E.Schütze schrieb:Ich denke, hier spielt auch eine gehörige Portion Missgunst und Selbstüberschätzung eine Rolle. Man fürchtet sich davor, dass Menschen, die "anders" sind, den gleichen Wohlstand erreichen könnten, wie man selbst. In den Augen vieler AfD-Fans erscheint das ungerecht, denn sie glauben, nur sie selbst hätten sich alles hart erarbeitet. Die Linken hingegen sind ja bekanntlich arbeitsfaul und die Ausländer kommen sowieso nur durch Kriminalität an Geld.
Für viele Dinge, die man nicht versteht, ist Neid eine mögliche Erklärung. Dass man sich in Deutschland so schwer tut, das Erreichte auch anderen zu gönnen, oder von dem, was man hat, etwas abzugeben, hängt aber auch mit einigen Besonderheiten unseres Landes zu tun, die den Vergleich mit ähnlichen Staatswesen verzerren.
Die OECD hat z.B seit dem 1960er Jahren immer wieder das deutsche Bildungssystem kritisiert, vor allem den geringen Anteil von Hochschulabsolventen. Nicht eingerechnet wurde dabei aber der hohe Qualitätsstandard nichtakademischer Bildungsgänge in Deutschland, besonders die vorbildliche berufliche Bildung.
Der deutsche Wohlstand der Vergangenheit wiederum zeigte sich weniger in individuellem Reichtum; vielmehr wurde der Wohlstand in einem guten öffentlichen Angebot an Krankenversorgung, Verkehrswegen, Post, Bahn usw. wahrgenommen, während die Bürger des Landes, im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, immer vergleichsweise arm waren. Der Anteil an Wohneigentum liegt in Deutschland im Europavergleich auf einem der letzten Plätze, die breite Masse der Bevölkerung dürfte auch sonst über kein nennenswertes Vermögen verfügen - eine starke öffentliche Daseinsvorsorge als Resultat kollektiver Leistung (Steuern) machte diesen Zustand nicht nur erträglich, er war Ausdruck eines spezifisch deutschen Weges, der im Wege der neoliberalen Wende, der Privatisierung der Staatsunternehmen, der Globalisierung und Migration, einseitig von oben aufgekündigt wurde.
Es erfolgte aber keine Ausschüttung der Dividende dieser Veränderungen an die Bevölkerung - eigentlich hätte man den Leuten keine Telekom-Aktien verkaufen dürfen, sondern sie an die Menschen kostenlos verteilen müssen, die jahrzehntelang dort mangels Alternative ihr Geld gelassen haben.
Dem Verzicht der Vergangenheit (relativ arme Bevölkerung) wurde die Dividende entzogen, während zeitgleich durch Zuwanderung der Kreis der Empfangsberechtigten ohne vorherigen Beitrag vergrößert wurde.
Die einseitige Aufkündigung des alten Sozialsystems, das man als "arme Bürger in einem reichen Staat'" bezeichnen könnte, ohne Ausschüttung der Dividende an die Bevölkerung, hat den Aufstieg der AfD sicher mit verursacht und mag die Klagen derjenigen, denen es noch (vergleichsweise) gut geht, teilweise miterklären. Es rechtfertigt gleichwohl in keiner Weise, deswegen Rechtsextremisten seinr Stimme zu geben, um es klar zu sagen.
Im Grunde hat die europäische Einigung die tradierten Besonderheiten der Mitgliedsstaaten teils unzureichend berücksichtigt.
Dass heute in verschiedenen Ländern Europas rechte Parteien die Webfehler der Angleichung für ihre Ziele ausnutzen, und in Deutschland kein Ausgleich für den früher geleisteten Verzicht erfolgte, sollte schnellstens korrigiert werden.