Politiker und Kulturdiktat?
03.06.2006 um 12:36
http://www.abendblatt.de/daten/2006/06/03/569714.html?s=1
"wir marschieren direkt in die nächste Tyrannei !"
Na ja, das würde ich so nichtsagen. Das, was sich hier als zukünftige "Tyrannei" andeutet, ist nur der ganz normaleBlödsinn völlig degenerierter Möchtegern-Leader, die sich ihrer Überflüssigkeit geradesoeben, und darum nicht minder schleichend, bewusst werden. Mit anderen Worten: "Hätteder Hahn nicht gekräht, hätte ihn niemand gehört." ;)
Die Handke-Sache ist anLächerlichkeit kaum zu überbieten, will man mal den gesteuerten Kulturbetrieb ein wenigaus seinem Mauerblümchendasein herausholen, was ja durchaus ein ernstzunehmendes Anliegenist.
Reaktion? Von wem? Ich erwarte hier in diesem Forum keinen Aufschrei desEntsetzens - die jungen Küken sind doch alle noch mit ihren Pickeln beschäftigt, was sollsie da ein alter Sack (Handke ist 60) kümmern? Nichts desto trotz - die AngelegenheitHandke, das Politikum "Preis ja, aber nicht für den", bleibt spannend. Mal sehen, wernoch alles über die Klinge der "Politischen Korrektness" springen will, kann, darf,muss...;)
Hier mal ein schöner Artikel, frisch aus dem Ticker, mit einerÜberschrift, passend zur WM. Sag ich doch, DAS interessiert den Leser, das will erwissen! ;)
Wie der Dichter ins Abseits lief
Handke: Der Letzte derJugoslawen - er suchte das verlorene Paradies. Als Literat ist Peter Handke hochanerkannt, seine politische Glaubwürdigkeit hat er verspielt - und das hat Gründe.
Von Matthias Gretzschel
Peter Handke nach dem Luftangriff aufKragujevac, bei dem am 23. Mai 1999 auch die Zastava-Automobilwerke zerstört wurden.
Hamburg -
Literarische Meisterschaft und politische Urteilsfähigkeit gehendes öfteren getrennte Wege. Immer mal wieder hat sich gezeigt, daß selbst große Literatenin ihren politischen Einschätzungen kläglich versagten. Feuchtwanger begrüßte Stalinsblutige Schauprozesse, Gottfried Benn diente sich den Nazis an, und Thomas Mann ließ sichzu der Äußerung hinreißen, der Antikommunismus sei "die Grundtorheit unserer Epoche".Erinnert sei an Martin Walsers fatale Wortprägung vom "Kostümfaschismus", und wasDeutschlands jüngster Literaturnobelpreisträger Günter Grass Anfang der 90er Jahre anUnfug über die Gefahren der Wiedervereinigung zu Protokoll gab, nun, darüber sollte manden Mantel des Schweigens breiten.
In seiner politischen Blindheit, die sich inder wiederholten Parteinahme für den extremen serbischen Nationalismus äußerte, befindetsich Peter Handke, dessen wieder in Frage gestellte Nominierung für den DüsseldorferHeinrich-Heine-Preis noch immer hohe Wogen schlägt, also in prominenter Gesellschaft.
Allerdings sollte man Handke nicht, wie das in diesen Tagen auch geschieht,pauschal verurteilen, sondern vielmehr die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte, daßder bedeutendste lebende österreichische Dichter sich politisch so eklatant ins Abseitsmanövrieren konnte.
Peter Handke wurde 1942 in Kärnten geboren. Sein Großvaterwar aber Slowene, und zu Slowenien entwickelte Handke ein enges und emotionalesVerhältnis. Titos Vielvölkerstaat erschien ihm als ein gelungenes multi-ethnischesGesellschaftsexperiment.
