Seps13 schrieb:Darsow macht es anders, den nimmt man gar nicht wahr, die PR-Arbeit leistet seine Frau und die hat erstens nichts getan und kommt zweitens sympathisch rüber.
Also schon deswegen ein grundsätzlich besseres Konzept.
Für Avery ist MaM eine hervorragende mediale Offensive und seine Anwältin hat auch eine Art, reißerische Litigation-PR zu betreiben, die anscheinend eine ordentliche Anhängerschaft findet.
Es ist ganz interessant, dass wir hier drei Fälle mit ganz unterschiedlichen "Kampagnen" haben. Anja Darsow hat mit ein paar treuen Freunden aus ihrem Wohnzimmer begonnen, die wohl von Anfang an bestehenden Zweifel am Urteil zu formulieren, zu verbreiten, und es dann auch in die Medien geschafft. Ihr ist der coup gelungen, einen relativ bekannten Strafverteidiger zu finden, der professionell an den Fall geht und sich ab und zu einmal, aber doch recht dezent, auch in der Öffentlichkeit äussert. Es hilft m.E. natürlich auch, dass Anja Darsow eine gutaussehende junge Mutter ist, und somit einen gewissen Öffentlichkeitsappeal hat. Der juristisch völlig unbedarfte Bürger kann sich auch relativ gut in die Darsows hineinversetzen, eine junge Familie, Mittelklasse, die versuchte sich ihren Traum vom eigenen kleinen Reihenhaus zu verwirklichen und jäh aus diesem Traum gerissen wurde. Und ja, vom Täter selbst, um dessen Unschuld es ja geht, hört und sieht man kaum etwas.
In diesem Fall sind die inhaltlichen Fakten relativ gut bekannt, und gerade Beobachter mit etwas Erfahrung in der Materie sehen wenig Erfolgchancen für die Darsows. Unterm Strich aber bleibt irgendwie eine menschlich positive Begegnung, Sympathie, eventuell etwas Mitleid vor allem eben mit der Familie des Täters.
Ganz anders der Avery Fall. Hier haben wir eine bisher beispiellose Medienkampagne, der Fall ist vielen Millionen Zuschauern im In- und Ausland nun bekannt - bzw. glauben diese, den Fall zu kennen. Was sie in Wirklichkeit kennen ist eine extrem medial gesteuerte Pseudowelt. Wir Zuschauer bekommen einen oft viel zu intensiven Einblick in die geistig und materiell doch sehr einfache Familie, ja, die sogenannte "Dokumentation" bietet gefühlte 75% der Sendezeit diese Einblicke, die man eigentlich gar nicht so tief haben möchte. Jedenfalls nicht der Zuschauer, der am Fall selbst interessiert ist.
Dazu kommt eine medial sehr aggressive Anwältin, deren Verhalten ganz anders als das des deutschen Anwalts Strate ist. Zellner produziert Aussagen am laufenden Band, die nur für die Medien und keineswegs für die Richter gedacht sind und setzt sich in Szene. Avery wird zum knuddeligen Teddybär, der seiner "Staranwältin" selig vertraut. Die Fakten aus seiner recht langen Kriminalgeschichte, die ein anderes Bild von ihm malen, werden selten erwähnt und geraten schnell in Vergessenheit. Dafür sehen wir die Anwältin in der Rolle einer Detektivin, wie sie bei jedem "wichtigen" forensischen Versuch dem Ergebnis entgegenfiebert...
Man vergleiche das nur mal mit Strates Verhalten, der nüchtern und sachlich einfach nur sagt: ich werde das Gutachten beurteilen und dann die Ergebnisse veröffentlichen, wenn es so weit ist.
Unterm Strich aber gibt es bisher interessanterweise das gleiche Ergebnis in beiden Fällen: weder die hübsche Laienkämpferin Darsow noch die aggressive Medienprofi Zellner haben juristisch auch nur einen einzigen Erfolg vorzuweisen. Denn was im Fernsehen schnell vergessen oder übersehen wird: die beteiligten Richter in den Fällen durchschauen all dieses Medienspektakel und bewerten allein die juristischen Fakten. Und die sprechen in beiden Fällen klar für die Schuld des Täters.
