bgeoweh schrieb:Ja das ist genau der Punkt, dass Verständnis "Neoliberalismus == Ideologie" legt dich ja auf genau den Bereich der (Polit)soziologie fest der unter Neoliberalismus Marktradikalität versteht.
Das Wirtschaftswissenschaftliche Argument, dass Neoliberalismus nur ökonomische Policy ist zieht einfach nicht mehr, da man längst gesehen hat, dass die ökonomischen Imperative alle Aspekte des Lebens beeinflussen.
Richtig ist was Profit und Wachstum generiert klingt erstmal recht ökonomisch, aber informiert politisches Handeln viel mehr als nur dem ökonomischem Raum. Soziales und kulturelles sind davon genauso betroffen.
Neoliberalismus ist ein recht minimale Ideologie, deswegen passt sie sich auch problemlos westlichen Demokratien auf der einen Seite und fernöstlichen Autokratien auf der anderen Seite an, aber es ist dennoch eine Ideologie.
Den Neoliberalismus mit dem freien Markt gleichzusetzen ist aber völlig falsch.
Wäre das so, dann würde der Liter Benzin heute 8€ kosten.
Aber in einer Neoliberalen Welt ist es bspw. völlig normal
6.5% des globalen GDP als Subventionen für fossile Brennstoffe aufzuwenden um diese Industrien am Leben zu halten. Und dann wurdern wir uns wieso E-Mobilität noch nicht vollständig konkurrenzfähig ist?
Wie kann man sowas erklären ohne Machtstrukturen zu erörtern die der Neoliberalismus geschaffen hat?
Welche Rationalität liegt der Zerstörung des Planeten für kurzfristige Profite für ein paar Shareholder zugrunde?
bgeoweh schrieb:Es gibt aber noch andere, gleichwertige Denkschulen.
Und zwar?
Ich höre/lese das ständig, auch in der Literatur, dass die einseitige negative Perspektive auf den Neoliberalismus kritisiert wird und von einer alternative Perspektive geredet wird die angeblich genauso valide sein soll.
Aber niemand verweist auf diese Perspektive, niemand zitiert sie, niemand zieht sie heran um anderes zu widerlegen.
Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass das einfach nur die üblichen Zwischenrufe der Profiteure des Status Quo sind, die sich arrangiert haben und Veränderung verhindern wollen.
Ich mein, es gibt ja diese berühmten Graphen aus den USA die Reallöhne und pro-Kopf BIP Entwicklung gegenüber stellen.
Seit dem zweiten Weltkrieg sind beide gleichförmig angestiegen.
Dann kam Reagan mit seinen Reaganomics und die Reallöhne stagnierten während das BIP weiterhin stieg.
Bis heute wird Reagan für seine Wirtschaftspolitik in den USA gefeiert, obwohl die einzige dauerhafte Folge daraus war, dass ein paar Menschen extrem reich wurden während für alle anderen der amerikanische Traum langsam immer unereichbarer wurde.
Aber hey, Wachstum, Wachstum, über Alles, über Alles in der Welt.
Diese Diskrepanz zwischen den beiden Linien reflektiert unvorstellbare Summen die nun, statt relativ gleichmäßig auf den Bevölkerung verteilt zu werden in Form von Löhnen, auf eine kleine Elite an Industriellen verteilt wird, in Form von Wachstum ihrer Unternehmen.
Das sind Billionen und diese Geld ist in einem System wie den USA gleichbedeutend mit Macht.
Im Grunde passiert hier nichts anderes als das Schaffen einer neuen Monarchie, nur diesmal nicht basierend auf blauem Blut, sondern basierend auf obszönem Reichtum.
bgeoweh schrieb:Doch, die gibt es, du kennst sie nur nicht.
Gute Wissenschaft versteckt sich nicht.
bgeoweh schrieb:Übrigens macht man es sich intellektuell sehr einfach, alle anderen Ansichten pauschal als "Produkt von Thinktanks" abzuwerten.
Warum sollte ich es ernst nehmen, wenn Ölmilliardäre Menschen dafür bezahlen Argumente zu finden, warum wir weiterhin so viele fossile Brennstoffe wie möglich verbrennen sollten?
Warum sollte ich es ernst nehmen, wenn Milliardäre Menschen dafür bezahlen Argumente dafür zu finden, das Milliardäre in demokratischen Gesellschaften existieren sollten?
Warum sollte ich es ernst nehmen, wenn die Mächtigen Menschen dafür bezahlen Argumente dafür zu finden, dass es richtig ist, dass ausgerechnet diese Menschen die Macht haben?
Wissenschaftliche Methodik ist die Basis guter Wissenschaft. Affirmative Forschung ist genau das Gegenteil.
Nur kritische Forschung ist gute Forschung und kritisch bedeutet in dem Fall vor allem das hHnterfragen und Anzweifeln der Annahmen, die die Basis des Status Quo bilden.
bgeoweh schrieb:Das sollte dir eigentlich auch zu denken geben... der "große Satan" der für alle Übel dieser Welt verantwortlich ist ist normalerweise auch nur ein Hilfsmittel, um sich das Denken zu ersparen.
Jeder großen ideologischen Fehlentwicklung lag ein solcher singulärer "Satan" zugrunde. Der historische Kontext ist stets komplex, aber Knackpunkt kann bereits ein so einfaches Axiom wie "der Markt regelt" sein.
Wenn neoliberale Politik nicht Hauptursache so viele Probleme wäre, warum versuchen dann alle permanent davon abzulenken? Warum findet niemand die "wahren" Ursachen?
Um diese Diskussion produktiv zu halten:
Reduzieren wir das ganze mal auf den Fakt, dass sich seit 1980 die Vermögensverteilung drastisch geändert hat.
Während das Wirtschaftswachstum gleichförmig weiter stieg oder sogar zunahm, fiel die Entwicklung der Reallöhne immer weiter zurück.
Das ist die berühmte Schere zwischen Arm und Reich die weiter und weiter auf geht.
Ob ihr jetzt denkt, dass das eine Konsequenz Neoliberaler Politik ist oder nicht ist irrelevant. Die Fakten sind ja klar. Das Problem besteht, also wie lösen wir es?
Wie wirkt man dieser Umverteilung von Vermögen und Macht von unten nach oben entgegen?
Steuern + umfangreicherer Sozialstaat? BGE? Gewinnbeteilung?
Ich denke es steht fest, dass der Entwicklung entgegengewirkt werden muss, die Frage ist nur wie?