Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie

arpanet schrieb:"Es spricht daher vieles für die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie.""

Ja, tut es.
Aber das Motiv der Tat nährte sich aus Verschwörungstheorien, die man genauso, manche abgewandelt im Netz findet: Die Überlegenheit der weißen Rasse, den Kulturkampf, Weltverschwörungen, Mindcontrol, ... das ganze Programm.
Dabei schreibt er darüber ganz sachlich, in sehr präziser Sprache, fehlerfrei über 24 Seiten.
(Ja, ich hab´s heute früh gelesen.)
Er scheint keiner mit Aluhut oder Videokanal zu sein, auf dem er die Verfolgung "dokumentiert" und Postboten und Müllmänner filmt, oder Passanten auf der Straße.
Auffällig wäre nach außen nur gewesen, dass er nie eine Freundin hatte.

Für mich sieht es darum so aus, als hätte er sein Leben noch ganz gut im Griff gehabt und nicht wie in "A beautyful Mind" ganz in einer phantasierten Parallelwelt gelebt.

Und wie viel Paranoia ist in jeder Verschwörungstheorie?

FF schrieb:Und wie viel Paranoia ist in jeder Verschwörungstheorie?

Gute Frage. Ich bin kein Fachmann, kann nur vermuten. Vielleicht so eine Art Projektionsfläche für eigene Schwierigkeiten? So etwa nach der Art: "Ich habe jetzt die Lösung für meine Probleme: die xxx sind Schuld".
Wobei xxx hier für eine eigentlich beliebige Person/Gruppe steht, die dann natürlich nach dem eigenen Weltbild/nach Sympathie gewählt wird.

@Lupo54
Vereinfacht kann man es wohl so sehen. Eine psychische Störung kann da Nahrung oder eine Projektionsfläche finden.
Ich erinnere mich noch lebhaft an die Chemtrail-Diskussion hier bei Allmy... da ist bei denen, die an Chemtrails glauben, eigentlich immer mehr oder weniger Wahn dabei.

Und wenn man sich überlegt, was Rassismus beinhaltet... die Abwertung ganzer Völker, die Leugnung fremder Kulturleistungen oder kulturellen Austausches, das Postulat reiner Rassen usw sind doch im Kern auch ziemlich paranoid.

Hayura schrieb:Psychisch Krank und Rechtsradikal schliessen sich nicht aus. die Motivation war klar Rechtsradikal, das er noch psychisch krank war, ändert daran nichts.

Ich bin mir nach dem Lesen seines Manifestes da nicht mehr so sicher.
Es gibt im Manifest ganz klar rassistische Äußerungen, Herrenrasse-Denken usw.
Seine - ich nenn es der Einfachheit halber mal "Geisteskrankheit" - Geisteskrankheit scheint er aber schon vor der Entwicklung zum Rassisten gehabt zu haben. Offensichtlich - imo - hat seine Geisteskrankheit mehrere vielschichtige Konflikte in seinem Dasein hervorgerufen, der Rassismus ist eines davon und in seinem Manifest spielt der Rassismus auf den 24 Seiten eine untergeordnete Rolle, höchstens maximal gleichwertige Rolle zu vielen anderen Themen.

Breivik zum Beispiel war ein ganz anderes Kaliber - voll zurechnungsfähig und das komplette Manifest nationalistisch und rassistisch geprägt.

Das sagt Gauland dazu. Ich kann leider am Handy keine Beschreibung aus YT rauskopieren.

Alexander Gauland zum rechtsterroristischen Anschlag in Hanau am 20.02.20

Externer Inhalt
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Alexander Gauland zum rechtsterrorisrischen anschlag auf zwei Shisha Bars in Hanau

Und Höcke schreibt:

„Der Wahnsinn scheint sich in diesem Land immer mehr auszubreiten.“

https://www.deutschlandfunk.de/reaktionen-auf-anschlag-in-hanau-kampf-um-die.2852.de.html?dram:article_id=470753

Als würde sich der Brandstiffter wundern wenn es brennt.

Gauland findet es also schäbig so eine Tat zu instrumentalisieren. Sagte er das auch immer wenn aus der AfD auch Frau Merkel die Schuld für Todesopfer gegeben wurde?

