Yooo schrieb:Ich bin ja neben Hobby Philosoph und begnadeter Kaffeesatz leser auch noch ein Hobby Soziologe. :D
Na dann werde ich mir in Zukunft deine Beiträge mal etwas genauer durchlesen.
:DYooo schrieb:Macht ist das Potenzial etwas zu tun, das ist mal mehr oder weniger stark ausgepräg, hat aber prinzipiell jedes Individuum und jede Gemeinschaft/Gruppe/Gesellschaft.
Herrschaft ist hingegen ausgeübte Macht über andere um gewisse Ziele zu erreichen.
Das Potenzial zur Herrschaft geht von (wenn man jetzt mal koma oder sowas ausschließt) jedem aus.
Zusammengefasst: Macht hat prinzipiell jeder, Herrschaft potenziell jeder.
Na ich weiß nicht. Dass es Klassen gibt, also auch eine untere, ist Resultat eines Machtgefälles. Hätte prinzipiell jeder Macht, gäbe es kein Prekariat und insgesamt keine gesellschaftliche Stratigrafie, sondern "Gleichheit".
Herrschaft ist noch eine Stufe exklusiver. Die entsteht erst, wenn es eine Gruppe von Machthabern versteht, Kontrolle über die gesellschaftliche Reproduktion zu erlangen und diese zum eigenen Vorteil zu steuern, also Herrschaft auszuüben.
Yooo schrieb:Herrschaft heißt, Probleme auf eine andere Person/en outsourcen.
Bitte was? Welche Probleme? Die des (der) Herrschenden oder die der Beherrschten? Wenn ich ein kranker Herrscher bin (Problem: Krankheit), kontaktiere ich einen meiner Leibärzte (Beherrschter, wenn auch in hoher Stellung) und hoffe, dass er mich heilt. Wenn er versagt, kann ich ihn ins Exil schicken oder töten und mir einen anderen Leibarzt besorgen, ohne zu wissen, ob der besser ist. Sind die Probleme zu groß, werde ich von einem Usurpator abgelöst und sterbe wohl. Was hat das aber nun mit Herrschaftsverhältnissen und Macht an sich zu tun? Herrschaft heißt wohl eher, und abstrakter formuliert, das System Macht so zu beherrschen, dass die Gesellschaft (der Machtloseren bzw. Machtärmeren) funktioniert auf eine Weise, die meine eigene Macht nicht gefährdet, sondern eher stabilisiert und dafür sorgt, dass ich weiterhin ungefährdet Herrschaft ausüben kann. Herrschaft ist also Institutionalisierung von Macht.
Yooo schrieb:Irgendjemand/irgendwelche hat/haben zwangsläufig immer die besseren Ressourcen, andere Lebensumstände, andere Fähigkeiten.
Daraus folgert sich, dass es immer Interessenkonflikte geben kann, wenn Leute aufeinander treffen.
Jetzt kommen die verschiedenen "Königtümer" ins Spiel, denn die Erde ist groß und es gibt mehr als ein "Reich". Auf unsere Zeit übertragen: Wir haben 2 Supermächte, deren Machtinteressen gleich gelagert, aber gegeneinander gerichtet sind. Sie wissen also, dass sie ihren Herrschaftsbereich untereinander aufteilen müssen. Bezogen auf die Ressourcen: Die wichtigste Ressource in einer postindustriellen Welt ist Wissen, dichtotomisch, passiv in gespeichertem Wissen ("institutionalisiert") und in aktivem, neue Erkenntnisse und u.a. auch Verbesserungen der Anwendung gespeicherten Wissens anstrebenden neuen Wissens (aktives Wissen, also human capital). Aktuell ist die Frage, wer über mehr human capital verfügt, USA oder China, noch ungeklärt. China hat die größeren Massen, USA international die größere Einflusssphäre und das insgesamt attraktivere Gesellschaftsmodell (größere individuelle Freiheit, größerer Reichtum pro Kopf usw.).
Yooo schrieb:Warum ich das mögliche Gelingen generell kritisiere, hat dann aber auch etwas mit Soziologie zu tun.
Ich staune immer wieder über Sätze wie diesen, weil sie so komplett unverbunden im Raum stehen und ich nicht den Schimmer habe, was sie bedeuten sollen und warum sie da stehen. Help!
Yooo schrieb:Der Akteur hat seine individuelle Einstellung zu den Dingen, die Gemeinschaft hingegen, ist als solche nur handlungsfähig, wenn sie Regeln hat, ob aufgeschrieben oder aus Tradition/Kultur.
