sacredheart schrieb:Wir sind uns also einig, dass ein BGE Geld kosten würde, das versteht sich von selbst.
Klar, alles kostet Geld; darauf, dass das BGE mehr als das jetzige System kostet, würde ich mein Hinterteil allerdings nicht verwetten wollen.
Zur Frage der Finanzierung musste ich mich nochmal ein wenig in das Werk von Götz Werner vertiefen, schon eine Weile her, dass ich das gelesen habe, bei ihm ist das BGE einem Steuerfreibetrag gleichzusetzen, der ja bereits gewährt wird. Allerdings ist er auch der Auffassung, dass selbst eine Ausschüttung des Grundeinkommens an jeden Bürger keine Löcher in den Staatshaushalt reißen würde; er hat da ein Beispiel aus dem Jahr 2009, wo die Sozialausgaben 750 Mrd. betrugen, bei gleicher Verteilung auf alle wären das 9000 € pro Nase im Jahr, im Vergleich dazu waren es im Jahr 2000 7800 € gewesen. Das ganze wäre also gar nicht mal so weit von den 1000 Euro monatlich entfernt. Zieht man dann noch die Kosten für den Verwaltungsaufwand ab und bedenkt man das freiwerdende Kapital durch die ebenfalls anvisierte Abschaffung von Subventionen, eine ganz wichtige Sache, käme man da schon ganz klar in den Bereich. Darüber hinaus weist Werner zu Recht darauf hin, dass man schließlich nicht die totalen Kosten hernehmen kann, sondern lediglich den Mehraufwand im Verhältnis zum derzeitigen System. Quelle: Götz Werner & Adrienne Goehler "1000 € für jeden" (2010)
sacredheart schrieb:Wenn nun aber die Produkte, wie von Dir beschrieben gar nicht viel mehr Geld kosten würden, weil ja andere Steuern wegfallen, kommt ja gar nicht viel mehr Geld rein. Das wäre also schon mal nix. Falls doch viel mehr Geld reinkommt, müssen die Produkte auch massiv teurer werden. Das ist was anderes als eine 0,5% Punkt Erhöhung der Mehrwertsteuer, sondern eine drastische Abkehr, die dann Sparvermögen halbiert. Das nennt man Enteignung.
Ich muss mich da doch noch selber berichtigen, denn zuvor habe ich wohl den Eindruck vermittelt, als sei die Konsumsteuer das Finanzierungsmodell, das ist so nicht ganz richtig, wie ich jetzt feststellen musste, sie ist lediglich ein Baustein. Werners Argument für die Konsumsteuer ist, dass sie mehr Transparenz schafft, da sie keine versteckten Subventionen beinhaltet, für die der Kunde letzten Endes auch noch aufkommt, wo er ja ohnehin alles zahlt. Ein bisschen ein anderes Thema.
sacredheart schrieb:Die meisten sind ja nicht Bildhauer oder Meeresbiologe oder Supermodell, sondern Briefträger, Lagerarbeiter oder machen GasWasserScheisse und bestimmt nicht wegen der Selbstverwirklichung im Abfluss.
Die werden aber irgendwann gar keine andere Möglichkeit mehr haben, als sich anderweitig umzuschauen, wenn ihre Berufe eines Tages wegrationalisiert werden, weil der Kollege aus Chrom und Stahl übernimmt. Meeresbiologen, Bildhauer und Models dürften als Berufsprofile dagegen wahrscheinlich etwas mehr Beständigkeit haben.
Suppenhahn schrieb:Was im Endeffekt bedeutet, dass die meisten Menschen dazu "gezwungen" sind zu arbeiten, einen Teil ihres Einkommens, der größer sein wird als heute, als Steuern abgeben werden müssen und dieses Geld dann wieder an alle verteilt wird.
Gezwungen eben nicht, sie können auch einfach nicht arbeiten, wenn sie wollen und wären dennoch grundversorgt, ohne dass sie z. B. eventuelles Vermögen preisgeben müssten, wie das jetzt der Fall ist. Setzen wir das BGE bei unter 1000 € an, bei 800 oder 700, das ist halt z. B. in München sehr wenig, in manchen anderen Regionen kann man davon ganz gut leben, auch das ist zu berücksichtigen. Bzgl. Steuern s. o., es ist eben nichts als ein Mythos, dass die über dem Niveau im jetzigen System lägen.
Suppenhahn schrieb:Da muss ich dich leider enttäuschen, der Faktor "menschliche Arbeitskraft" ist in sehr vielen Branchen einer der größten Kostenfaktoren.
Genau deswegen werden Unternehmen eher dazu übergehen, Maschinen die Arbeit übernehmen zu lassen, sobald sie die Arbeit gleichwertig wie ein Mensch machen können und in Anschaffung und Unterhalt entsprechend günstig sind. Menschen sind unterm Strich "im Unterhalt" einfach teurer und ineffizienter als Maschinen, selbst wenn sie kaum was verdienen. Hatte ich vorher auch schon geschrieben. Dass Personal der größte Kostenfaktor ist, sagt also diesbezüglich gar nichts aus, im Gegenteil, es bestätigt sogar die These, dass menschliche Arbeitskraft zunehmend durch maschinelle Arbeitskraft ersetzt wird, was zu den beschriebenen Effekten führt. Momentan ist es die Digitalisierung, auf längere Sicht haben wir es dann noch mit Robotik, KI und solchen schönen Sachen zu tun, das Zeug wird dann auch zunehmend billiger, da kann der Mensch dann mit all seinen Bedürfnissen eben irgendwann als Arbeitskraft nicht mehr mithalten.
Nachdem wir die Detailfragen nun geklärt hätten nochmal zum Allgemeinen. Wie hier schon von einigen Usern geschrieben wurde, etwas wie das Grundeinkommen, in welcher Form auch immer, wird kommen, so oder so, das ist mal sicher. Die Frage ist nur, ob es kommt, bevor die Bosse am Laternenpfahl aufgeknüpft werden oder erst danach ;P
Ich habe immer immens viel Verständnis für Bedenkenträgerei, bin selber nicht gerade die Ausgeburt von überschäumender Experimentierfreude, allerdings halte ich gar nichts davon, wenn man die Augen vor Problemen verschließt, die offensichtlich sind, das kann u. U. ganz bitter enden. Und angesichts dessen alles einfach irgendwie so weiter laufen lassen, indem man sich in Illusionen versteigt, könnte man eben wiederum als äußerst wagemutiges Experiment betrachten. Beim BGE geht es tatsächlich um etwas, das im Bereich der Machbarkeit liegt und das durchaus Antworten auf einige drängende Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung im 21. Jh. bereithält.
Was "die Leute" dann mit dem BGE machen, wenn sie nur davon leben, darüber wurde hier auch schon spekuliert, ob sie nun Opern komponieren, Kindern in Afrika helfen oder den ganzen Tag Unterschichten-TV glotzen, spielt dabei keine Rolle, geht auch letztendlich niemanden etwas an. Ist ihre Sache und einen Nanny-Staat oder eine Nanny-Gesellschaft, wo auch noch darüber gewacht wird, dass die Leute was vermeintlich "sinnvolles" tun, braucht nun wirklich keine Sau. Ein nicht unwesentlicher Aspekt beim BGE ist eben auch die persönliche Freiheit und die besteht u. a. auch darin, ein "Nichtsnutz" zu sein.