollbrachten Wundern - also mit dem Neuen Testament - befassen, sehr viel vager und dürftiger ausfallen.
Auch Kellers Buch kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß in Sachen des Glaubens von der Naturwissenschaft ebensowenig Hilfe zu erwarten ist wie von irgendeiner anderen Wissenschaft. Allenfalls leistet sein Buch jenem beliebten Schluß Vorschub, daß in einem Bericht, der nachweisbare Fakten enthält, auch die nicht nachweisbaren Angaben stimmen werden.
*) Werner Keller: "Und die Bibel hat doch recht"; Econ-Verlag, Düsseldorf; 480 Seiten; 19,80 Mark.*) Matthäus 1, 1.
DER SPIEGEL 53/1955