@sacredheart Gerne, es macht mir auch Spaß, mit dir zu diskutieren
:)Vorsicht, langer post. Ich musste es aber sagen und bin jetzt auch erstmal raus.
Einig sind wir uns darin, dass es eine Frage der Mentalität ist. Das ist es immer, es gibt Leute die eigentlich schlimme Lebensgeschichten haben und gut zurechtkommen und es gibt Leute, die wirklich alles haben und depressiv sind.
Wir sind uns auch darin einig, dass es nicht NUR um das Geld geht. Das alleine reicht noch nicht. Da muss auch schon vorher eine Erziehung zur Eigenständigkeit stattfinden. Ich gebe dir recht: Wenn ich jetzt einfach jedem das geld gebe, was er verdient, aber ohne arbeit, würden viele menschen damit nicht klar kommen und es würde ihnen eventuell sogar schlechter gehen.
Ich glaube es gibt zwei Punkte, die heute aber eben einfach unwiderbringlich anders sind als früher:
1) Der Arbeitsmarkt und das Bild von Arbeit in der Gesellschaft.
2) Die Menschen und ihre Ideale.
zu 1) möchte ich eine Anekdote erzählen. Anekdoten beweisen nichts, aber sie können illustrieren, was ich meine.
Als meine Mutter jung war, hat sie auf dem Jugendamt angefangen und sie hat da fast 45 Jahre lang gearbeitet. Anfangs gab es da einen gewissen zusammenhalt. Klar, nicht jeder mochte sich, aber es gab schon das bild 'die arbeit muss gemacht werden und wir machen das zusammen'. Man hat geguckt, dass da nichts liegen bleibt, der chef hat sich gekümmert und wenn man vernünftig gearbeitet hat, dann hat man real gesehen, dass das einen positiven effekt auf die bearbeiteten fälle hatte.
40 Jahre später sah das anders aus. Die Stadt hat eingespart wo es geht (und das ist sogut wie überall so). Da wurden Leute nicht mehr vernünftig eingearbeitet, man hat sich irgendwen ohne anderweitige ausbildung genommen, weil die billig sind.
Die ganze Belegschaft ist nicht, wie vorher, organisch gewachsen wo jeder jeden kannte, sondern wurde zu einem flickenteppich aus verschiedenen mitarbeitern, die sich alle nichtmal auf dem Flur gegrüßt haben, weil es gar keine gemeinsamen events oder treffpunkte mehr gab. Alles wurde fragmentiert, jeder arbeitet halt an seinen sachen.
Arbeit bleibt liegen? Scheißegal, die aufgabe des chefs ist es, das ein bisschen zu maskieren, damit das nominell gut aussieht. Hauptsache, die Stadt spart ein. In einem solchen Umfeld geht der Sinn verloren. Denn wenn man vorher ein kleines rädchen im getriebe war, so ist man jetzt ein rädchen, das sich zwar dreht, aber nichtmal glaubt, dass das für das getriebe irgendwas ausmacht.
Man holt sich das geld und das wars und glaubt nicht an die eigene Tätigkeit und die Leute um einen herum tun das auch nicht.
Das ist wie bei mietshäusern: Früher kannte man seine Nachbarn im Mehrfamilienhaus, heute würde niemand mehr auf die Idee kommen, sich vorzustellen, wenn man einzieht. So ist das auch bei Arbeitsbelegschaften oft: Die arbeit wird so fragmentiert, dass man, gefühlsmäßig, genausogut für den Mülleimer arbeiten könnte, wenn da nicht wenigstens noch ein Chef wäre, der einen dann anschreit.
Das mag jetzt eine Anekdote gewesen sein, aber sehen wir das nicht überall? Schau dir ein beliebiges deutsches amt an, gerade in der großstadt. Da wird abgefertigt. Guck dir an, wie man da miteinander umgeht. Diese Leute gehen nach der arbeit nicht noch einen trinken. Ein paar lernen sich da kennen, aber dann eher privat, nicht von der arbeit her.
