RedRalph schrieb:Ich glaube der Fehler vieler juristischer Laien - und danach scheinst Du zu diesen zu gehören - liegt darin, dass sie der Ansicht sind, jemand müsste seine Unschuld beweisen, um nicht verurteilt zu werden. Niemand muss seine Unschuld beweisen, um einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, sondern ein Gericht darf nur verurteilen, wenn sie die Schuld eines Angeklagten ZWEIFELSFREI als erwiesen sieht. Ansonsten gilt in unserem Rechtsstaat noch immer der "in dubio pro reo"-Grundsatz.
Natürlich muss der Angeklagte nicht seine Unschuld beweisen. Das versucht er ja nicht einmal, denn er hat sich ja dazu entschlossen zu schweigen. Und das ist sein Recht und darf ihm auch nicht zum Nachteil ausgelegt werden.
Allerdings gilt der "in dubio pro reo" Grundsatz erst in der Gesamtschau, also nach der Würdigung aller im Prozess vorgetragenen Argumente für und gegen die Schuld eines Angeklagten. Es ist eben nicht so, dass man jedes einzelne Indiz hernimmt und sich fragt, ob dieses Indiz einen Beweis für die Schuld des Angeklagten liefert oder nicht. Wenn ein Indiz nicht ausreicht, um die Schuld des Angeklagten zu beweisen, wird halt schnell nach "in dubio pro reo" geschrien und das so gedeutet, dass das Indiz damit untauglich und zu verwerfen sein.
Aber ein Indiz ist eben per se kein Beweis sondern nur ein Beweisanzeichen und die Beurteilung erfolgt in der Gesamtschau aller Indizien. Genau deswegen ist es müßig, dass wir hier palavern, dass die im Prozess vorgetragenen Argumente und Indizien nicht ausreichend seien. Das kann nur der beurteilen, der an allen Prozesstagen anwesend war und dementsprechend alle Argumente gehört hat.
Es ist eben auch nicht so, dass es für eine Verurteilung eine "geschlossene Indizienkette" geben muss. Was soll denn in diesem Zusammenhang "geschlossen" bedeuten?
Es kann sogar Indizien geben, die auf eine Unschuld des Angeklagten hindeuten, und trotzdem zu einer Verurteilung kommen. Das Urteil ist eine Abwägung der Richter, die für sich feststellen, ob sie von der Schuld des Angeklagten überzeugt sind oder aber ob daran Zweifel bestehen. Bestehen diese Zweifel, so müssen sie freisprechen, denn dann gilt eben "in dubio pro reo".
Natürlich arbeiten sich Verteidiger gerne an einzelnen Indizien ab und versuchen, diese zu entkräften, zu schwächen oder sogar zu widerlegen. Und besonders gerne tun sie das in der Öffentlichkeit und gegenüber der Presse. So sät man halt Zweifel.
Natürlich kann man sich hundert Erklärungen ausmalen, wie die DNA des Angeklagten an den Spaten gekommen sein könnte. Natürlich können zur gleichen Zeit noch 100 andere perverse Personen in der Gegend rumgelaufen sein. Und natürlich kann ein chronischer Sexualstraftäter auch aus anderen Gründen nervös werden und sich die Hände kneten, wenn im Fernseher von einer Sexualstraftat berichtet wird.
Das ist auch ein legitimes Verhalten eines Verteidigers und sogar seine Aufgabe.
Dass sich aber der Rechtsbeistand des Nebenklägers während des laufenden Prozesses vor die Kamera stellt und rumsalbadert, dass die Indizien nicht ausreichen würden, dass es keine Beweise gäbe und sich dann auch noch versucht, einzelne Indizien zu entkräften, ist in meinen Augen einfach nur unprofessionell. Der Nebenkläger und sein Anwalt scheinen offenbar von Anfang an eine sehr vorgefasste Meinung gehabt zu haben.
Bevor man sich zu so einem Statement hinreißen lässt, hätte man die restlichen Prozesstage bis vopr den Plädoyers abwarten müssen, denn erst dann kann man sich eine Meinung bilden. Alles andere ist nur ein Zwischenstand, der am Ende völlig irrelevant ist.
So hat man der Sache eher geschadet, und das völlig unnötig. Was steckt da für eine Motivation hinter, ohne Not so etwas rauszublasen? Klar drängelt die Presse immer und will ein Statement haben, aber man hätte auch einfach professionell sagen können, dass man erst die anderen Prozesstage abwarten will, um sich ein Gesamtbild zu machen, bevor man sich ein Urteil bilden kann.