Der rechtsradikale Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke schrieb auf Twitter: “Der Wahnsinn scheint sich in diesem Land immer mehr auszubreiten”. Am Montag bei Pegida in Dresden hatte er die Bundesrepublik ein “Irrenhaus” genannt, die Staatsanwaltschaft Dresden prüft, ob Volksverhetzung vorliegt. So nutzt Höcke das Attentat von Hanau für seine eigene politische Agenda.

Der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski schreibt: “Mindestens 11 Tote und mehrere Schwerverletzte bei Angriff auf Shisha-Bar. Ist das wirklich noch das 2017 von der Merkel-CDU beschworene ‘Deutschland in dem wir gut und gerne leben?’” und macht damit die Migrationspolitik der Kanzlerin für die rassistische Attacke verantwortlich.

Die Vizefraktionsvorsitzende im Bundestag Beatrix von Storch schreibt von einem “psychotischen Amokläufer” und teilt auf Twitter mit: “Diese Wahnsinnstat erfüllt uns mit Wut und Abscheu.” Von seinem rassistischen Motiv schreibt sie nichts, ebenso wenig die Bundestags-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel in einer gemeinsamen Presseerklärung, in der sie allgemein von einem “abscheulichen Verbrechen” und einer “grauenvollen Gewalttat” sprechen.

Der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio warnt davor, die “unentschuldbare Gewalttat eines offensichtlich massiv psychisch gestörten Einzeltäters zu instrumentalisieren” – von dessen offen zu Tage tretendem gewalttätigen Rassismus schweigt auch er.

https://www.rnd.de/politik/hanau-so-perfide-reagiert-die-afd-auf-die-morde-7VM3VXJBPVH7BIEYR5A54QBHNA.html

Wenn man Rechtsextremisten Glauben schenken würde, könnte man diesen Thread schließen, einen über psychische Krankheiten eröffnen.
Dann entfiele aber auch jede Veranlassung die AfD zu wählen!

Diese Veranlassung bestand sowieso noch nie!
edit:
Besteht die AfD jetzt aus Psychiatern und Therapeuten?

eckhart schrieb:Wenn man Rechtsextremisten Glauben schenken würde, könnte man diesen Thread schließen, einen über psychische Krankheiten eröffnen.

Ich bin mir selber nach Lesen seines Manifestes nicht sicher, ob das für diesen Fall nicht sogar angebracht wäre - ungeachtet der Kommentare der AfD Spitzen.

eckhart schrieb:Dann entfiele aber auch jede Veranlassung die AfD zu wählen!

Gute Schlussfolgerung.

eckhart schrieb:Besteht die AfD jetzt aus Psychiatern und Therapeuten?

Ein Psychopat ist ist auch psychisch krank. Diese kranken Köpfe gibt es überall zu finden und werden erst wirklich auffällig, wenn sie morden. Denn ansonsten verhalten die sich zwar irre, aber es muss nicht immer zum Mord führen. Aber schon eine Wahnhaftigkeit ist da zu diagnostizieren. Vor allem sind Psychopaten sogar in der Regel intelligent. Während der Soziopath nicht unbedingt erfolgreich durch Leben geht.

https://mymonk.de/psychopath-soziopath/

o erscheinen sie Mitmenschen als völlig normal. Psychopathen sind anders als die Soziopathen oft sehr gut gebildet und in der Lage, Jobs lange zu halten und Karriere zu machen.

FF schrieb:Dabei schreibt er darüber ganz sachlich, in sehr präziser Sprache, fehlerfrei über 24 Seiten

Auf jedenfall scheint es, dass beim Täter nicht die fehlende Schulbildung das Problem war... genauswenig wie das das Problem bei den führenden AFD Politikern ist... aber es sind auch nicht alle nach Deffinition Geisteskrank.. wobei ich beim Täter diese Diagnose nicht ausschliessen würde.

SunziChris schrieb:eckhart schrieb:
Besteht die AfD jetzt aus Psychiatern und Therapeuten?
Ein Psychopat ist ist auch psychisch krank. Diese kranken Köpfe gibt es überall zu finden und werden erst wirklich auffällig, wenn sie morden.

Bist Du wirklich sicher, dass Du von der AfD redest?
Dann bin ich ja beruhigt!

behind_eyes schrieb:Ich bin mir selber nach Lesen seines Manifestes nicht sicher, ob das für diesen Fall nicht sogar angebracht wäre - ungeachtet der Kommentare der AfD Spitzen.