Da sie Ziele hat, die sie als Gemeinschaft erreichen will. Daraus wiederum leitet sich ab, dass ein Zwang in einer sozialen Gemeinschaft immer gegeben ist und sein muss.
Was wiederum heißt, dass Herrschaft in einer Gemeinschaft unumgänglich ist. Herrschaft des Kollektivs oder Herrschaft des Einzelnen.
Die meisten Regeln sind internalisiert und das System Geld sorgt dafür, dass sie vernünftig in der Zeit (Geschichte) reproduziert werden (Dauerhaftigkeit des Kapitalismus). Herrschaft, Gesellschaft, Gemeinschaft, sind soziale Systeme, die diesen Prozess tragen und erhalten mit eben den verinnerlichten Regeln, die vom Geld bestimmt werden (möglichst wenig Geld verlieren, möglichst viel Geld hinzugewinnen).
Die Frage nach Herrschaft des Einzelnen oder des Kollektivs ist nur eine der Entwicklungshöhe der Gesellschaft. Die Herrschaft des Einzelnen (auf die Spitze getriebene Monarchie in Form des Absolutismus) ist nur in einer vorindustriellen Gesellschaft möglich. Von daher hat sich dein Entweder-Oder längst erledigt. Jetzt geht es nur noch darum, individuell möglichst hohe Herrschaftsanteile auf sich zu vereinen, wobei die Frage ist, wie sich das messen lässt. Besitzt Trump als der "mächtigste Mann der Welt" mehr Herrschaftsanteile als Bill Gates (ohne den die digitale Welt vielleicht eine ganz andere Richtung eingeschlagen hätte und dessen Vermögen zudem wesentlich größer und stabiler ist als das des Herrn Trump), oder hat ein Herr Bagdhadi mehr Macht, weil er schon seit Jahren den Nahen Osten aufmischt, ohne dass ein Herr Trump oder ein Herr Gates was dagegen tun könnten? Oder Erdogan, der wohl als Mann des Jahres 2017 in die Geschichte eingehen wird, mit seinem Egowahn? Die letzten Beiden sind Störsender, die das übliche Geschehen, das relativ geregelt abläuft, ganz schön durcheinander wirbeln und Prognosen über die weitere Entwicklung extrem schwierig machen, weil sie "gegen den Strom" (der postindustriellen spätkapitalistischen Ratio) schwimmen. Auch Putin ist so ein Unsicherheitsfaktor im Gesamtgetriebe.
Yooo schrieb:Das allerdings nur als Kritik zum radikalen grundsätzlichen Anarchismus.
Und wieder ein Satz, der wie ein einsamer Baum im Raum steht. Was haben deine bisherigen Ausführungen mit "radikalem grundsätzlichem Anarchismus" zu tun? Ich habe bisher nur Fragen nach Macht und Herrschaft erkennen können. Radikaler Anarchismus bedeutet, so viel Unsicherheit ins Gesamtgetriebe zu bringen, dass es neue zusätzliche Regeln einbringen muss, um nicht von den "anarchistischen Viren" zu stark angegriffen und im Bestand gefährdet zu werden, also 100, 1000, ein Million Bagdhadis, Putins und Erdogane. Dafür sehe ich nicht den Hauch eines Ansatzes.
Wo liegen für dich die Unterschiede zwischen Anarchie und Anarchismus? reine Verständnisfrage. Denn die Zeit für Anarchie liegt ja schon ein Jahrhundert zurück und ist unwiederbringlich passé. Sie hat nur eine Chance in Zeiten großer gewaltsamer Umbrüche etwa nach einem Weltkrieg oder einer Revolution. Es könnte noch mal so ein Moment kommen, nämlich beim und nach dem Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Es wäre gut, wenn wir für diesen Fall schon Notstandspläne für den Übergang in eine andere ökonomische Gesellschaftsform in der Schublade hätten, um Bürgerkrieg auf der einen und Totalitarismus auf der anderen Seite zu verhindern. Denn das ist neben Macht und Herrschaft die dritte, auf die Spitze getriebene Form der Gewalt: Totalitarismus.
Yooo schrieb:Ich sehe mich daher auf der Seite eines Anarchosyndikalisten.
Herrschaft ja, aber zum Wohle der Allgemeinheit, das muss immer das Ziel von Herrschaft sein.
Zum Wohle der Allgemeinheit heißt auch, die Freiheit der einzelnen, nur muss es da nunmal Grenzen geben.
Ich seh das so: Wir sitzen aufgrund der Umstände alle in einem Boot und müssen halt das Beste draus machen.
