Die Schuld der Deutschen: Haben wir das Recht auf "Schlussstrich"?
11.04.2016 um 13:16@aero
Abneigung gegen Deutschland? Das ist wohl etwas pauschal. Ich habe in Deutschland gelebt, habe gute wie schlechte Seiten kennengelernt. Das unterscheidet mich von vielen, die andere Länder und ihre Bewohner pauschal verdammen ohne jemals dort gewesen zu sein oder wenn, dann nur im Rudel und auf Urlaub.
Deutschland ist ein grossartiges Land. Das deutsche Volk, kollektiv, hat seit ich lebe erstaunliches vollbracht: ein fast komplett zerstörtes Land wieder aufgebaut, einen Wohlstand geschaffen, um den fast der ganze Rest der Welt es beneiden kann, hat eine soziale Gesellschaft erschaffen, die es kaum sonst wo gibt. All das erkenne ich durchaus an. Und ich sage: darauf sollten Deutsche stolz sein!
Interessanterweise ist es genau das, was Ausländer an Deutschland loben. Nur Deutsche sind selten darauf stolz.
Und ja, auch die Zeit vor meiner Geburt hat natürlich über hunderte Jahre erstaunliches aufzuweisen: Deutschland das Land der Dichter und Denker: natürlich. Beethoven und Brahms, Röntgen und Einstein und so weiter.
Deutschland ist das Land, in dem Eisenbahnen einmal pünktlich fuhren (das soll ja jetzt nicht mehr so toll sein), in dem die besten Autos der Welt gebaut werden, in dem jeder bedenkenlos Wasser aus dem Wasserhahn trinken kann und in dem keiner auf der Strasse sterben muss, weil er hungert oder sich kein Krankenhaus leisten kann.
Darauf kann man stolz sein und sollte stolz sein.
Nur: da gibt es eben auch eine dunkle Seite. Und die verstecken zu wollen, das ist dieses grossen Deutschlands unwürdig!
Als ich zur Schule ging, gab es nur Nazigegner und Widerständler. Keiner hatte einen Nazi als Opa. Keiner hatte Verwandte bei der SS. Jene, die den Arm hoben wenn Adolf kam, das waren keine "Deutschen" oder "Österreicher," das waren "die." Die Nazis. Die, die irgendwie vom Himmel auf Deutschland fielen. Ja, nicht einmal Deutschland gab es offiziell zu der Zeit: Die Medien schrieben immer von "Hitlerdeutschland," damit man dieses böse Land bloss nicht mit Deutschland verwechseln kann.
Und Österreich, ja, die waren ja noch gescheiter: die haben flugs Beethoven eingebürgert und Hitler ausgebürgert. Am Nationalfeiertag wird die Befreiung von den bösen Nazis gefeiert - von sich selbst befreit? Nein, das suggeriert, die Nazis waren immer nur andere.
Ja, so haben wir es auch in der Schule gelernt. Die Nazis überfielen Russland, die Nazis ermordeten die Juden, die Nazis waren ganz üble Ungeheuer, aber - wer waren denn die Nazis eigentlich?
Die habe ich erst später kennengelernt. Die gab es nämlich durchaus noch. Nur, die fallen nicht so auf. Ich habe in einem grossen bayerischen Automobilwerk in den Semesterferien gearbeitet: da hiess es dann auf einmal: "da drüben, das sind die "Jugos." Da muss man aufpassen, die klauen wie die Raben. Und die Türken, die sind noch schlimmer." Und man nickt verständnisvoll.
Im Offizierskasino wurde am 20. April gefeiert. Was, das wurde nicht gesagt, das wusste man eben. Aber man feierte. Im Jahr 1975.
Und Waldheim wurde Bundespräsident. Filbinger wurde Ministerpräsident. Das ist es, worauf ich nicht stolz sein kann: in der Schule lernen wir brav, uns immer an Auschwitz zu erinnern, aber dann hängt im Lehrerzimmer ein Waldheim Portrait? Das ist doch verlogen.
Und heute gibt es eben auch Dinge, die mir nicht gefallen, @aero. Ich sehe in Berlin wieder eine Politik, die mich an die Weimarer Republik erinnert. Und ich sehe, dass wieder Menschen in Deutschland und Österreich auf diese Politik so reagieren, wie sie in den dreissiger Jahren reagiert haben.
Und dann frage ich mich, wozu das alles gewesen ist?
Deutschland kann seine wahre Grösse gerade darin zeigen, den Nazis, alt oder neu, eindeutig und klar zu sagen: Eure Parolen ziehen nicht mehr. Darauf könnte es stolz sein. Und würde sich das Wort Auschwitz auch irgendwann nicht mehr so häufig finden.