Nein, das wäre es nicht.Jeder Mensch, auch die Attentäter, Terroristen, Amokläuferen hat eine psychische Konstitution, die Handlungen und Denkweise begründet.
Attentäter, Terroristen etc. sollten also auch psychisch betreut werden und bei Anlass auch begutachtet etc. Das trifft auf einen kaltblütigen Breivik genauso zu wie auf einen scheinbar emotional labileren David A.

Wenn eine Person unter Wahnvorstellungen leidet und in Hollywood Plakate in die Luft hält und mit Klagen droht, weil man seine Ideen nutzen würde oder irgendwelche unterirdischen Bunker sucht, dann sollte dieser Mensch vermutlich therapiert werden; je nach individuellem Leid.
Wenn eine Person so stark unter Wahnvorstellungen leidet, dass er seine Peiniger, die laut Wahnvorstellung die Militärs oder weiß der Geier wer sind, versucht anzugreifen oder gar zu töten, dann ist das schon ein kleines Politikum: Ein psychisch gestörter Mensch wurde scheinbar lange untherapiert sich selbst überlassen und eventuell sind die Sicherheitsvorkehrungen an (Militär-)Gebäuden ungenügend. Das ist dann teilweise eine Frage der öffentlichen Sicherheit und der Gesundheitsversorgung etc.

In diesem Fall greift eine vermutlich gestörte Person aber weder das Militär, den angesprochen "Feind" an, noch wahllos irgendwelche Menschen, sondern gezielt eine Menschengruppe, die er aufgrund seiner rassistischen Anschauung ausgesucht hat.
Die politische Dimension der Tat ist also klar gegeben. Der "wahnsinnige", gestörte Tobias greift nicht Trump an und beschimpft ihn via twitter, weil er sein Slogan nutzt, der "wahnsinnige" und offensichtlich rechtsextreme (oder "nur" rassistische, fremdenfeindliche) Tobias tötet eine Menschengruppe, die er für Ausländer hält. Nicht aus Zufall, er tötet sie, weil er sie für Ausländer hält.
(Wahnsinn deshalb in Anführungsstrichen, weil ich nicht glaube, dass es so eine Diagnose gibt.)

Gerne kann man auch unter der Rubrik Menschen die Psyche etc. besprechen. Im Bereich Politik aber muss darüber gesprochen werden, wieso es zu dieser Tat kam und wieso solche Taten vermehrt auftreten.

Es treibt immer absurdere Blüten.

Spiegel-Autor Jakob Augstein:
"Die Wegbereiter der Gewalt haben Namen und Adresse: Sarrazin, Broder, Tichy, und andere, die die Verrohung des Diskurses vorangetrieben haben."
https://twitter.com/Augstein/status/1230528726431150080 (Archiv-Version vom 20.02.2020)

4000 Likes, 700 Retweets
Möchte man nun, dass im Rahmen des Kampfs gegen Nazis irgendetwas mit oder an der Adresse des jüdischen Autors Henryk M. Broder gemacht wird?

Nicht mehr lange, dann sind manche beim "Full Circle".

Allerdings kenne ich sein Manifest nicht. Sollte er also die Shisha-Bar für die Zentrale des militärisch-industriellen Komplexes halten, von der aus die Amis in Kooperation mit türkischen Geheimdienstlern ein Überwachungsmachtapparat betreiben oder irgendein entfernt ähnlicher Mist, dann überdenke ich meine Position vielleicht.

vincent schrieb:In diesem Fall greift eine vermutlich gestörte Person aber weder das Militär, den angesprochen "Feind" an, noch wahllos irgendwelche Menschen, sondern gezielt eine Menschengruppe, die er aufgrund seiner rassistischen Anschauung ausgesucht hat.

Die Frage die ich mir stelle: hätte er das auch getan, wenn er die "Geisteskrankheit" - die laut seinem Manifest so viel mehr Facetten hatte als "nur" Rassismus - nicht gehabt hätte?
Meine Vermutung ist, daß er - sollte er noch leben - nicht aufgrund einer rassistisch motivierten Tat verurteilt worden wäre sondern für Mord aufgrund seiner "Geisteskrankheit" mit Psychiatrie Einzug.

vincent schrieb:Gerne kann man auch unter der Rubrik Menschen die Psyche etc. besprechen. Im Bereich Politik aber muss darüber gesprochen werden, wieso es zu dieser Tat kam und wieso solche Taten vermehrt auftreten.

