borabora schrieb:Wer ohne böse Absicht möchte sich mit solchen Vorwürfen konfrontiert sehen, der nichts getan hat?
Wie kommst du darauf, dass es eine Böse Absicht braucht um als Rassismus zu gelten?
borabora schrieb:Ist ja zudem auslegbar u. mehr oder weniger Willkür mMn.
Genauso wie Beleidigung eben. Andere zu beleidigen muss nicht auf böser Absicht basieren und es kann auch vorkommen, dass Leute kein Problem damit haben beleidigt zu werden.
Aber andere zu beleidigen und sich dann als Opfer inszenieren wenn man dafür kritisiert wird, das geht nicht.
borabora schrieb:Also ist der Vorwurf automatisch richtig und wahr?
Ja, weil Rassismus einerseits subjektiv empfunden wird und andererseits einfach gesellschaftliche Realität ist.
Unsere Gesellschaften waren seit jeher durchzogen von Rassismus. Das war immer normal. Heute wird es Thematisiert und Problematisiert, aber das heißt noch lang nicht, dass Rassismus jetzt Vergangenheit ist.
Gerade latenter Rassismus ist ganz oft auch gut gemeint. Ändert nichts an seiner schädlichen Wirkung.
borabora schrieb:Die Unschuldsvermutung sollte für jeden gelten, ist doch bei Flüchtenden u. Migranten auch so.
Rassismus ist kein Straftatbestand und dementsprechend hat das auch nichts mit Umschuldsvermutung zu tun.
Vergleich es mit Arschloch sein. Wer sich wie ein Arschloch aufführt wird von seinem Umfeld als Arschloch eingestuft, ganz ohne Beweisführung oder sonstwas.
borabora schrieb:Offenbar jedoch haben manche nichts dagegen, wenn schwarze Menschen sich untereinander mit dem schlimmen Wort betiteln.
Das ist ja ein ganz anderer Kontext.
Da wird das Wort das Symbol ihrer Unterdrückung ist neuinterpretiert und "zurückgeholt".
Es ist ja nicht das Wort das schlimm ist, sondern das wofür es steht.
Diesen Kontext zu ändern ist wichtig und das hängt eben stark davon ab wer diese Worte benutzt. Wenn Schwarze das untereinander so verwenden wollen und die Begriffe zurückgewinnen wollen, dann können sie das tun.
Letztendlich ist es eine Frage des Respekts ob man Begriff benutzt die andere in bestimmten Kontexten als respektlos empfinden.
Hat man die moralische Überzeugung andere Leute grundlegend zu akzeptieren oder ist man eher egozentrisch veranlagt und setzt sich aus Prinzip über deren Ansichten und Empfindungen hinweg?
Ich sage "aus Prinzip" weil wohl niemand ein wirklich dringendes Anliegen hat diese Begriffe weiterhin zu verwenden.
Es könnte den Leuten eigentlich egal sein, aber sie machen aus Prinzip nen Aufstand.
Gerlind schrieb:Jede neuartige Eingruppierung aufgrund von Geschichte entgegen der Geschichte nimmt das Potential zu Diskriminierung wieder mit, das es eigentlich beendet sehen will.
Solche sprachliche Inklusion ist Spachtelmasse auf Riss im Fundament.
Is ne These, aber die ist empirisch denke ich nicht haltbar.
Gerade in liberalen Gesellschaften steigt durch Kategorisierung nicht das Potential für Diskriminieren. Abgesehen davon ist der Hintergrund ja Repräsentation statt der historisch üblichen Verleugnung.
Einfaches Beispiel: Denkst du homosexuelle Menschen waren besser dran bevor es die gesellschaftlich anerkannte Kategorie der Homosexualität gab?
In der Regel nicht, da die Leugnung oder Pathologisierung dieser Identität viel diskriminierender ist als die Anerkennung und Einordnung.
Kategorisierung wird dann zum Problem wenn sie unfreiwillig und als Mittel zum Zweck passiert.