Aus 'wir arbeiten hier gemeinsam' wie bei bergkumpeln wurde 'wir arbeiten im selben raum und manchmal kommen leute ins gespräch'.
Aus 'ich verrichte diese arbeit und das hat einen effekt, auf den ich dann stolz bin' wie heute wohl wenigstens noch beim Handwerker wird 'Ich mache sachen, die man mir sagt, aber ich sehe beim besten willen nicht, wem das wirklich etwas nutzt, weil nur noch getrickst und gespart wird'.
Ich will damit nicht sagen, dass es keine guten Arbeitsstellen gibt. Aber dass viele Arbeitssektoren, wo es mal stolz auf die arbeit gab, heute nur noch jobs und tasks enthält, auf die niemand mehr stolz ist. Da könnten wir uns auch ansehen, wie sich die arbeit und auch das gesellschaftliche bild von lehrern und polizisten geändert hat, oder ärzten und pflegekräften.
Wenn jemand sagt, das BGE sei nicht gut, weil dann die arbeit als Sinnstifter verloren geht, muss ich da sagen: Wir haben die Arbeit schon als Sinnstifter verloren bei den jungen Leuten. Und unser Problem ist, dass wir noch keinen neuen Sinnstifter haben, was uns zum zweiten punkt bringt.
2) Junge Leute heute sind sehr anders als ihre Eltern und Großeltern. Junge Leute werden von klein auf dauerbeschallt damit, dass sie sich ausleben müssen und dass sie etwas besonderes sind.
Wo früher jemand einen job angenommen hat und sich dachte 'die bezahlung ist in Ordnung, der job ist in ordnung, alles gut', denkt ein junger mensch heute dinge wie 'Zerstöre ich mit dieser Anstellung mein Leben? Ist das wirklich meine Endstation? Verkaufe ich mich hier unter wert? Hätte ich etwas anderes studieren sollen? Bin ich ein Versager dafür, dass ich nichts besseres gefunden habe?'.
Wenn dir von klein auf hohe ambitionen eingepflanzt werden, so, dass eigentlich jemand, der nicht studiert hat, schon irgendwie ein Versager ist in den Augen von vielen, dann ist 'einfach' eine Arbeit annehmen nicht so einfach.
Denn die leute haben dir 20 Jahre deines Lebens oder länger gesagt, dass du die Zukunft bist, an dir eigentlich das Schicksal der Welt hängt, du Künstler bist, Wissenschaftler und youtube star. Und diese hohe Messlatte hat dich nicht selbstbewusster gemacht. Nein im gegenteil: Die sagt dir nur, dass deine normale Arbeit deine Endstation ist und ziemlich enttäuschend.
Es ist, paradoxerweise, emotional oft einfacher, hartz 4 zu empfangen und sich einzureden, dass man grundsätzlich eigentlich schon irgendwie ein künstler oder intellektuell ist und irgendwann schon was aus sich macht, als einen enttäuschenden job zu haben, den man dann als endstation für sich anerkennen muss.
Wir haben da also Menschen, die sich immer, in jeder lebensentscheidung, fast pathologisch hinterfragen und fragen 'tue ich das richtige?' und einen arbeitsmarkt, der sie nicht in dessen Kollegennetz auffängt und ihnen eine Funktion gibt, sondern diese Enttäuschung noch verstärkt.
Und auch das, was vorher Leuten mit schlechten Jobs Sinn gab, fällt da ein bisschen weg. Wenn früher einen einen Scheiß Chef hatte, hat er die arbeit trotzdem gemacht, weil er dann mit dem geld nach hause kam und das ihm gereicht hat.
Aber bei der heutigen eher neurotischen jugend, die nonstop an sich zweifelt, hilft ein Kind dir nichts. Es lässt dich nur ebenfalls noch daran zweifeln, ob du ein gutes elternteil bist.
