Grüßt euch
@shionoro,
@ArminG.,
ich glaube, wir leben heute in einem bemerkenswerten Paradox. Tatsächlich haben Menschen, die nichts haben mehr Möglichkeiten, ein gutes Leben zu führen, als jemals zuvor. Ich denke aber nicht, dass das fundamental für soziale Strukturen ist. Es geht nicht darum, wie viel man hat, sondern wie viel man
im Vergleich zu anderen hat. Die Schere klafft auf, blabla, das sind alles keine neuen Phrasen, ich muss sie nicht wiederholen. Aber genau das ist der Grund, warum die Gesellschaft zunehmend bissiger und unzufriedener wird.
Wenn wir nochmal auf die sozialen Netzwerke zu sprechen kommen: Genau das ist doch der Punkt, der Mensch steht heute nicht nur materiell unter Druck, sondern ganz besonders in seinem sozialen Status und Leben. Familiärer Rückhalt ist beinahe etwas Exotisches, Patchwork-Familien gelobt und unterstützt, traditionelle Familien dagegen haben es dagegen richtig schwer. Innerhalb kürzester Zeit werden Kinder in Kitas abgeschoben, die Eltern arbeiten sich im Job zu Tode und wenn abends endlich die gemeinsame Zeit beginnen sollte, setzen die Eltern die Kleinen lieber vor Fernseher oder iPad, damit sie selbst in Ruhe entspannen können.
Mit anderen Worten: keinerlei Rückhalt aus der Familie.
In Werbungen wird uns tagtäglich in unterschiedlichsten Themenbereichen gezeigt, wie falsch wir sind (Hintern nicht stramm genug, wir stinken, wir haben keine tollen Kleider, unsere Beine und Achseln sind zu haarig, die Zähne zu gelb, das Gesicht ohne Schminke zu fad, unsauber gestutzter Bart ist Wildwuchs, wir haben Schuppen, unsere Versicherung gibt zu wenig her, unser Internet ist zu langsam - mit anderen Worten: Ohne Produkte sind wir nichts).
Und mit diesem herrlichen Gefühl gehen wir dann unter Menschen. Messen wir uns nicht mit diesen Standards, sind wir schnell Außenseiter und in der Schule schnell Mobbing-Opfer. Kurze Zwischenfrage: Wie viele Misanthropen, die sich hier geoutet haben, haben auch erzählt, dass sie gemobbt wurden?
Weiter in der Gedankenkette: Größte Ausweichplattform für reale Kontakte sind ja inzwischen - und so komme ich auf den Anfangspunkt zurück - die sozialen Netzwerke. Und auch hier zählt nicht die Persönlichkeit, sondern Optik (Fotos) und Dinge, die einem gefallen. Problem dabei: Optik ist in den meisten Fällen absolut austauschbar, das Innere macht den Menschen eigentlich besonders. Und die Seiten, auf die man "Gefällt mir" drücken kann, sind Massenpunkte, sprich, du bist niemals der einzige, dem das gefällt. Wie also soll ein Mensch sich heute noch als etwas Individuelles fühlen? Wir leben heute ärger denn je das Credo, das zur Zeit der Industriellen Revolution aufkam und bis heute nicht überwunden ist: Jeder einzelne von uns ist austauschbar.
Und um nicht offtopic zu labern, schließe ich den Kreis: Ich behaupte mal, dass ein Großteil der Misanthropen genau zu solchen Aussteigern gehört. Es sind Menschen, die keine Lust auf diese Messstäbe und Standards haben, aber mit welchem Gefühl, wenn nicht Hass kann man diese bunte und doch so graue Masse betrachten? Mitleid höchstens. Abscheu oder Belustigung.
Ach ja. Ein Misanthrop muss übrigens nicht aus instabilen Verhältnissen stammen. Es reicht völlig, wenn er seine Mitmenschen als emotional instabil enttarnt.