Z.b das Abstempeln der Juden im 3. Reich. Das hatte nichts damit zu tun dieser Minderheit mehr Repräsentation zu verschaffen, sondern sie für Diskriminierung und später Vernichtung zu kennzeichnen.
Gerlind schrieb:Sie verzögert möglicherweise das Bewußtsein über erneuerte Diskriminierung.
Dem kann man nur vorbeugen indem man Normen und Werte stetig hinterfragt.
Rassismus hat ja Phasen. In den USA gabs es Phasen des Rassismus gegen Schwarze, aber auch Phasen des Rassismus gegen Iren und Asianten (Gerade jetzt steigt anti-asiatischer Rassismus und entsprechende Straftaten rapide an, da die USA bis vor kurzem einem extrem rassistischen Präsidenten hatten, der anti-asiatische Rassismen am Fließband rausgehauen hat.
Leute mit durchaus beschränkten mentalen Spielräumen hören das und akzeptieren dieses Feindbild und ziehen im schlimmsten Fall los und schießen unschuldige Menschen tot.
navi12.0 schrieb:Nur wenn man zB den Berühmten Nigger im Rap Text als Weißer mit Rapt, und sich entsprechend innerhalb der Riten dieser Subkultur bewegt, ist man noch lange kein Rassist.
Wenn du weiterhin drauf bestehst nachdem dir anderen erklärt haben, dass es respektlos ist, dann bist du schon Rassist.
navi12.0 schrieb:heißt das noch lange nicht, dass sie jemanden diskriminieren würden oder gar wollen.
Tun sie aber, und wenn es ernsthaft nicht ihre Absicht ist, dann würde sich es nicht weiterhin tun sobald ihnen jemand bescheid gesagt hat.
navi12.0 schrieb:Nur weil eine Lisa E oder ein Serdar S in ihren Bühnenstücken das Wort ironisch benutzen, um ihre Kunst zu machen, die auf bestimmte gesellschaftliche Verdichtung hinweisen soll, heißt das noch lange nicht, dass man sie mit Schimpf und Schande überschütten muss, sie canceln sollte, und sie sogar stellenweise bedrohen sollte.
Redefreiheit bedeutet nicht nur, dass man sagen kann was man will, sondern auch, dass man die Konsequenzen der eigenen Rede aushalten muss.
Wer auf der Bühne die Rolle des zynischen Arschlochs spielt darf sich nicht aufregen, wenn Leute das kritisieren.
Ich meine, warum sagen Lisa E und Serdar S nicht einfach, dass sie gerne latente Rassisten sind und diese Comedy-Nische für sie auch recht profitabel ist?
Das wäre dann wenigsten ehrlich und nicht so ein lächerlicher Eiertanz und komisches Rumgeheule über "cancel culture".
Also irgendwie stehen sie ja dann doch nicht zu dem was sie machen.
navi12.0 schrieb:Wenn das der gesellschaftliche Fortschritt sein soll, dann ist mir der Preis der ganzen Kollateralschäden, die dabei durchaus entstehen können, weil sich gerade konservative und reaktionäre Kräfte bestätigt sehen, und Gegenfronten bilden, doch etwas zu hoch.
Diese Vermutung, dass progressive gesellschaftliche Bewegung der Grund für die Popularität reaktionärer Bewegungen ist gabs immer schon, aber da steckte nie viel dahinter.
Wir haben einen relativ zügigen demographischen Wandel in Deutschland.
Die Deutsche Realität ist nicht mehr Christian, Michael und Uwe, sondern eine ganz andere. Deswegen ist es wichtig nicht mehr so einen großen Fokus darauf zu legen was Christian, Michael und Uwe meinen, denn dieser Fokus ist längst nicht mehr gerechtfertigt.
navi12.0 schrieb:"fuck you, ich benenne die Dinge gerne beim Namen, und mein schwarzer Freund ist dann immer noch mein Freund
Die reden aber auf der Bühne nicht mit ihrem "schwarzen Freund" sondern tragen ein Comedy-Programm für ein großes Publikum vor.
