Der Mensch Jens Söring
05.04.2022 um 11:20
So, nun habe ich die Folge 8 nochmals gehört (ich hatte schon mal die ganze Fassung von Bookbeat - mit englischsprachigem Zusatzmaterial - angehört). Diese letzte Folge schlägt nochmal die Kurve zu Sörings "Medienlawine" des vergangenen Jahres. Die Auftritte bei Heim, Pilawa etc. werden alle nochmal kurz angerissen ... v.a. wird nochml Prechts großer Einsatz für Söring erwähnt. Deutschland berühmtester Philosoph seit Immanuel Kant scheint in Söring einen Bruder im Geiste zu erkennen ... er ist halt ähnlichen Alters, und das hat ja auch Pilawa so fasziniert. "Das hätte ich sein können, wenn ich damals mein Leben für Birgit/Fatimeh/Jule weggeworfen hätte ...", scheint den Herren der Schöpfung 50+ durch den Frontallappen zu schießen. Kein Wunder, dass sie sich so für unseren Helden, den "deutschen Nelson Mandela", ins Zeug werfen.
Was noch bemerkenswert an der Folge ist: Annabel H erwähnt ab Min. 29:00, dass Söring auch nach der Freilassung, ja gerade dann, Rache- und Gewaltphantasien geäußert hat. (Im Departement of Forensic Sciene in Virginia "gehören alle Mitarbeiter vom Klomann bis zum Manager mit einer AK-47 erschossen" ... puh, das wäre ja mal ein ganz anderer Bodycount als in Loose Chippings.) Sie bekam daraufhin, verständlicherweise, Angst, da Söring ja all ihre privaten Details (Adresse, Job, persönliche Beziehungen) kannte bzw. kennt. Erstmal bestätigt mir dass, dass man Söring durchaus noch für gefährlich halten kann (so auch Wright). Für ihn und andere wird es also besser sein, ihm etwas auf die Finger zu gucken. Was mich aber wundert (und das fehlt auch in Annabel H's Bericht): Wie reagierten andere Mitglieder des Freundeskreises darauf? Wurde das gutgeheißen? Gar verbal unterstützt? Hat niemand das kritisch zur Sprache gebracht? Und wenn nicht Söring gegenüber, dann auch nicht im gegenseitigen Austausch untereinander? Falls nicht, frage ich mich schon, was das für ein "Freundeskreis" sein soll ... wenn es doch angeblich um den Einsatz für einen unschuldigen Häftling ging, ist das doch nicht akzeptabel, wenn dieser solche Gewaltäußerungen tätigt. Hier gibt es für mich eíne Leerstelle.
Der Podcast im Ganzen: Ersteinmal ein großes Lob an CCC Film und Argon.Lab. Eine sehr gute und dringend notwendige Aufbereitung des "Falls Söring" mal fern des Vetter-Steinberger-Muscials "I put a spell on you". Die Fakten werden nochmal gut dargestellt, dann werden die "Unschuldsargumente" Sörings feinsäuberlich auseinandergenommen und die fragwürdige Persönlichkeit des frühen und auch des späten Jens Söring analysiert. Gerade letzteres (Söring vor und nach seiner Entlassung) war ja wirklich in weiten Teilen neu und eben durch Interna höchst spannend. Ich fand übrigens besonders gelungen im Podcast, wie hier die verschiedenen Zeitebenen (vor dem Mord / Mord / Flucht / Verhaftung / Urteil / Haftzeit / Freilassung / Medienlawine) ineinandergeschnitten werden. Das haben vermutlich vor allem die Regisseurinnen Lucia Knollhuber und Katharina Rahn zu verantworten, und die zwei haben einen hervorragenden Job gemacht.
Was "Das System Söring" so wichtig macht, ist in meinen Augen einerseits, dass er dem "Fall Söring" ein Gegengewicht zum Vetter-Steinberger-Söring-Narrativ verleiht. Denn ab sofort muss sich kein "Zweifler" an Söring mehr durch den langen Bericht von Terry Wright arbeiten. Dass dieser selbst zu Wort kommt - und mit seiner britischen Würde und Ernsthaftigkeit eine moralische Leitfigur des Podcasts bleibt - ist natürlich der wichtigste Coup der Produktion. Die von ihm minutiös erarbeiteten Fakten, die Sörings Show desavourieren, sind nun viel leichter konsumierbar. Daran kommt kein Journalist mehr vorbei.
Andererseits - und genau so wichtig - ist der Podcast für die Behandlung des "Medienfalls Söring". Denn Söring steht beispielhaft für die Art und Weise, wie bei uns der Journalismus arbeitet. Faktenrecherche, neutrale Berichterstattung, Überprüfung von Quellen und ihrem Material ... das alles wurde und wird in Sachen Söring vernachlässigt. Mit seinem "internationalen Büro" und fleißigen Ameisen, die unentgeltlich schuften, konnte Jens Söring ohne Probleme sein Narrativ durchdrücken und auf diese Weise jede Menge Fans, Joggingfreunde, Honoraraufträge und Medienauftritte generieren. Lange Zeit gab es außer dem "Texanischen Blogger" niemand, der auch nur versucht hätte, dieses "System" zu hinterfragen.
Und genau dies ist auch mein einziger Kritikpunkt an die Produzentinnen des Podcasts Alice Brauner und Johanna Behre: Gegen Ende des Podcasts hätte ich mir schärfere Worte gegen die Journalisten und Journalistinnen gewünscht, die sich auf diese Weise haben benutzen lassen und wiederum die Medienkonsumenten (uns alle!) benutzt haben. Die Kritik an Lanz, Precht, Vetter und Steinberger bleibt sehr verhalten ... zu stark steht der "Meistermanipulator" Söring im Vordergrund, während diese Journalisten nicht wirklich kritisiert werden. Ich nehme an, dass der Podcast sich da nicht zu sehr dem Vorwurf einer "Kollegenschelte" aussetzen wollten. Aber angesichts der kommenden Netflix-Produktion hätte ich mir da deutlichere Worte gewünscht, oder auch noch emsigeres Nachbohren bei den betreffenden Leuten.
Mir fehlen deshalb eingentlich 2-3 Folgen, die noch viel stärker auf diesen "Söring-Journalismus" eingehen. Es gab ja durchaus neue Entwicklungen (Streichung der Galileo-Folge, Netflix-Ankündigungen etc.), die man noch behandeln könnte. Ich würde es begrüßen, wenn zum Start der Netflix-Serien auch der Podcast ein Update bekommt (in Form eines kleinen Addons),
Trotz dieser Kritik auch ein Lob an die Produzentinnen: Sie haben ein "heißes Eisen" angefasst, und ich hoffe, dass sich dieser Mut für sie bezahlt macht. Und natürlich ein Lob an Annabel H, die mit ihrer Zusammenarbeit mit dem Podcast einiges riskiert hat. Ich denke, dass sie sich nun - nachdem sie eigene Fehler zugegeben hat und mithalf, sie wieder gutzumachen - sicherer fühlen kann und bestimmt auch etwas mehr Frieden mit ihrer Zeit im Freundeskreis schließen kann. Ihr Beispiel ist zugleich eine Mahnung an uns alle: Wir Menschen sind alle leicht zu manipulieren ...
kalimba schrieb:Das ist absolut richtig. Was möchtest Du damit denn aussagen? J. Söring leidet unter FAS?