Was hat das alles bitte mit Anarchie, Anarchismus oder "Anarchosyndikalismus" zu tun? Du beschreibst gerade den Status quo der bürgerlichen Gesellschaft.
Yooo schrieb:Die streng Libertären sagen, Eigentum ist das, was man selbst bewirtschaften kann.
Nun beißen sich aber auch da zwei Dinge.
Erstmal ist Eigentum immer durch Herrschaft und Gewalt entstanden und wird auch dadurch gehalten und man sitzt aufgrund dieser Strukturen eben auf den guten oder schlechten Dingen.
Somit ist die Freiwilligkeit bei Verträgen, dann auch nicht mehr wirklich gegeben. Weil die Wurzel des Konstrukts ob man es nun gut findet oder nicht, nicht freiwillig ist.
Da muss ich dir mal beipflichten. Die Frage wäre jetzt, was das für eine Relevanz für deine abschließende Erörterung hat.
Yooo schrieb:Interessant ist, dass heute nahezu alle großen Ideologien, Geld beinhalten.
Das finde ich schon ein bisschen traurig.
Geld greift in alle Lebensbereiche. Geld ist die Objektivierung des Lebens, alles hat einen Preis, alles ist rational - allerdings nur scheinbar.
Doch die Frage ist doch: Warum wird überhaupt Rationalität angewendet?
Rationalität wird immer angewendet, um irrationale Dinge zu erreichen.
Hört sich interessant an. Wäre eine Gesellschaft ohne Geld möglich? Natürlich, aber in ihr könnte nur die nachwachsende Generation leben, weil wir ein Leben ohne Geld, das alles regelt, nicht kennen und uns nicht mal vorstellen können. Nach dem Kollaps des Kapitalismus wird das aber notwendig, und zwar überlebensnotwendig sein. Das Problem, das du mit und ohne Macht/Herrschaft nicht lösen kannst, ist der grundsätzliche menschliche Egoismus, ohne den wir keine Menschen geworden wären. Jeder will etwas besser, schöner, intelligenter, reicher, mächtiger sein als der Konkurrent, um sich im Reproduktionsdschungel durchsetzen zu können. Was wäre die Alternative? In einer postkapitalistischen Welt, in der die Technik so fortgeschritten ist, dass alles vollautomatisch (re)produziert werden kann und es keine "Jobs" mehr gibt und das, was man zum Leben braucht, quasi aus dem 3D-Drucker kommt, ist Geld an sich überflüssig, weil man nichts kaufen muss, sondern sich das, was man braucht, nimmt. Damit sind aber die menschlichen Eigenschaften, sich von allen Konkurrenten abzusetzen und besser als diese zu sein, nicht gelöst, so dass sich neue Formen der Machtgewinnung und -ausübung und damit ein neues Herrschaftssystem zu etablieren versuchen; also führt man hintenrum wieder etwas ein, das den Status des Besserseins auf Dauer stellt, also ein Äquivalent zum Geld, und schon geht wieder der alte Kapitalismus in neuem Outfit 2.0 los, nur unter anderen Voraussetzungen, da wir ja nicht mehr arbeiten müssen, weil die Technik das alles viel besser kann.
"Rationalität wird immer engewendet, um irrationale Dinge zu erreichen."
Ein schöner Satz, den du aber noch mit Inhalt füllen müsstest, damit ich ihn verstehen kann.
Yooo schrieb:Daher würde ich sogar soweit gehen zu sagen, Geld ist der neue Gott.
Was früher die Religion war, ist heute das Geld.
Das Geld wird als Machtinstrument zur Herrschaft genommen.
Eventuell besser als gleich die Keule, ja.
Die Mächtigen haben das Geld und ihre irrationalen Ziele und beeinflussen damit die Masse, die der Religion des Geldes folgt.
Man kann es sogar so sehen, dass sich die Menschen mit viel Geld vielleicht als Auserwählte sehen.
Na, das ist jetzt aber ein ziemlich enttäuschendes Ende, weil es so banal ist. Dass Geld der neue Gott ist, wissen wir schon etwas länger; unsere Tempel sind die Börsen. Falls die Geschichte aus dem Neuen Testament stimmt, woran ich meine Zweifel habe, muss Jesus ja ein richtiger Anarchist gewesen sein, denn er schmiss wütend die ganzen Krämer, Nutten und Kleindealer aus dem Tempel raus und legte sich mit den Machthabern der Stadt und des Tempels an. So begann seine Passionsgeschichte, dessen Ausgang wir kennen.