Abneigung gegen Deutschland? Das ist wohl etwas pauschal. Ich habe in Deutschland gelebt, habe gute wie schlechte Seiten kennengelernt. Das unterscheidet mich von vielen, die andere Länder und ihre Bewohner pauschal verdammen ohne jemals dort gewesen zu sein oder wenn, dann nur im Rudel und auf Urlaub.
Deutschland ist ein grossartiges Land. Das deutsche Volk, kollektiv, hat seit ich lebe erstaunliches vollbracht: ein fast komplett zerstörtes Land wieder aufgebaut, einen Wohlstand geschaffen, um den fast der ganze Rest der Welt es beneiden kann, hat eine soziale Gesellschaft erschaffen, die es kaum sonst wo gibt. All das erkenne ich durchaus an. Und ich sage: darauf sollten Deutsche stolz sein!
Interessanterweise ist es genau das, was Ausländer an Deutschland loben. Nur Deutsche sind selten darauf stolz.
Und ja, auch die Zeit vor meiner Geburt hat natürlich über hunderte Jahre erstaunliches aufzuweisen: Deutschland das Land der Dichter und Denker: natürlich. Beethoven und Brahms, Röntgen und Einstein und so weiter.
Deutschland ist das Land, in dem Eisenbahnen einmal pünktlich fuhren (das soll ja jetzt nicht mehr so toll sein), in dem die besten Autos der Welt gebaut werden, in dem jeder bedenkenlos Wasser aus dem Wasserhahn trinken kann und in dem keiner auf der Strasse sterben muss, weil er hungert oder sich kein Krankenhaus leisten kann.
Darauf kann man stolz sein und sollte stolz sein.
Nur: da gibt es eben auch eine dunkle Seite. Und die verstecken zu wollen, das ist dieses grossen Deutschlands unwürdig!
Als ich zur Schule ging, gab es nur Nazigegner und Widerständler. Keiner hatte einen Nazi als Opa. Keiner hatte Verwandte bei der SS. Jene, die den Arm hoben wenn Adolf kam, das waren keine "Deutschen" oder "Österreicher," das waren "die." Die Nazis. Die, die irgendwie vom Himmel auf Deutschland fielen. Ja, nicht einmal Deutschland gab es offiziell zu der Zeit: Die Medien schrieben immer von "Hitlerdeutschland," damit man dieses böse Land bloss nicht mit Deutschland verwechseln kann.
Und Österreich, ja, die waren ja noch gescheiter: die haben flugs Beethoven eingebürgert und Hitler ausgebürgert. Am Nationalfeiertag wird die Befreiung von den bösen Nazis gefeiert - von sich selbst befreit? Nein, das suggeriert, die Nazis waren immer nur andere.
Ja, so haben wir es auch in der Schule gelernt. Die Nazis überfielen Russland, die Nazis ermordeten die Juden, die Nazis waren ganz üble Ungeheuer, aber - wer waren denn die Nazis eigentlich?
Die habe ich erst später kennengelernt. Die gab es nämlich durchaus noch. Nur, die fallen nicht so auf. Ich habe in einem grossen bayerischen Automobilwerk in den Semesterferien gearbeitet: da hiess es dann auf einmal: "da drüben, das sind die "Jugos." Da muss man aufpassen, die klauen wie die Raben. Und die Türken, die sind noch schlimmer." Und man nickt verständnisvoll.
Im Offizierskasino wurde am 20. April gefeiert. Was, das wurde nicht gesagt, das wusste man eben. Aber man feierte. Im Jahr 1975.
Und Waldheim wurde Bundespräsident. Filbinger wurde Ministerpräsident. Das ist es, worauf ich nicht stolz sein kann: in der Schule lernen wir brav, uns immer an Auschwitz zu erinnern, aber dann hängt im Lehrerzimmer ein Waldheim Portrait? Das ist doch verlogen.
Und heute gibt es eben auch Dinge, die mir nicht gefallen, @aero. Ich sehe in Berlin wieder eine Politik, die mich an die Weimarer Republik erinnert. Und ich sehe, dass wieder Menschen in Deutschland und Österreich auf diese Politik so reagieren, wie sie in den dreissiger Jahren reagiert haben.
Und dann frage ich mich, wozu das alles gewesen ist?
Deutschland kann seine wahre Grösse gerade darin zeigen, den Nazis, alt oder neu, eindeutig und klar zu sagen: Eure Parolen ziehen nicht mehr. Darauf könnte es stolz sein. Und würde sich das Wort Auschwitz auch irgendwann nicht mehr so häufig finden.