Die Begriffswahl ist bewusste Provokation in dem Wissen, dass einige Leute das als respektlos empfinden und mit der klaren Botschaft, dass diese Leute und ihre Empfindungen ihnen egal sind.
Comedy darf vieles, ich persönlich mag aber eher die Comedy, die nach oben austeilt und nicht nach unten tritt.
navi12.0 schrieb:Sicher, aber ganz gewiss nicht mit solchen Mitteln.
Die Mittel sind aber extrem erfolgreich. Die letzten Jahrzehnte wurden bei Minderheitenrechten, Inklusivität und Antirassismus so viele Fortschritte gemacht wie nie zuvor.
Das liegt vor allem an der kritischen Wissenschaft die zu den Themen gemacht wird und der aktiven Umformung gesellschaftlicher Werte und Normen.
Nicht alle Auswüchse dieses Prozesses sind zielführend, aber genug um mehr Fortschritte zu machen als jemals zuvor.
navi12.0 schrieb:Oft geht es um über Jahrhunderte gewachsene Machtstrukturen und Herrschaftsmechanismen, und wenn man an solchen gesellschaftlichen Kettenverbindungen zu sehr rüttelt, entstehen nicht selten Gegenkräfte, die man in einigen Fällen nur sehr schwer wieder unter Kontrolle bekommt.
Unsere Machtstrukturen sind sehr jung. Die gesamte westlich kapitalistische Welt hat Strukturen, die in den letzten 40 Jahren, seit der letzten großen ideologischen Neuorientierung hin zum Neoliberalismus gewachsen sind.
Diese Strukturen sind auch hauptsächlich von ökonomischen Akteuren besetzt, die erst anfangen widerstand zu leisten sobald ihre Profite in Gefahr sind.
Die letzten Jahre haben wir ein bisschen ideologisches Alignment gesehen. Facebook mit Zuckerberg und Thiel haben sich ideologisch eher rechtskonservativ orientiert. Andere Plattformen eher liberal.
Die Motivationen sind aber stets ökonomische oder Machtpolitische. Mit Überzeugungen hat das wenig zu tun.
navi12.0 schrieb:Der Faschismus war ja die Mitteleuropäische Antwort auf den Kommunismus
Steile These, würde ich nicht unterschreiben.
navi12.0 schrieb:Hier sollte man gut abwägen, was man den Menschen so alles als Fortschritt zumuten kann. Vor allem in welcher Dosis.
Und woran will man das festmachen?
In den letzten 20 Jahren hat sich mehr geändert als zu anderen Zeiten über viele Jahrhunderte.
Dass der Mensch solche Veränderungen nicht verkraftet halte ich für Blödsinn.
Das erinnert mich irgendwie an die alten Argumente gegen Züge, laut denen der Mensch so hohe Geschwindigkeiten (30km/h) hirnlich nicht verkraften würde und auf Dauer verrückt würde, wenn er in Zügen sitzt und die vorbei rauschende Umwelt betrachtet.
Leute versuchen sich immer Gründe aus den Fingern zu saugen warum Veränderung schlecht seien könnte aber eigentlich ist das nur eine Reflexion ihrer Angst und Unsicherheit.
navi12.0 schrieb:Genau deshalb sage ich doch, dass es wichtiger ist, sich von solchen Strukturen ein Stück weit zu lösen
Joa, ich habe sogar schon auf einen solchen Poststrukturalisten verwiesen (Foucault). Was genau denkst du bedeutet es sich von solchen Strukturen zu lösen?
Denn ich würde sagen das was du hier kritisierst ist genau diese Lösung von den Strukturen. (Dir geht das zu schnell?)
Also du findest das gut, aber nicht so wie es gemacht wird?
navi12.0 schrieb:Ja, es gibt halt Gründe, warum das so ist. Die sind einfach etwas komplexer, wie oben ausgeführt.