Absolut. Ich werde aber das Gefühl nicht los das diese Tat nicht sehr geeignet ist, wenn überhaupt, um das definitiv wichtige Thema "vermehrter Rassismus in der Gesellschaft" zu untersuchen. In meiner Wahrnehmung stellt seine Persönlichkeit einen durch seine Krankheit komprommitierten ungeeigneten Untersuchungsgegenstand dar für dieses Flächenphänomen.

vincent schrieb:Sollte er also die Shisha-Bar für die Zentrale des militärisch-industriellen Komplexes halten, von der aus die Amis in Kooperation mit türkischen Geheimdienstlern ein Überwachungsmachtapparat betreiben oder irgendein entfernt ähnlicher Mist

Man weiß es nicht, ich muss aber auch sagen das das Manifest keinen Anlass gibt, dies zu denken. Der Rassismus ist im Manifest ein untergeordneter Komplex, allerdings der Einzige der sich mit der Tat deckt. Er sagt aber auch, daß das Manifest nur ein ganz kleiner Auszug ist, in echt ist seine Welt sehr viel komplexer usw. usw.

ich weiß nicht ob ich das Manifest verlinken darf?
Es befindet sich mittlerweile auf webarchive. Die Website selber ist ja tot.

behind_eyes schrieb:. Ich werde aber das Gefühl nicht los das diese Tat nicht sehr geeignet ist, wenn überhaupt, um das definitiv wichtige Thema "vermehrter Rassismus in der Gesellschaft" zu untersuchen.

Sehe ich auch so. Um zu untersuchen, wie sich Rassismus in der Gesellschaft breit macht, sind Extremfälle eher ungeeignet. Nichtsdestotrotz muss aufgearbeitet werden, wie es dazu kommen konnte und wie so ein Mensch legal an Waffen kommt. Nach der Aufarbeitung kann man sich dann über Schuldzuweisungen Gedanken machen. Die Politik insgesamt hat sich heute auf den sozialen Medien nicht mit Ruhm bekleckert.

Die Gedanken sollten zuerst bei den Opfern und Angehörigen sein.

Atrox schrieb:Die Politik insgesamt hat sich heute auf den sozialen Medien nicht mit Ruhm bekleckert.

Stimme ich voll zu.
Dieses reflexartige Bashing - von beiden Seiten - führt immer mehr zu einer Lähmung von einzelnen Bestrebungen wirklich etwas zu ändern.

behind_eyes schrieb:Die Frage die ich mir stelle: hätte er das auch getan, wenn er die "Geisteskrankheit" - die laut seinem Manifest so viel mehr Facetten hatte als "nur" Rassismus - nicht gehabt hätte?

Ja, und ich frage mich, was passiert wäre, hätte Hitler Kunst studiert. Würden wir jetzt vielleicht zu Hause einen Hitler hängen haben?

behind_eyes schrieb:Meine Vermutung ist, daß er - sollte er noch leben - nicht aufgrund einer rassistisch motivierten Tat verurteilt worden wäre sondern für Mord aufgrund seiner "Geisteskrankheit" mit Psychiatrie Einzug.

Selbst wenn es so wäre, passt die Tat immer noch hier rein. Immerhin ist die Psyche selten isoliert außerhalb eines sozialen, gesellschaftlichen und damit auch politischen Umfelds zu verstehen.

behind_eyes schrieb:Ich werde aber das Gefühl nicht los das diese Tat nicht sehr geeignet ist, wenn überhaupt, um das definitiv wichtige Thema "vermehrter Rassismus in der Gesellschaft" zu untersuchen. In meiner Wahrnehmung stellt seine Persönlichkeit einen durch seine Krankheit komprommitierten ungeeigneten Untersuchungsgegenstand dar für dieses Flächenphänomen.

Ich glaube nicht, dass man nun anhand der Persönlichkeit von Tobias das Thema untersuchen muss. Es reicht vollkommen, wenn die Tat als Anlass für eine intensivere Auseinandersetzung diente.