Meine Prognose für diese beiden Fälle: In zehn Jahren wird man sich noch an Anja Darsow erinnern, den Vornamen ihres Ehemanns schon vergessen haben und beide irgendwie ein wenig bedauern. An Avery selbst wird man sich kaum noch erinnern, aber an die "Staranwältin," auch wenn sie am Ende erfolglos war. Das wird sein wie bei OJ Simpson, wo man sich weit mehr an seinen Staranwalt Johnnie Cochran ("if it doesn't fit you must acquit") erinnert, als an OJ selbst.
Nun haben wir noch JS. Er hat weder eine hübsche Ehefrau noch eine Staranwältin. Er hat eine treue Anhängerschaft, die auch ein paar Medienprofis einschliesst. Aber er ist mit dem Versuch gescheitert, sich einen Mythos aufzubauen, der ihn als den unschuldigen verfolgten deutschen Mandela in den Fängen der schrecklichen, weil amerikanischen, Justiz befindet. Genauso wie er vor ein paar Jahren daran gescheitert ist, den Mythos des im Knast gläubig gewordenen und daher Vergebung verdienenden einsamen Inhaftierten aufzubauen. Und dem Mythos, er sei ein politischer Gefangener, der nur wegen der Unfähigkeit deutscher und der Bosheit amerikanischer Politiker im Knast sitzt.
Und das ist sein Problem: vom ersten Tag an strickt er an immer wieder anderen Mythen, die ihm ausser den einfältigsten Fans aber niemand abkauft, vor allem nicht in der Masse: der aufopfernd Liebende, der sein Leben für seine Traumfrau gibt, in einem an Romantik und Tragik nicht zu übertreffenden Versprechen. Nun, die Fakten haben schnell gezeigt, dass das nichts als ein Mythos ist.
Dann wurde aus der Traumfrau die böse lügende Hexe, die das arme naive deutsche Muttersöhnchen schamlos ausgenutzt hat und sein Leben zerstört hat. Auch das hat nicht funktioniert.
Dann kam der schon erwähnte reumütige aber immer unschuldige Christ, der so selbstlos ist, dass er den schrecklich rückständigen Amerikanern in seinem Buch auch noch zeigt, wie ein moderner Strafvollzug sein soll. Auch der Versuch ist krachend gescheitert.
Der politische Häftling, den schrecklichen Republikanern ausgeliefert... da haben weder Obama noch Merkel mitgespielt.
Zum Schluss muss es dann mit der Brechstange sein: obskure DNA Ergebnisse, die kaum ein Laie versteht müssen es mit Hilfe eines obskuren ehemaligen Sheriffs richten. Funktioniert auch nicht so recht.
Was bei all diesen Mythen aber konsequent bleibt, ist der Eindruck, den viele Beobachter mitnehmen: hier ist jemand, der konsequent alle anderen für dumm verkaufen will. Schlimm, wenn nach all den Jahren und Mythen dann doch immer eines im Gedächtnis bleibt: das herablassende Grinsen im Zeugenstand, als der Staatsanwalt entgeistert fragt: lachen Sie uns hier eigentlich aus?
Drei Fälle, drei ganz unterschiedliche Öffentlichkeitswahrnehmungen. Und das, obwohl in allen drei Fällen alle Protagonisten unhaltbare Dinge vorbringen: Kaum jemand nimmt Anja Darsow ab, dass es doch eigentlich gar keine Lärmbelästigungen der Tolls gegeben hat. Niemand wird Zellner und Avery glauben, dass zwei ebenso einfältige Familienmitglieder ein gewaltiges Vertuschungsspiel vorgelegt haben, mit Leichenteilen, die plötzlich in Averys Feuerstelle auftauchen. Und niemand wird JS die unbekannten Meuchelmörder abnehmen, die mit oder ohne Elizabeth auf Socken deren Eltern meucheln.
Alle drei werden am Ende ein ganz unterschiedliches Sympathiepunktekonto haben. Aber am Ende werden rational denkende Menschen rational entscheiden. Das ist meine Prognose.