Der Onkel aus deinem Beispiel, der kannte seinen platz im leben. Junge Leute heute haben damit enorme Probleme, diesen platz zu finden. Die kennen ihren Platz im leben nichtmal, wenn sie einen haben, weil sie ständig darüber grübeln, ob ihr platz nicht eigentlich woanders wäre.
Wir reden über leute, die bis 25 häufig eigentlich noch kinder sind. Und das sage ich nicht, um gemein zu sein. Das gilt für mich auch, bis 25 war ich zumindest ein neurotisches Häufchen Elend, das schon sehr unangenehm fand, mit Fremden Menschen zu telefonieren. Da kann man sich drüber lustig machen, aber es geht vielen so.
Und da muss man sich über die gründe sehr eingehend klar sein, um wirklich zu verstehen, was für eine art von Mensch (und die Tendenz steigt ja noch), die hochsensibel und empathisch ist aber deswegen eben auch häufig schwer mit dieser Sinnentleertheit umgehen kann, da auf uns als Gesellschaft zukommt.
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Wenn wir diese beiden Punkte so betrachten (und die Tendenz steigt bei beiden), dann ist das für sich allein Genommen schon gesellschaftlicher Sprengstoff. Immer weniger sinnstiftende Arbeitsbedingungen treffen auf eine Arbeiterschaft mit immer höheren Ansprüchen und weniger Toleranz dafür, wenn diese nicht erfüllt werden.
Da sind stark steigende zahlen von burnout, faktischer arbeitsverweigerung oder eben arbeit nach minimalprogramm vorprogrammiert.
Aber jetzt spitzt die Automatisierung das auch noch immer weiter zu: Arbeiten werden immer spezialisierter (nur noch wenige können sie machen). langfristig wird es immer weniger arbeitsplätze geben und wir entwickeln uns hin zu Tasks.
So wie wir v orher eine arbeit hatten und jetzt jobs, haben wir dann keine jobs mehr sondern tasks, einzelne gezielte Tätigkeiten, die man kurzfristig ausübt und dann plötzlich etwas ganz anderes tun soll. Der SInn geht da noch weiter verloren, man entwickelt sich eher zum Mädchen für alles, was die Maschine nicht kann.
Die Gesellschaft verändert sich noch extremer, weil die Möglichkeiten zur Abschottung immer größer werden, genauso aber wie der Drang nach Individualisierung und danach, dass die Umgebung genau auf einen zugeschnitten ist.
Wenn wir das so laufen lassen und da gar nicht drauf reagieren, dann wird das für gewalttätige soziale Spannungen sorgen.
Und ich glaube, dass es dafür unausweichlich sein wird, dass Menschen zugestehen, nicht arbeiten zu müssen (bzw. ihr eigenes Ding zu machen, ob sie dafür geld bekommen oder nicht). Denn wir haben immer mehr Menschen, die mit dem, was wir ihnen als arbeit bieten, nicht klar kommen werden und schlichtweg niemanden etwas nützen, während sie durc haus potential haben, der gesellschaft einen nutzen zu erbringen, wenn sie selbst ohne diese selbstzweifeln irgendetwas tun, auch wenn das erstmal paradox klingt.
Im Beispiel: Mir bringt es als gesellschaft möglicherweise mehr, wenn einer zwar nicht arbeitet aber ein toller familienvater ist, der von seinem BGE fröhlich lebt und für seine Kinder da ist, als wenn ich jemanden habe, der arbeitet, die arbeit aber schlecht macht und danach burnoutmäßig so gestresst ist, dass er dann auch noch seine Kinder nicht richtig erzieht und mit nach unten reisst.
Wir müssen dabei natürlich dafür sorgen, dass die tasks, die ntowendig sind, erfüllt werden. Ob man dafür Anreize braucht oder sogar doch leichten zwang, das müssten wir testen und überprüfen. Aber das MÜSSEN wir dann auch recht zeitnah tun, bevor es zu spät ist.