paxito schrieb: Vielen Dank für deinen Beitrag @MissMary , auch wenn es da sicher Unterschiede zwischen Berufsschule und allgemeiner Schule gibt. Kenne ja beides aus der Schülerperspektive.
Bestimmt gibt es da Unterschiede, wobei die Schüler, die bei uns im Juli gehen, die Berufsschüler vom September sind. Ich kann mir aber vorstellen (bzw. hoffe es), dass für die Pflege nochmals gesiebt wird.
paxito schrieb:Ansonsten erkenne ich da so einige Parallelen mit der Pflege, in der ich jetzt arbeite. Schlechte Ausstattung, schwierige Klientel, Personalmangel und anstrengende Angehörige (bei mir sind es eher die Kinder, bei dir die Eltern)? Kommt mir dann doch sehr bekannt vor.
Vermutlich gibt es da Parallelen. Die Eltern (bei dir die Kinder) sehen eben nur das eigene Kind, haben oft sehr unrealistische Vorstellungen, was Schule leisten kann und was ihr eigenes Engagement betrifft. Dadurch entsteht auch eine Anspruchhaltung, die sehr massiv durchgedrückt wird.
paxito schrieb: Da ich über die Jahre in der Arbeit mit psychische kranken Menschen und zwischenzeitlich mit Menschen mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen Erfahrung sammeln durfte, tippe ich - ohne es sicher sagen zu können - das mich da nicht mehr viel schocken kann. Ich wurde schon häufig gebissen, gekratzt, geschlagen und aufs übelste beschimpft, musste öfter mal die Polizei rufen und hab mich in Sachen DialogOrientierte Körperliche Intervention (DOKI) weitergebildet. Also Klammergriff und freundlich bleiben. Ich vermute, dass diese Erfahrungen mich zumindest auf den Umgang mit "normalen" Schülern etwas vorbereitet, schlimmer als gewalttätige Psychotiker werden die hoffentlich nicht sein.
Du musst dich als Lehrer emotional oft zurückziehen, sonst reibt dich der Job zu sehr auf. Mitunter hast du wirklich Schülerschicksale, die dir sehr unter die Haut gehen und du kannst nichts machen. Was bei mir das Problem ist ist das "Ich sollte noch ...". Auch aufgrund der schlechten Ausstattung etc. dauern bei uns Dinge einfach ewig. Ich fahre oft am Samstag nach meiner Unterrichtsvorbereitung in die Schule (früher bin ich Samstagabend gefahren, wenn die Kinder im Bett waren und ich 100% allein, allerdings mal auf einen Einbrechertrupp getroffen, aber das ist eine andere Geschichte) ...
Das Problem ist, du hast meistens eine "To do Liste" mit 20 Punkten. Die klingen alle easy. Bis du anfängst. Z.B. Möchtest du Frau X darauf aufmerksam machen, dass die Entschuldigung vom letzten Dienstag fehlt. Du hast schon 3x angerufen. Frau X ruft aber nicht zurück. Da das Kind aber insgesamt Zeichen der Vernachlässigung zeigt, möchte dein Chef, dass du ein persönliches Gespräch führst - den interessiert auch nicht, dass du schon 3x die Mailbox vollgequakt hast und dass sie nicht zurückruft). Du hast also immer noch im Hinterkopf, dass du Frau X noch anrufen musst. Endlich erreichst du sie. Sie erzählt dir 45 Minuten, wie schwierig ihre häusliche Situation ist. Das ist alles Arbeitszeit. Und eigentlich ist nun schon fast 21 Uhr und du wolltest auch noch gemütlich die Füße für die Stunde hochlegen ... sie bittet um ein persönliches Gespräch. Dringend. Kann aber nur nach 20 Uhr. Du sagst zu, dich in der kommenden Woche um 20 Uhr an der Schule mit ihr zu treffen. Du fährst hin. Sie kommt nicht. Ist telefonisch nicht zu erreichen. Immerhin kann man den Fall nun an Chef/ Sozialpädagogen abgeben. Dafür fängst du dir in der Pause Kind X ab und fragst, was denn da los ist. Dann schreibst du einen Bericht. Insgesamter Zeitaufwand: 120 Minuten. Oder: Mobilnummer hat sich geändert. Du fährst kurz vorbei und wirst eine Notiz in den Briefkasten.
paxito schrieb:Was ich mir noch überhaupt nicht vorstellen kann, ist Vorbereitungen zu Hause. Unentgeltlich. Sowas gibt es in meinem Job einfach nicht. Muss man wohl erlebt und gemacht haben, um zu wissen, was das heißt. Die Arbeitszeiten hören sich sogar richtig gemütlich an, im Vergleich zu den 10 Stunden Nachtschichten, Teildiensten (4 Stunden Morgens, 4 Stunden Abends) oder gar Doppelschichten (5:45 - 20:15) die ich so von der Arbeit gewohnt bin.
