Gedichte-Kurze Geschichten oder Sagen mal anders?
21.04.2006 um 13:50
Der Rabe
Einst, um eine Mittnacht graulich, da ich trübe sann und traulich
müdeüber manchem alten Folio lang vergess'ner Lehr'-
da der Schlaf schon kam gekrochen,scholl auf einmal leis ein Pochen,
gleichwie wenn ein Fingerknochen pochte, von derTüre her.
"'s ist Besuch wohl", murrt' ich, "was da pocht so knöchern zu mir her -
das allein - nichts weiter mehr.
Ah, ich kann's genau bestimmen: im Dezemberwar's, dem grimmen,
und der Kohlen matt Verglimmen schuf ein Geisterlicht so leer.
Brünstig wünscht' ich mir den Morgen;- hatt' umsonst versucht zu borgen
von denBüchern Trost dem Sorgen, ob Lenor' wohl selig wär'-
ob Lenor', die ich verloren, beiden Engeln selig wär'-
bei den Engeln - hier nicht mehr.
Und das seidigtriste Drängen in den purpurnen Behängen
füllt', durchwühlt' mich mit Beengen, wieich's nie gefühlt vorher;
also daß ich den wie tollen Herzensschlag mußt'wiederholen:
"'s ist Besuch nur, der ohn' Grollen mahnt, daß Einlaß er begehr'-
nur ein später Gast, der friedlich mahnt, daß Einlaß er begehr':-
ja, nur das -nichts weiter mehr."
Augenblicklich schwand mein Bangen, und so sprach ichunbefangen:
"Gleich, mein Herr - gleich, meine Dame - um Vergebung bitt' ich sehr;
just ein Nickerchen ich machte, und Ihr Klopfen klang so sachte,
daß ich kaumdavon erwachte, sachte von der Türe her -
doch nun tretet ein!" - und damit riß weitauf die Tür ich - leer!
Dunkel dort - nichts weiter mehr.
Tief ins Dunkelspäht' ich lange, zweifelnd, wieder seltsam bange,
Träume träumend, wie keinsterblich Hirn sie träumte je vorher;
doch die Stille gab kein Zeichen; nur ein Wortließ hin sie streichen
durch die Nacht, das mich erbleichen ließ: das Wort "Lenor'?"so schwer -
selber sprach ich's, und ein Echo murmelte's zurück so schwer:
nur"Lenor'!" - nichts weiter mehr.
Da ich nun zurück mich wandte und mein Herz wieFeuer brannte,
hört' ich abermals ein Pochen, etwas lauter denn vorher.
"Ah,gewiß", so sprach ich bitter, "liegt's an meinem Fenstergitter;
Schaden tat ihm dasGewitter jüngst - ja, so ich's mir erklär';-
schweig denn still, mein Herze, lassmich nachsehn, daß ich's mir erklär':-
's ist der Wind - nichts weiter mehr!"
Auf warf ich das Fenstergatter, als herein mit viel Geflatter
schritt einstattlich stolzer Rabe wie aus Sagenzeiten her;
Grüßen lag ihm nicht im Sinne; keinenBlick lang hielt er inne;
mit hochherrschaftlicher Miene flog empor zur Türe er -
setzt' sich auf die Pallas-Büste überm Türgesims dort - er
flog und saß - nichtsweiter mehr.
Doch dies ebenholzne Wesen ließ mein Bangen rasch genesen,
ließmich lächeln ob der Miene, die es macht' so ernst und hehr:
"Ward dir auch kein Kammzur Gabe", sprach ich, "so doch stolz Gehabe,
grauslich grimmer alter Rabe, Wandereraus nächtger Sphär'-
sag, welch hohen Namen gab man dir in Plutos nächtger Sphär'?"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."
Staunend hört' dies rauhe Klingen ich demSchnabel sich entringen,
ob die Antwort schon nicht eben sinnvoll undbedeutungsschwer;
denn wir dürfen wohl gestehen, daß es keinem noch geschehen,
solch ein Tier bei sich zu sehen, das vom Türgesimse her -
das von einerMarmor-Büste überm Türgesimse her
sprach, es heiße "Nimmermehr."
