@AtheistIII Hast Du Pech, bekommst Du Zellengenossen wie diese:
Foltervorwurf in JVA Herford
"Er hat sich fürchterlich geschämt"
Von Julia Jüttner
Gefangene der Justizvollzugsanstalt Herford sollen einen 16-jährigen Mithäftling misshandelt und aufgefordert haben, sich aufzuhängen. Der Fall wurde nur durch Zufall publik - das mutmaßliche Opfer hatte ihn aus Scham verschwiegen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Keine drei Jahre ist es her, dass sich der 20-jährige Hermann H. in der Zelle 104 der Justizvollzugsanstalt Siegburg erhängte. Drei Mithäftlinge hatten ihn zwölf Stunden lang misshandelt, vergewaltigt, gedemütigt und ihn schließlich gezwungen, sich das Leben zu nehmen. Nun ist ein ähnlicher Fall publik geworden: Vier Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren sollen im Herforder Gefängnis einen 16-Jährigen schwer misshandelt und zum Selbstmord durch Erhängen aufgefordert haben. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt.
Das mutmaßliche Opfer ist nach Angaben seines Rechtsanwalts Peter Wüller aus dem westfälischen Halle ein Junge aus Gütersloh, der "eine Odyssee an Pflegefamilien hinter sich hat". "Aus Verzweiflung" habe der Teenager Zigaretten und Lebensmittel geklaut. Wegen zahlreicher Einbrüche kam er schließlich in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Herford in Untersuchungshaft.
Erst im Prozess gegen den Jugendlichen im August 2009 vor dem Jugendschöffengericht in Detmold kam per Zufall heraus, dass der Junge in dieser Haftzeit schlimme Erfahrungen gemacht haben soll. Ein anderer Mithäftling habe, sagte Oberstaatsanwalt Reinhard Baumgart, in dem Verfahren als Zeuge ausgesagt und dabei darum gebeten, das Gericht möge den 16-Jährigen nicht zurück in die JVA Herford schicken, da er dort "drangsaliert" werde.
Erst daraufhin habe der 16-Jährige zugegeben, von Mitgefangenen gefoltert worden zu sein. Demnach soll er zwischen Mai und Juli 2009 mit einem anderen Häftling Streit gehabt haben. Dieser 17-Jährige habe den Jungen in seine Zelle eingeladen, in der sich auch ein Mitgefangener aufhielt.
Unvermittelt habe der 17-Jährige mit einem Besenstiel auf ihn eingeschlagen und ihn aufgefordert, sich an der Gardine aufzuhängen. Als er sich gewehrt habe, habe ihm der 17-Jährige den Vorhang um den Hals gelegt und zugezogen. "So lange, bis der Junge keine Luft mehr bekam", sagt Rechtsanwalt Wüller.
Scheinhinrichtung mit Rasierklingen
Dem Jugendlichen sei es gelungen, sich zu befreien. Doch danach habe er massive Prügel mit dem Besenstiel einstecken müssen. Anschließend hätten ihn die beiden Häftlinge auf einen Stuhl gezwungen und eine Scheinhinrichtung inszeniert. Mit Rasierklingen sollen sie den 16-Jährigen angeblich eingeschüchtert und ihm gedroht haben, ihm die Kehle durchzuschneiden. Zudem sollen sie ihm auf dessen Armen und Beinen brennende Zigaretten ausgedrückt haben.
Die Misshandlungen gipfelten nach Angaben des 16-Jährigen in einer Vergewaltigung: Mit einem Stuhlbein sei er missbraucht, sein Glied mit einem Gürtel abgeschnürt worden. Sollte er die Häftlinge verpetzen, würde man ihn umbringen, soll ihm einer seiner Peiniger gedroht haben.
"Es gibt Mithäftlinge, die den Vorfall vom Hörensagen bestätigen", sagte Oberstaatsanwalt Baumgart. Drei Hauptverdächtige bestreiten die Tat, ein vierter sei noch nicht vernommen worden.
Der 16-Jährige konnte von der Staatsanwaltschaft noch nicht vernommen werden, da er direkt nach seiner Verurteilung im Sommer in ein Camp für schwer erziehbare Jugendliche in die Türkei geflogen wurde. "Nach der bisherigen Beweislage kann man noch nicht sagen, ob der Vorfall tatsächlich stimmt oder nachgewiesen werden kann", sagt Baumgart. Eine Strafanzeige habe der Junge nicht gestellt.
"Er hat sich mit seinen 16 Jahren fürchterlich geschämt", erklärt der Anwalt des Jugendlichen, warum dieser seine Mitgefangenen nicht angezeigt habe. "Von sich aus hätte er den Vorfall nie publik gemacht. Er weiß aber, dass die Staatsanwaltschaft nun ermittelt - und ermitteln muss."
"Mich wundert, dass sich der 16-Jährige uns nicht anvertraut hat"
Nach Angaben seines Anwalts soll einer der Hauptverdächtigen im Gefängnis mit der Tat geprahlt haben. Demnach habe er den Jungen zum Oralsex gezwungen, ihm Salz und Pfeffer in die Nase gestreut. Ein anderer Häftling soll einem Vollzugsbeamten anvertraut haben, dass ihm der 16-Jährige unter Tränen von den Misshandlungen berichtet habe.
Der junge Gütersloher bleibt nach Angaben seines Anwalts noch bis zum Sommer in dem Jugendcamp in einem Dorf in Ostanatolien, wo er von Mitarbeitern der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel betreut wird.
Friedrich Waldmann, Leiter der JVA Herford, hatte die Ermittlungen sofort nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Übergriffes eingeleitet. Bisher wisse er nicht, ob die Vorwürfe stimmten. "Mich irritiert, dass sich der 16-Jährige uns nicht anvertraut hat, da hier ein Klima herrscht, bei dem der Opferschutz sehr angenommen wird", sagte Waldmann. Die Beweislage sei momentan "ausgesprochen schwierig". "Es gibt keine Tatzeugen, und die vermeintlichen Täter bestreiten massiv."
Im November 2006 hatte der sogenannte "Foltermord" an Hermann H. in der JVA Siegburg für bundesweites Entsetzen gesorgt: Drei junge Häftlinge hatten den 20-Jährigen stundenlang gequält, erniedrigt und schließlich umgebracht. Sie wurden wegen Mordes zu Strafen von zehn, 14 und 15 Jahren verurteilt.
Dass sich eine vergleichbare Tat nun in seinem Haus, in dem 350 Gefangene im Alter von 14 bis 24 Jahren untergebracht sind, abgespielt haben soll, hält Waldmann für "unwahrscheinlich". Andererseits handele es sich bei den vier Beschuldigten wie bei dem mutmaßlichen Opfer um Untersuchungshäftlinge, die demnach zum Zeitpunkt der angeblichen Tat erst wenige Wochen in Haft waren. "Und Herrschaften, die draußen mit Gewalt 'gute Erfahrungen' gemacht haben, warum sollten die nicht versuchen, eben diesen Weg erneut einzuschlagen?"
(SPIEGEL)