Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie
24.11.2011 um 18:05Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie niem`kay
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie niem`kay
BERLIN taz | Gibt es noch weitere Untergrund-Neonazis? Militante Rechtsextreme, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, der aber nicht vollstreckt werden kann, weil sie schlicht und einfach nicht aufzufinden sind?Bis ins ferne Waziristan
Das ist eine Frage, die nach dem Bekanntwerden der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) die Innenexperten aller Fraktionen umtreibt. Nur: Die Sicherheitsbehörden können ihnen darauf bisher keine Antwort geben. Die „Aufenthaltsermittlung“, wie es im Bürokratensprech heißt, gestaltet sich offenbar schwierig.
Wie ratlos Polizei, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft bei dieser Frage sind, zeigt das Protokoll der viereinhalbstündigen, vertraulichen Sitzung des Bundestagsinnenausschusses von Anfang dieser Woche, das der taz vorliegt.
Da stellt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) eine ziemlich simple Frage: „Gibt es noch andere Rechtsextremisten, die per Haftbefehl gesucht werden, aber nicht zu finden sind?“ Was darauf von den Vertretern der Sicherheitsbehörden folgt, ist die schiere Ratlosigkeit. „Das kann ich im Moment nicht verbindlich sagen“, sagt der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm. „Das müssen wir klären.“
Darauf die Vizechefin des hessischen Verfassungsschutzes: „Ich kann mich dem anschließen“. Und schließlich der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, dem Land also, aus dem das Terror-Trio des NSU kommt: „Ich sehe es auch so.“
Laut Protokoll der Innenausschuss-Sitzung werden die Parlamentarier danach ungehalten. „Sie wissen nichts?“, ruft jemand aus der SPD. Und auch Wolfgang Bosbach von der CDU verliert die Contenance. „Liebe Leute, jetzt muss ich aber einmal etwas sagen“, wird er zitiert. „Ich bin ja an und für sich gemütlich vom Wesen her. Aber nach so einem Komplex muss man doch wissen, ob es Haftbefehle gibt und diejenigen, die man sucht, untergetaucht sind.“http://taz.de/Terror-von-rechts/!82549/
Die Frage nach nicht vollstreckbaren Haftbefehlen, so Bosbach weiter, „kann man doch nicht mit Nichtwissen beantworten“. Um schließlich sein Statement mit einem sarkastischen „Herzlichen Glückwunsch“ zu beenden.
Noch drei Tage nach der Sondersitzung war bei den Mitgliedern des Innenausschusses das Entsetzen zu spüren. Bei jedem Islamisten, der durch radikale Sprüche in der Moschee auffalle und dann irgendwann vom Radar verschwinde, klingelten sofort die Alarmglocken, sagte am Donnerstag der Grünen-Innenexperte Wolfgang Wieland. Dann suche man im fernen Waziristan nach ihm.
Nur bei der Frage nach untergetauchten Rechtsextremisten ist in Deutschland alles anders – da herrscht die große Ahnungslosigkeit.
Can schrieb:Bei jedem Islamisten, der durch radikale Sprüche in der Moschee auffalle und dann irgendwann vom Radar verschwinde, klingelten sofort die Alarmglocken,[...]
Can schrieb:Nur bei der Frage nach untergetauchten Rechtsextremisten ist in Deutschland alles anders – da herrscht die große Ahnungslosigkeit.Weil zu dem Zeitpunkt noch keiner von rechten Terror ausging. Obwohl Terror nicht in die Definition passt. Die Morde wurden öffentlich keiner Organisation zugeschrieben. Eine Fahndung, in Richtung rechter Terror, wurde demnach nicht angestrebt.
Foss schrieb:Weil zu dem Zeitpunkt noch keiner von rechten Terror ausgingWie werden "Zeitpunkte" eigentlich definiert ?
richie1st schrieb:Die Ermittler im Fall des Neonazi-Trios sind einem Medienbericht zufolge über den Verbleib von mehr als 38 Kilogramm Sprengstoff TNT beunruhigt, der 1991 aus einem Bundeswehr-Munitionsdepot nahe dem thüringischen Großeutersdorf gestohlen wurde.verschenkt, nicht gestohlen, wenn der verfassungsschutz über vleute sprengstoff verteilt dann ist das kein diebstahl sondern eine schenkung.
BERLIN taz | Der Verdacht kursierte seit Tagen, jetzt hat die Polizei den Thüringer Neonazi Ralf Wohlleben festgenommen. Und wenn alles stimmt, was die obersten Terrorermittler Deutschlands ihm vorwerfen, dann hat nicht nur er ein Problem, sondern auch die NPD.Aufstieg in der NPD
Schon seit Anfang der 90er war Wohlleben eng mit den späteren Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe befreundet. Zusammen tauchten sie im Jugendzentrum in Jena-Winzerla auf, bis sie Hausverbot bekamen. Ab 1996 bildeten sie den Kern der Kameradschaft Jena im "Thüringer Heimatschutz". Auf Fotos aus dem Jahr marschiert der hagere Wohlleben in Armeehosen und Springerstiefeln aus einem Erfurter Gerichtsgebäude. Vor ihm: Mundlos und Böhnhardt, die eineinhalb Jahre später mit Zschäpe in den Untergrund abtauchten.
Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass Wohlleben die Verbindung zu seinen alten Kameraden nie gekappt hat. Mehr noch: Er soll dem Terrortrio bei der Flucht geholfen, von ihren Taten gewusst und ihnen vor rund zehn Jahren über einen Kurier eine Waffe samt Munition geschickt haben. Auch wenn es sich dabei nicht um die Waffe handeln kann, die der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) für die Hinrichtung von neun Migranten benutzte, wirft die Bundesanwaltschaft ihm Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen vor.
Wohlleben habe "billigend in Kauf" genommen, "dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden könnte", so die Anklagebehörde. Seit Dienstag sitzt er in U-Haft. Zuvor hatte er gegenüber der Presse noch bestritten, etwas mit den Taten zu tun zu haben.
Die Festnahme von Wohlleben wird die Debatte um ein NPD-Verbot weiter befeuern. Denn: Wohlleben war nach dem Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zeitweise zu einem der führenden Kader der NPD in Thüringen aufgestiegen. Er wurde Kreischef in Jena, Pressesprecher und schließlich von 2002 bis 2008 Vizelandeschef. 2010 verließ er zwar die Partei, blieb ihr aber weiter eng verbunden, wie interne E-Mails zeigen, die der taz vorliegen.Ein rechtsextremer Webmaster
Wohlleben war lange das Bindeglied zwischen der NPD und den Neonazi-Kameradschaften in Thüringen. Die Zusammenarbeit sei "für beide Seiten effektiv, ja sogar notwendig", schrieb er selbst 2005 im Internet. Für die enge Verbindung der rechtsextremen Spektren steht das "Braune Haus" in Jena-Lobeda, die ehemalige Gaststätte "Zum Löwen".
Wohlleben hatte sie im Jahr 2002 zusammen mit anderen Neonazis in ein "nationales Wohn- und Schulungsobjekt" umgebaut. Über die Jahre fanden dort immer wieder NPD-Parteitage, Kameradschaftstreffs, Vorträge und rechtsextreme Liederabende statt. Inzwischen wurde das Haus aus baurechtlichen Gründen geschlossen, doch laut Beobachtern fanden im Garten noch vor kurzem in einem NVA-Zelt rechtsextreme Events statt.
Einen der "führenden Neonazis" des Landes nennt der Thüringer Verfassungsschutz Wohlleben in einem seiner Berichte. Die Mobile Beratung in Erfurt nennt ihn einen "Überzeugungstäter". Immer wieder meldete Wohlleben Demos an, organisierte den "Thüringentag der nationalen Jugend" oder das "Fest der Völker", bei dem rechtsextreme Redner und Skinhead-Bands aus ganz Europa auftraten. Er selbst zeigte sich bei Demos gerne in schwarzer Lederjacke und skandierte: "Hier marschiert die deutsche Jugend!"http://taz.de/Fuehrender-Neonazi-in-U-Haft/!82803/
Von Beruf ist Wohlleben Informatiker, und so fungierte er für die rechtsextreme Szene in Thüringen auch als Webmaster. Er stellte der NPD und loser organisierten Nazi-Gruppierungen Speicherplatz für Internetseiten zur Verfügung. Als 2006 sein Server gehackt wurde, waren ein Drittel der rechtsextremen Seiten Thüringens nicht zu erreichen.
Wohlleben mischte auch beim "Freien Netz" mit, einem Zusammenschluss von Kameradschaften aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In einem internen Forum, das der taz kürzlich zugespielt wurde, besprachen die Neonazis militante Aktionen. Auf den Vorschlag, beim Nazi-Aufmarsch in Dresden 2009 "die Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln", antwortete Wohlleben: "Die Wache der Miliz anzugreifen, findet bei uns bestimmt auch breite Zustimmung."
Sie verlangen auch, dubiose Vorkommnisse aus der Vergangenheit - ungeklärte Wohnungsbrände oder Anschläge auf Moscheen - neu aufzurollen. Dies sei ihnen zugesichert worden.@Jimmybondy
Acht Fälle von Terror-Gruppendas alles ist eine verdammt beunruhigende situation - und das schlimme daran, dass darauf schon lange aufmerksam gemacht wurde
Nicht nur mit Waffen, sondern auch organisatorisch rüsten die Rechtsextremen offenbar auf: Im Bereich der rechtsextrem motivierten Kriminalität sind laut Bundesinnenministerium seit 2001 elf Fälle von kriminellen Vereinigungen und acht Fälle von terroristischen Vereinigungen registriert.
Laut Statistik der Bundesanwaltschaft werden seit dem Jahr 2001 gegen 13 Gruppierungen Verfahren nach Paragraf 129 a („Bildung einer terroristischen Vereinigung“) geführt.
Erfurt. Zehn der 25 kommunalen Mandatsträger der extremen Rechten wurden in 29 Fällen rechtskräftig verurteilt, darunter in zwölf Fällen zu Freiheits- und Jugendstrafen. Dies ergab sich aus der Antwort auf eine von Martina Renner gestellte parlamentarische Anfrage an die Landesregierung. Zu den Straftatbeständen gehören Volksverhetzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ebenso wie auch Körperverletzung, Brandstiftung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und unerlaubter Besitz einer verbotenen Waffe.