Um so größer war Handkes Enttäuschung, als der ZerfallJugoslawiens ausgerechnet durch die Loslösung Sloweniens begann. Nach dem kurzenSezessionskrieg veröffentlichte Handke 1991 in der "Süddeutschen Zeitung" den Beitrag"Abschied des Träumers vom Neunten Land", in dem er hart mit den Slowenen ins Gerichtging. Daß er sich von nun an nach Serbien hingezogen fühlte, lag nur daran, daß sichSerbien vorbehaltlos zu Jugoslawien bekannte.
Den blutigen Bürgerkrieg, derAnfang der 90er Jahre in Jugoslawien viele Tausende Tote auf allen Seiten forderte,betrachtete Handke als Folge der Auflösung Jugoslawiens. Verantwortlich dafür warenseiner Meinung nach sowohl die nach Unabhängigkeit strebenden Nationalisten als auch diewestlichen Politiker, die diese verhängnisvolle Entwicklung leichtfertig geförderthätten.
1996 veröffentlichte Handke seine Streitschrift "Gerechtigkeit fürSerbien". In die Form einer Reise-Reportage gekleidet, kritisierte er die einseitigantiserbische Haltung des Westens - allerdings aus einer ebenso einseitig proserbischenPosition heraus. Spätestens jetzt galt der Dichter als Parteigänger des serbischenNationalismus. Im Frühjahr desselben Jahres verlor er bei einer hitzigen Diskussion inWien die Contenance und rief einem Journalisten, der ihn auf die serbischen Massakeransprach, zu: "Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch schieben!"
Daß Handkedie Nato-Luftangriffe 1999 heftig kritisierte und demonstrativ selbst ins Land reiste,wurde zumindest teilweise als solidarisches Verhalten gewürdigt. Zum Eklat kam es, als erin einem Interview sagte: "Gut, jetzt hat die Nato ein neues Auschwitz erreicht."Imserbischen Staatsfernsehen sagte Handke, daß das Leid der Serben sogar über das der Judengestellt werden könne. Obwohl er diese Äußerung später zurücknahm und erklärte, er habesich in dem auf französisch geführten Interview "verhaspelt", half es ihm nicht, einesolche Äußerung wird nie wieder vergessen. Rätselhaft, und vor allem für die Angehörigender serbischen Opposition schwer erträglich, war Handkes zunehmende Nähe zu SlobodanMilosevic. Hatte er noch zu Kriegsbeginn gesagt: "Ich stehe nicht an der Seite vonMilosevic; ich stehe an der Seite Serbiens", besuchte er den mutmaßlichenKriegsverbrecher in Den Haag und reiste im März sogar zu dessen Beerdigung. Dort sagteer: "Die Welt, die vermeintliche Welt, weiß alles über Slobodan Milosevic. Dievermeintliche Welt kennt die Wahrheit. Eben deshalb ist die vermeintliche Welt heutenicht anwesend, und nicht nur heute und hier."
In klarer Sprache beklagt hatPeter Handke nur die serbischen Opfer. Erst jetzt, da er sich in der Auseinandersetzungum den Heine-Preis gegen den Vorwurf einseitiger Parteinahme wehren muß, fand er in einemBeitrag der "Süddeutschen Zeitung" klare Worte zu dem Massaker von Srebrenica, das er als"abscheuliche Rache der serbischen Streitkräfte" bezeichnete. Doch diese und einigeandere Äußerungen der letzten Tage machen nicht vergessen, daß Handke immer wieder Parteifür den serbischen Nationalismus ergriffen hat.
Wahr ist aber auch, daß es ihmin Wahrheit gar nicht um Serbien ging, sondern um Jugoslawien, sein verlorenes Paradies.Heute, nachdem sich sogar Montenegro für die Unabhängigkeit entschieden hat, ist dergroße österreichische Dichter vielleicht der Letzte der Jugoslawen.
erschienenam 3. Juni 2006/Hamburger Abendblatt
Gruß