Das hat Vor- und Nachteile. Vorteil: Du bist zeitlich flexibel. Nachteil: Du bist zeitlich flexibel. Bei mir ist es so, dass ich oft gegen 14 Uhr heimkomme. Dann esse ich was, höre, was meine Kinder zu erzählen haben. Dann ist es 15 Uhr und ich setze mich an den Schreibtisch. Oft bis 18 Uhr. Manchmal steht aber mittags was an ... dann eben bis 19 Uhr. Dann klingelt um 20 Uhr das Telefon und es ist doch noch ein Elternteil dran. Oft ist es 21 Uhr, bis alles erledigt ist. Du hast das Gefühl, dass du die ganze Zeit arbeitest.
paxito schrieb:Jup, so siehts auch in der Pflege aus. Also bleibt alles beim Alten wenn ich Lehrer werd :D
Oder zumindest einiges, es ist weiter ein sozialer Job, dessen Fokus in der Arbeit am und mit dem Menschen liegt. Das finde ich eigentlich sehr sympathisch. Noch mal danke für deine Ausführungen!
Ich glaube - wie in der Pflege auch, wird ganz viel sehr "verkompliziert". Du musst alles dokumentieren. Mit Unterschriften. Ganz viel Papier ist einfach geduldig. Damit Eltern dann nicht kommen können "habe ich alles nicht gewusst" - bist du ständig dabei, Unterschriften einzusammeln: 5x Hausaufgaben nicht gemacht, 3x Buch vergessen, 3x 6 im Vokabeltest. Manche Eltern unterschreiben einfach nicht. Das ist dann immer eine riesige und sehr nerv- und zeittötende Diskussion (und völlig sinnlos).
Gucky87 schrieb:Ich hatte gestern zufällig ein ganz ähniches Gespräch. Ein Freund fragte, ob er nun eher Lehrer werden soll oder "was Besseres". Er will alternativ so etwas wie Archäologe machen. Nach längerem Hin und Her fragte ich ihn, ob er denn schon mal ein Praktikum oder so an einer Schule, also vor Schülern gemacht habe, was er verneinte.
Ich riet ihm, genu das mal zu machen, damit er spürt, wie sich Lehrer "anfühlt".
Was bringt der beste Lehrer, wenn er demotiviert oder schon morgens "angepisst" ist, was aufgrund der Schüler und der oft marode Zustand der Schulen, bzw. des Schulsystems fast schon vorprogrammiert ist?
Lehrer haben ein ganz seltsames Image. Ich versuche auch zu vermeiden zu sagen, dass ich Lehrerin bin und weiß von Kollegen, dass die z.B. auf Partys oder im Urlaub einfach einen anderen Job angeben. Als Lehrer hast du immer das Image "arbeitet nichts für viel Geld". Gleichzeitig möchte eigentlich niemand mehr Lehrer werden. Das Unterrichten ist wie gesagt gar kein Problem. Und es gibt sicher auch große Unterschiede - zwischen Schularten und Gegenden. Es ist das aufgeblähte Andere, was so viel Zeit und Energie kostet.
Gucky87 schrieb:Lehrer werden verheizt, das sagte schon jemand weiter oben, und so ist es. Gleichzeitig werden wie wegrationalisiert. In meiner Gegend z.B. ist 1 Rektor für 5 Schulen verantwortlich. Einige Lehrer pendeln mehrfach am Tag zwischen diesen hin und her, weil eben überall Lehrkräfte eingespart werden.
Es möchte niemand mehr Konrektor oder Rektor werden - und das aus gutem Grund. Du arbeitest z.B. mit Lehrern, die der Staat einstellt und dir schickt und du musst eben klar kommen. Genauso mit den Gegebenheiten vor Ort. Da gibt es überall andere Besonderheiten. Bei uns: Kleinere Stadt in der Nähe mit sehr vielen Gymnasien, die durchaus auch bereit sind, freundliche und fleißige Schüler, die leicht überfordert sind (klassische Realschüler) bis zum Abi mit durchzuziehen. Dann gibt es noch eine sehr gute Privatschule mit herausragendem Ruf. Dann gibt es auf dem platten Land noch eine gute Realschule. D.h. in der Stadt, in der ich arbeite, kommen gar keine "normalen" Realschüler auf der Realschule an, weil es viel attraktivere Möglichkeiten gibt.
Als Rektor kämpfst du an allen Fronten: Mit dem Schulträger, dass dein Gebäude einigermaßen in Schuss ist (und das ist bei der Finanzlage einiger Gemeinden ein Kampf gegen Windmühlen), mit dem Schulamt, dass du genug Leute bekommst, mit den Eltern, mit dem Ruf deiner Schule... In großen Kollegien gibt es immer einige sehr schwierige Kollegen.
Gucky87 schrieb:Ich muss zugeben, ich würde heute nicht Lehrer werden wollen, was nicht auch zuletzt daran liegt, dass der Lehrer nicht mehr respektiert wird. Möchte ich mrorgens mit den Worten "Ey, geh bai Hause, alte Schaise." begrüßt werden? Sicher nicht. Gut, das trifft sicher nicht auf alle Schulen/Schüler zu, aber auf viele.
Das Problem ist, dass schon ein hochproblematischer Schüler reicht, um eine Klasse zu "zerschießen". Da hängen sich dann auch sofort Sympathisanten an. Respekt ist ein Problemfeld. Aber auch Sorgfalt und Zuverlässigkeit. Wir sind früher, wenn es geschneit hat, einen Bus früher gefahren, einfach, dass, wir pünktlich sind. Das gibt es heute nicht mehr. Pünktlichkeit, Hausaufgaben, Struktur, Materialien sind alles Themen, die problematisch sind.