vincent schrieb:Ich weiß nicht worüber du redest. Irgendwas von es-braucht-Zeit.
Das habe ich schon verstanden. Deshalb ja meine Frage. Oder noch genauer ausgedrückt: Hast Du verstanden worüber ich rede.
Um es genau zu beschreiben, ich schreibe über den Islam als geographisch definierbaren Kulturkreis. Aber vielleicht um noch genauer zu sein: Ich schreibe nicht über die Moslems hierzulande. Das ist ein gänzlich anderes Thema, mit gänzlich anderen Bedingungen und gänzlich anderen Einflussfaktoren.
Da müssen wir schon trennen. Um die Iraner im Iran zu reformieren, muss ich die Politik im Iran kennen, die Pasdaran politisch ausschalten und die religiösen Fragen der Schia klären. Müsste ich das gleiche auch hier machen?
Nein, hier müsste ich nur dafür sorgen, dass der Einfluss vom Iran so gering wie möglich bleibt und einen geeigneten Islam-Unterricht einführen. Ggf. sogar eine geeignete Theologie entwickeln.
Bis Ende der 80er Jahre war der Sachverhalt hier ziemlich klar: Sind es Anti-Kommunisten? Wenn ja, dann fördern! Dass damit viele Vereine und Institutionen gefördert wurden, die zwar tatsächlich strikt anti-kommunistisch sind, aber gleichzeitig auch anti-demokratisch sind, wurde in Kauf genommen. Zur Erinnerung:
Khomeini war auch in Frankreich.Meine Antwort bezieht sich jedoch, wie bereits geschrieben, auf den islamischen Kulturkreis.
vincent schrieb:Genau. Die hatten Zeit. Zeit wofür? Und gibt es eine Regel, dass eine Religion mindestens 2000 Jahre braucht - wofür auch immer.
Wie bereits geschrieben, Zeit um erst religiöse Fragen zu klären, danach die politischen Fragen zu klären und dann die wirtschaftlichen Fragen zu klären. Eine Regel gibt es nicht, es gibt nur Erfahrungswerte aus der Vergangenheit, anhand derer ein Urteil möglich ist.
Die kann ich jedoch nicht so ohne weiteres wiedergeben, wäre ich doch die nächsten Jahre damit beschäftigt zu schreiben. Das haben bereits andere gemacht (Siehe weiter unten).
vincent schrieb:Ich mein, irgendwas muss der Gott des Islam beim x-ten Anlauf doch besser gemacht haben.
Der Gott des Islams ist derselbe Gott der Juden und derselbe Gott der Christen. Und hat Gott sich bei den genannten irgendwie direkt eingemischt (mal abgesehen davon was die Bücher schreiben)?
Das müssen wir schon selber machen. Oder Gott würde schreiben: "Wenn ich alles regeln wollte, dann hätte ich euch wohl nicht Verstand und Vernunft gegeben!"
Was ist aber beim Islam besser, wenn das Deine Frage ist?
Keine Ahnung, das wird die Zukunft zeigen. Der Koran ist z.B. so aufgebaut, dass Du weiteres Wissen zurate ziehen
musst. Entwickelt sich daraus eine strikte Affinität zu Wissen, ähnlich wie z.B. bei den Aleviten? Müssen wir abwarten. Mehr kann ich dazu im Moment nicht schreiben.
vincent schrieb:Man könnte ja auch argumentieren, dass der Islam erwachsener sein müsste, schließlich baut er auf tausenden Jahren religiöser Geschichte auf.
Bevor nicht die religiösen Fragen geklärt sind, wird das nicht geschehen. Alles andere wird sich dem unterordnen, bzw. ist einfach nicht im Fokus.
Politik und Wirtschaft sind andere Themen, da wird gerne abgeschaut und Kopiert, eben weil diese Universell sind. Wenn jedoch die religiösen Fragen nicht geklärt sind, werden diese immer wieder aufklappen.
sacredheart schrieb:ERrst mal Applaus meinerseits für Deinen Vergleich. Grundsätzlich kann ich da etwas mit anfangen, auch wenn jeder Vergleich irgendwo an Grenzen stößt.