Ja schon klar. Alles ist "kontingent". Aber das heißt doch nicht, das wird nicht alles ändern können.
navi12.0 schrieb:hoffen, dass sich einiges durch beharrliches weiter Arbeiten an den schlimmsten menschlichen Verhaltensweisen von Generation zu Generation zumindest etwas bessert.
Das funktioniert am besten in dem neue Generationen nicht gezwungen werden alte problematische Muster zu reproduzieren.
Repräsentation, Inklusion, Deliberation.
Kein egoistisches Beharren auf bestehenden Zuständen.
navi12.0 schrieb:Wobei das ganze Konstrukt "Zivilisation" sehr fragil ist und bleibt, und jederzeit durch Kleinigkeiten völlig außer Kontrolle geraten kann.
Zivilisation halte ich an für sich für sehr stabil.
Die Probleme die wir langfristig haben sind eher physikalisch. Nachhaltigkeit ganz prominent.
Aus irgendeinem Grund haben wir angefangen das Konzept von Wachstum zu verehren, obwohl wir eigentlich wissen, dass Wachstum in einer begrenzten Umwelt der sichere Weg in den Kollaps ist.
Sowas bedroht unsere Zivilisationen, nicht Gendersternchen oder Unisex-Toiletten.
navi12.0 schrieb:Da weiß ich zu wenig drüber, um das beurteilen zu können.
Ich denke in der Jugend kommt es teilweise schon an, vor allem durch die Repräsentation nicht-binärer Lebensentwürfe im Internet, das man nicht an binäre Identitäten gebunden ist.
In einigen Jahrzehnten wird das Normalität sein.
Wer an solchen Perspektiven interessiert ist kann sich mal Videos von ContraPoints oder Philosophy Tube ansehen.
https://www.youtube.com/c/ContraPoints/videoshttps://www.youtube.com/c/thephilosophytube/videosnavi12.0 schrieb:Ob sich allerdings die ganze Zweiteilung aufhebt, ist schwer zu sagen. Die Biologie zeichnet da noch ein zu deutliches Bild vor.
Im endeffekt ist das die Frage nach Anlage oder Prägung.
Definieren wir unsere Identität stärker auf Basis der biologischen Umstände oder stärker auf Basis der sozialen Realitäten?
Ich denke hier steht uns eine Art Paradigmenwechsel bevor. Unsere verbreiteten Ansichten heute sind noch sehr biologisch gebunden, die Forschung zeigt aber schon sehr lange, dass die soziale Prägung in vielerlei Hinsicht wirkmächtiger ist, vor allem wenn wir über soziale Identität reden.
Biologisches Geschlecht wird natürlich immer seine Rolle spielen. Die Frage ist wie stark wir das als Gesellschaft priorisieren wollen und wie sehr wir unsere Rollenerwartungen daran ausrichten wollen.
navi12.0 schrieb:Klang für mich so, als würde da Sprache schon irgendwie eine außerordentlich zentrale Rolle spielen, was ich doch etwas bezweifle. Deshalb die Reaktion.
Ja, ich würde sagen die Rolle der Sprache ist ausserordentlich zentral.
Ich lege ja auch großen Wert aufs Ökonomische, aber ökonomische Frameworks haben sich auch nur aus sprachlichen und kulturellen Umständen heraus gebildet. Protestantische Ethik und der Geist der Kapitalismus von Max Weber ist im Grunde die These, dass der Kapitalismus der sich in den USA gebildet hat einfach nur bestehende calvinistische Sozialmoral unter neuen unternehmerischen Umständen reproduziert hat. Und damit auch die sprachlichen Kategorien (Fleiß, Reinvestment, rationalisiertes, zielgerichtetes Handeln und Moralität durch die Produktion von zählbarem).
navi12.0 schrieb:Ich will nur etwas weniger in der Scheiße rühren, solange sie nicht wirklich stinkt, um es salopp zu formulieren.
Ich denke wie sehr es stinkt kommt darauf an wen du fragst.
Als weißer cis male kann ich mich vor lauter Privilegien nicht retten, ich hab keine Probleme. Aber meine Position als repräsentativ zu betrachten wäre halt ignorant.