Andante schrieb:Warum sind so viele Leute bereit, diese Story zu glauben? Steckt da bei älteren Leuten der gute alte Antiamerikanismus der 70er Jahre dahinter? Oder der heutige Ant-Trumpismus, obwohl Söring zu einer Zeit verurteilt wurde, als Trump noch nicht am Horizont zu sehen war? Steht Söring also als Symbolfigur für irgendwas? Weckt er mit seiner mentalen Jünglingshaftigkeit speziell bei Damen mütterliche Gefühle? Also: Warum hat er derart viele Gefolgsleute?
Ich kann es mir nicht anders erklären. Dazu kommt, dass man heutzutage offenbar eh willens ist, einen Justizskandal überall dort zu wittern, wo der lediglich in der allmy-Universität ausgebildete Hobbyjurist einen sieht, das haben wir ja schon öfter gesehen. Kann man nun noch dem eh unterlegenen amerikanischen Justizsystem einen solchen "nachweisen," ist das Weltbild in Ordnung.
synthia schrieb:In Deutschland zum Beispiel, landet eine Ermittlungsakte am Schluss aller Ermittlungen beim Beschuldigten. In den USA ist das nicht so.
Das stimmt nicht. Siehe hier:
Venice2009 schrieb:was du behauptest ist falsch. Die Staatwanwaltschaft in den USA muss der Verteidigung ebenfalls alles zur Verfügung stellen, z. B. die Ermittlungsergebnisse offen legen. Sie darf nicht einfach entlastende Beweise einbehalten. Oder was auch immer du denkst, was mit diesen passiert.
Und was Beweisanträge angeht, so ist in den USA genau wie in Deutschland in "letzter Instanz" das Gericht zuständig, nicht die Staatsanwaltschaft. Soerings Verteidigung hatte das Recht, was auch immer vor Gericht zu bringen, sofern es den Regeln der Strafprozessordnung entspricht. Und da gibt es freilich Einschränkungen, denn niemand hat ein Interesse, stundenlang "Zeugen" zu hören, die "nachweisen können," dass genau zum Tatzeitpunkt ein ausserirdisches Raumschiff über dem Tatort gesichtet wurde.... um das mal überspitzt zu sagen. Beide Seiten, Anklage und Verteidigung, dürfen nur einbringen, was für den Prozess, also für die im Verfahren aufgeworfenen Fragen relevant ist. Darüber entscheidet das Gericht.
Und jenes vielzitierte "Profil" zum Beispiel ist in der Konstellation dieses Verfahrens einfach irrelevant. Und einiges andere auch.
Man kann es nicht oft genug betonen, Soering hatte mannigfaltige Möglichkeiten, irgendwelche juristischen Fehler in seinem Verfahren bei höheren Instanzen anzubringen, und ist damit jedes Mal gescheitert. So klar gescheitert, dass er am Ende ja nicht einmal mehr einen Wiederaufnahmeantrag verfolgt hat, sondern sich auf die politische Schiene konzentriert hat.
Und noch einmal gesagt, das amerikanische und das deutsche Strafjustizsystem sind sich, was die Verfahrensregeln angeht, sehr ähnlich. Anders ist es, wenn es um das Strafmass geht, aber was die "Wahrheitsfindung" durch das Gericht angeht, so stehen beide Seiten, Anklage und Verteidigung, in beiden Systemen mehr oder weniger vor den gleichen Herausforderungen und Regeln. Das hört man zwar nicht gerne, wenn man doch überzeugt ist, dass die amerikansiche Justiz der deutschen nicht das Wasser reichen kann, aber wer sich wirklich damit auskennt, der weiss das.
Daher kann man auch noch einmal den Kollegen hier zitieren, der neulich erst meinte, dass auch er davon ausgeht, dass Soering unter den gleichen Umständen wahrscheinlich auch in Deutschland verurteilt worden wäre. Das ist von Anfang an ja auch meine Meinung gewesen. Das Problem Soerings ist und war, dass er weder auf der formaljuristischen Ebene des Verfahrens noch auf der faktischen Ebene der Indizien irgendwo ein plausibles Argument für seine Unschuld hat. Und genau das hat die Justiz in all den Instanzen bestätigt.