Doch derdroben einsam ragte und dies eine Wort nur sagte,
gleich als schütte seine Seele ausin diesem Worte er,
keine Silbe sonst entriß sich seinem düstren Innern, bis ich
seufzte: "Mancher Freund verließ mich früher schon ohn' Wiederkehr -
morgen wirder mich verlassen, wie mein Glück - ohn' Wiederkehr."
Doch da sprach er,"Nimmermehr!"
Einen Augenblick erblassend ob der Antwort, die so passend,
sagt' ich, "Fraglos ist dies alles, was das Tier gelernt bisher:
's war bei einemHerrn in Pflege, den so tief des Schicksals Schläge
trafen, daß all seine Wege schloßdies eine Wort so schwer -
daß' all seiner Hoffnung Lieder als Refrain beschloß soschwer
dies "Nimmer - nimmermehr."
Doch was Trübes ich auch dachte, diesesTier mich lächeln machte,
immer noch, und also rollt' ich stracks mir einen Sesselher
und ließ die Gedanken fliehen, reihte wilde Theorien,
Phantasie anPhantasien: wie's wohl zu verstehen wär'-
wie dies grimme, ominöse Wesen zu verstehenwär',
wenn es krächzte "Nimmermehr."
Dieses zu erraten, saß ich wortlos vordem Tier, doch fraß sich
mir sein Blick ins tiefste Innre nun, als ob er Feuer wär';
brütend über Ungewissem legt' ich, hin und her gerissen,
meinen Kopf aufs samtneKissen, das ihr Haupt einst drückte hehr -
auf das violette Kissen, das ihr Haupteinst drückte hehr,
doch nun, ach! drückt nimmermehr!
Da auf einmal fülltenDüfte, dünkt' mich, weihrauchgleich die Lüfte,
und seraphner Schritte Klingen drangvom Estrich zu mir her.
"Ärmster", rief ich, "sieh, Gott sendet seine Engel dir undspendet
Nepenthes, worinnen endet nun Lenor's Gedächtnis schwer;-
trink dasfreundliche Vergessen, das bald tilgt, was in dir schwer!"
Sprach der Rabe,"Nimmermehr."
"Ah, du prophezeist ohn' Zweifel, Höllenbrut! Ob Tier, ob Teufel -
ob dich der Versucher sandte, ob ein Sturm dich ließ hierher,
trostlos, doch ganzohne Bangen, in dies öde Land gelangen,
in dies Haus, von Graun umpfangen,- sag's mirehrlich, bitt' dich sehr -
gibt es - gibt's in Gilead Balsam?- sag's mir - sag mir,bitt' dich sehr!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."
"Ah! dann nimm den letztenZweifel, Höllenbrut - ob Tier, ob Teufel!
Bei dem Himmel, der hoch über uns sichwölbt - bei Gottes Ehr'-
künd mir: wird es denn geschehen, daß ich einst in EdensHöhen
darf ein Mädchen wiedersehen, selig in der Engel Heer -
darf Lenor', dieich verloren, sehen in der Engel Heer?"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."
"Seidenn dies dein Abschiedszeichen", schrie ich, "Unhold ohnegleichen!
Hebe dich hinwegund kehre stracks zurück in Plutos Sphär'!
Keiner einz'gen Feder Schwärze bleibehier, dem finstern Scherze
Zeugnis! Laß mit meinem Schmerze mich allein!- hinweg dichscher!
Friß nicht länger mir am Leben! Pack dich! Fort! Hinweg dich scher!"
Sprach der Rabe, "Nimmermehr."
Und der Rabe rührt' sich nimmer, sitzt nochimmer, sitzt noch immer
auf der bleichen Pallas-Büste überm Türsims wie vorher;
und in seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen,
und das Licht wirftseinen scheelen Schatten auf den Estrich schwer;
und es hebt sich aus dem Schattenauf dem Estrich dumpf und schwer
meine Seele - nimmermehr.