Vielen Dank dafür, wenn es Dich und weitere zum grübeln bringt, dann hat es gänzlich seine Funktion erfüllt.
sacredheart schrieb:Wichtigste Frage: Kommt der Islam gerade erst in die Flegeljahre oder kommt er da langsam raus? Für den Beginn einer Religionspubertät wäre der Kollateralschaden schon inakzeptabel hoch und der erwartbare Weitere erst recht. Also, glaubst Du, der Islam in seiner Puberät ist eher 12 1/2 Jahre alt oder wird der schon bald 18?
Ich kann hier nur Vergleichswerte hinzuziehen. Der Islam steht, meines Erachtens, dort wo Europa zur Zeit des dreißigjährigen Krieges stand. Also etwa 1618. Einige Regionen früher, einige Regionen später.
Nur kommt hier die moderne Welt hinzu. D.h. Wissen verbreitet sich schneller, Konflikte werden schneller gelöst, oder sogar anders gelöst. Ein Faktor für mich persönlich ist die Konfrontation verschiedener religiöser Meinungen.
Ich schätze, dass die religiösen Fragen in den nächsten 50 Jahren geklärt werden. Danach etwa 100 Jahre bis zur Klärung der politischen Fragen.
Was meine ich damit genau?
Zur Erinnerung: Nach dem dreißigjährigen Krieg, waren alles noch Christen in Europa, aber politische Fragen standen eher im Fokus: Was hat der König zu melden, was hat das Volk zu melden, was hat die Priesterkaste zu melden und wie regeln wir das?
Da ist man dann eher bereit zu kopieren, z.B. war der
Kemalismus eine Kopie aus Europa, die vielleicht für größere Bevölkerungsteile der Türkei zu früh oder zu Konsequent kam, aber noch nicht Ad-Acta ist.
Selbstverständlich sind politische- und wirtschaftliche Fragen da, aber sie müssen sich immer wieder den religiösen Fragen unterordnen, dienen quasi erstmal dazu die religiösen Fragen zu klären.
Die Saudis würden zum Beispiel ohne mit der Wimper zu zucken, ein Milliarden-Programm aufsetzen, um hierzulande 1000 Moscheen zu bauen. Am Besten noch mit vergoldeter Fassade und Marmorböden, eben weil die religiösen Fragen eher im Fokus stehen.
Hierzulande würde man mich auslachen, wenn ich mit der gleichen Idee für den Orient kommen würde, weil die Bevölkerung hier keinen wirtschaftlichen Nutzen davon hätte. Würde ich jedoch damit eine Infrastruktur für deutsche Unternehmen, z.B. in der Türkei aufbauen, so wäre die Lage anders. Eben weil hier wirtschaftliche Fragen im Fokus stehen.
Deshalb meine grobe Schätzung von 150 Jahren insgesamt, vielleicht früher, vielleicht später.... kann niemand genau beantworten.
Da Du doch einen Wissensdurst hast, würde ich Dir gerne zwei Bücher dazu empfehlen, die zumindest mich enorm weiter gebracht haben:
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (Band I und Band II).
Ralf Ghadban: Allahs mutige Kritiker.
Bei Spengler gilt etwas Vorsicht. Seine Morphologie der Geschichte ist unerreicht. Seine politischen Einschätzungen sind alle für die Mülltonne. Die Nazis haben ihn zwar geliebt, er selber hielt aber Hitler für Verrückt. Was kein Wunder ist, war der Nationalsozialismus doch seine vermutete Endzeit für das Abendland: Inmitten von riesigen Glaspalästen und gigantomanischen Bauten, menschenverachtende Barbarei auf der Straße.
Vielleicht wäre er als einer der letzten Denker in die deutsche Geschichte eingegangen, hätte er die Neuzeit total ausgeblendet. Konnte er aber nicht, war er selbst inmitten der Klärung politischer Fragen (Beide Weltkriege). Bis in die Gegenwart gibt es krasse Gegner von Spengler, die dann zu Befürwortern werden und umgekehrt. Siehe auch diesen Link:
Wikipedia: Der Untergang des Abendlandes.