@jaskajaska schrieb:Mal angenommen, ein Anwalt hätte eine solche Bemerkung gemacht:
- gäbe es strafrechtliche Konsequenzen für ihn?
- hätte das Auswirkungen auf die vorangegangenen Prozesse bzw das laufende Verfahren?
Vorausgesetzt, diese Aussage beruhte auf einem Geständnis des Angeklagten gegenüber dem Verteidiger, welches letzterer aber eben nicht für 100 %ig glaubhaft hielt, dann wäre es wohl eine Verletzung der Schweigepflicht und damit gem. § 203 Abs. 1 StGB strafbar. Außerdem kömen standesrechtliche Sanktionen wegen Verletzung standesrechtlicher Pflichten nach § 43a Abs. 2, 3 BRAO in Betracht. Möglicherweise käme auch noch Parteiverrat - strafbar gem. § 356 StGB in Betracht.
Bei einer Schweigepflichtverletzung stehen dann auch etwaige Beweisverwertungsverbote im Raum, wobei ich meine, dass das schwierig wird, wenn der Anwalt von sich aus die Schweigepflicht verletzt. Eine Rolle hätte das aber für den vergangenen Prozess nur spielen können, wenn diese Aussage des Anwalts überhaupt als Beweis im Prozess verwendet wurde. Inwiefern dieser ganze Sachverhalt eine Auswirkung auf das laufende Verfahren hat, wage ich nicht abschließend zu beurteilen, ich bin kein Strafverteidiger.
jaska schrieb:Das ist die schöne Theorie. Wie schätzt Du denn die Praxis ein? Werden Anwälte diesbezüglich "bewertet" und haftbar gemacht? Ich meine, wie will man dem Anwalt Wissen oder Nichtwissen nachweisen?
In der Praxis sieht das so aus, dass ein Anwalt den Mandanten rechtzeitig über die Konsequenzen eines Geständnsses der Tat ihm gegenüber aufklärt und dabei häufig auch klarstellt, dass er überhaupt nicht wissen will, ob der Angeklagten schuldig ist oder nicht. Insgesamt hängt das aber immer von den Umständen des Einzelfalles und dem konkreten Charakter des Rechtsanwaltes ab. Manche Anwälte fordern auch zur Wahrheit auf, und verhalten sich im Anschluss korrekt (verteidigen nur innerhalb der noch möglichen Grenzen, oder versuchen mittels Geständnis ein milderes Strafmaß zu erreichen, manche legen dann auch das Mandat nieder - letzteres eine nicht besonders schöne Lösung). Und sicherlich gibt es auch Anwälte, die sich einer Strafvereitelung schuldig machen. Ob und inwiefern in einem etwaigen Prozess gegen den Anwalt diesem das - für die Strafbarkeit wegen (versuchter) Strafvereitelung notwendige - Wissen nachgewiesen werden kann, ist ein generelles Problem der Strafrechtspflege in jedem Prozess bei jedem Täter.
jaska schrieb:Das halte ich für eine komplexe Materie, selbst für einen Normalbegabten. Wie schätzt Du das ein wenn ein Geistig Behinderter betroffen ist, der diese Komplexität nicht begreifen kann?
Für einen Normalbegabten finde ich das eigentlich nicht so komplex:
Der Anwalt darf nicht lügen. Wenn der Mandant ihm sagt, "ich war es", dann kann der Anwalt nicht mehr hergehen und Freispruch beantragen, weil sein Mandant "unschuldig sei". Er kann nicht hingehen und sich auf einen Alibizeugen berufen, weil er weiß, dass sein Mandant kein Alibi hat. Er darf aber auf einen Freispruch aus Mangel an Beweisen hinwirken und etwaige Lügen oder mangelhafte Wahrnehmungen der Belastungszeugen auch durch geschicktes Befragen aufdecken. Der Angeklagte selbst darf und kann natürlich weiterhin im Prozess auf nicht schuldig plädieren und auch seine Unschuld behaupten. Aber möglicherweise schätze ich da auch die Komplexität falsch ein, ich bin ja Rechtsanwalt.
Im Falle eines geistig Behinderten wäre es das beste, wenn der Anwalt zunächst einmal dafür Sorge trägt, dass dem Mandanten ein Betreuer zur Seite gestellt wird - immer vorausgesetzt, er merkt überhaupt, dass der Mandant nicht geschäftsfähig ist. Ansonsten sollte der Anwalt die notwendigen Entscheidungen selber treffen, und zwar so wie sie für den Mandanten am besten wären. Das kann natürlich auch beinhalten, den Mandanten dazu aufzufordern, ihm gegenüber die Wahrheit zu sagen, damit der Anwalt dann eine Informationsbasis hat, genau diese Entscheidungen zu treffen. Eine Aufforderung zu gestehen, wenn der Anwalt nur - aus welchen anderen Umständen auch immer - den Schluss zieht, dass der Mandant schuldig ist, ist jedenfalls nicht mit der Fürsprachepflicht des Anwalts, dem nemo-tenetur-Grundsatz und dem Prinzip der Unschuldsvermutung vereinbar. Zu beachten ist, dass ein Geständnis eben nicht zwingend der Wherheit entsprechen muss. Daher kann die Aufforderung an den Mandanten zu gestehen - insbesondere, wenn sie gegenüber einem Menschen mit beschränkter Einsichtsfähigkeit abgegeben wird - eben dazu führen, dass der Mandant gesteht ohne schuldig zu sein, einfach weil er hier der Aufforderung einer Autoritätsperson folgt, die darüber hinaus auch noch zu seinem Schutz verpflichtet ist, also wissen sollte, was gut für ihn ist. Daher ist es wichtig, den Mandanten in dieser Situation neutral aufzufordern, ihm die Wahrheit über die Erignisse des Tages mitzuteilen. Unter gar keinen Umständen ist der Anwalt dazu berechtigt gegenüber den Ermittlern sich dahingehend zu äußern, er glaube sein Mandant sei zu 75 % schuldig. Das ist mindestens standesrechtlich zu sanktionieren. Eine strafrechtliche Verfolgung dürfte aber schwierig werden, eventuell über § 356 StGB, hier kenne ich mich aber nicht gut genug aus.
Leider werden Vernehmungstechniken in der Juristenausbildung trotz entsprechender Kenntnis in den entsprechenden Grundlagenwissenschaften immer noch fast vollständig ignoriert. Während meines Studiums wurde das überhaupt nicht angesprochen, während des zwei-jährigen Referendariats war das genau eine Woche Thema. Dabei ist angesichts der Tatsache, wie zentral der Zeugenbeweis sowie generell die Ermittlung von Sachverhalten durch Aussagen der Beteiligten in der gesamten Rechtspflege ist - sowohl für Richter als auch für Rechtsanwälte und Staatsanwälte, ja sogar für einen Großteil der Verwaltungsbeamten, diese Vernachlässigung der Vernehmungs- und Aussagepsychologie und entsprechender Befragungsmethoden in der Juristenausbildung ein extrem schwerwiegender Mangel Teil der systemischen Probleme, unter denen das deutsche Rechtssystem leidet.
@Interested Interested schrieb:Da Du versteckt bist, habe ich leider keine andere Möglichkeit, würde den exzellenten Beitrag über die Arbeit des Anwalt/Verteidigers gerne in den Pistorius Thread kopieren/zitieren, da wir gerade genau dieses Thema haben - ich hoffe, Du erlaubst? :)
Sorry für OT!
Natürlich darfst Du diesen Beitrag zitieren. Danke für die Nachfrage.
MfG,
G.