Mordfall Charlotte Böhringer
25.10.2019 um 15:07
Guten Tag,
ich bin neu hier
Ich verfolge diesen Thread mit großem Interesse, nachdem ich die Doku "Freund vor Gericht" gesehen hatte.
M.E. geraten auch hier zwei Fragen durcheinander: Die Frage, ob BT der Täter war, und die Frage, ob er zu Recht verurteilt wurde.
1) Für letzteres ist zunächst die schriftliche Urteilsbegründung maßgeblich und diese trägt den Schuldspruch nach meiner Überzeugung nicht. Keines der herangezogenen Indizien kann den Schuldspruch begründen, auch nicht in einer "Gesamtschau".
a) Hinsichtlich der DNA-Spuren würdigt das Urteil den Spur-Spur-Treffer nicht ausreichend. Dabei lege ich zugrunde, dass die Zuordnung zu einer an der Spurensicherung- oder –auswertung beteiligten Person ebenso wenig belegt werden konnte wie kontaminiertes Sicherungsmaterial. Dies ist in dubio pro reo zugrunde zu legen. Es gibt dann aber nur zwei Möglichkeiten: Entweder befand sich jedenfalls wenige Tage vor dem Tod von CB eine Person in ihrer Wohnung, die im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt vor 20 Jahren steht. Oder es liegt ein Spursicherungs- oder –auswertungsfehler vor, der sich auch auf alle anderen gesicherten DNA-Spuren ausgewirkt haben kann.
aa) Im ersten Fall kann man die Tatrelevanz nicht mit der fehlenden Nähe zum Tatort oder zur Tatzeit verneinen. Denn die Frage der Nähe ist im Verhältnis zum anderen Tatort bzw. zur anderen Tatzeit (Mord an Ursula Herrmann) zu bewerten. Wenn sich die am U.H.-Mord ggf. beteiligte Person nach 20 Jahren in der Wohnung von CB befand, dann war diese Person auch dann "tatnah", wenn ihre DNA-Spur nicht am Tötungstag von CB oder unmittelbar am Fundort der Leiche gesichert wurde. Denn bezogen auf den weit entfernten U.H.-Tatort und die weit zurückliegende U.H.-Tatzeit hatte sich die Person in unmittelbare Nähe von CB begeben.
bb) Handelt es sich um einen Fehler bei Spurensicherung oder –auswertung muss eine DNA-Spur durch einen handwerklichen Fehler entstanden sein, der auch bei allen anderen DNA-Spuren aufgetreten sein kann. Dies ist in dubio pro reo bei jeder einzelnen DNA-Spur zu berücksichtigen sowie zusätzlich der Umstand, dass BT regelmäßig Umgang mit dem Opfer hatte.
b) Hinsichtlich der Zeitungen geht das Urteil von einer unzulässigen petitio principii aus. Das Urteil folgert aus der Wegnahme der Zeitungen durch BT, dass damit die Entdeckung seiner Mord-Tat verzögert werden sollte. Zunächst sagt aber eine Wegnahme der Zeitungen durch BT überhaupt nichts darüber aus, ob er auch einen Mord begangen hat. Die Wegnahme einer Zeitung besagt nur, dass die Zeitung von ihm weggenommen wurde. Nur wenn man bereits voraussetzt, dass der Wegnehmende auch der Mörder ist, entsteht ein Zusammenhang zur Mordtat. Das Indiz setzt voraus, was es beweisen soll.
c) Gleiches gilt für die Fahrt nach Augsburg. Eine Fahrt nach Augsburg ist zunächst nur eine Fahrt nach Augsburg. Sie mag dem Außenstehenden sinnlos erscheinen, aber daraus folgt kein Sinnzusammenhang zu einer Mordtat. Es gibt auch keine Begleit-Indizien, die diese Fahrt in einen Zusammenhang mit der Tat setzen. Es wurde keine Tatwaffe oder tatbezogene Kleidung an einer Straße nach Augsburg gefunden. Nur dann, wenn man bereits annimmt, dass BT auch der Mörder war, ist ein tatbezogener Sinn erkennbar(Beseitigung der Tatwaffe, Kleidung etc). Auch hier liegt also eine petitio principii vor: Das Indiz setzt voraus, was es beweisen soll.
d) Selbst die Studienlüge ist zunächst nur eine Lüge. Man kann Lügner sein, ohne Mörder zu werden. Selbst wenn CB vom Studienabbruch nichts wusste, begründet die Lüge kein Mordmotiv. Denn BT hätte das positive Ergebnis des II. Examens ebenso vortäuschen können wie das Bestehen des I. Examens. Ein unmittelbarer Handlungsdruck bestand also nicht, erst recht nicht im Sinne einer Mordtat.
e) Auch die aufgefundenen 500-Euro-Scheine haben keinen Bezug zur Mordtat. Sie können geschenkt oder gestohlen gewesen sein. Es gibt keine Lebenserfahrung, dass jeder Beschenkte oder Dieb im Umfeld einer Mordtat auch der Mörder ist.
f) Die "Übertötung" ist ebenfalls kein Indiz, welches auf einen von BT begangenen Mord hinweist. Zunächst habe ich Zweifel, ob man hier wirklich von einer Übertötung sprechen kann. Ich würde hier eher von einer Absicht der sicheren Tötung sprechen. Denn Täter sind bei Schlägen auf den Kopf meist unsicher, welches Ausmaß von Verletzung tödlich ist. Insofern sind 20 Schläge (auch in Abhängigkeit von der Waffe) gar nicht selten, wenn der Täter sicher töten will.
g) Gleiches gilt für alle anderen Indizien. Es handelt sich bezogen auf die Mordtat um tatneutrale Umstände oder Handlungen, die keinen Bezug zur Tat haben, außer dass sie bei Unterstellung der Täterschaft eine tatbezogene Erklärung haben könnten.
h) Die "Gesamtschau" ergibt nichts anderes:
aa) Zunächst ist es irreführend, von einer Gesamtschau zu sprechen, weil nur einzelne Begleitumstände der Tat herangezogen wurden, und z.B. gerade nicht der Spur-Spur-Treffer. Es wäre deshalb zutreffender, von einer "Zusammenschau" zu sprechen, die sich zudem auf (vermeintlich) belastende Indizien beschränkt.
bb) Auch ein den Tatvorwurf stützender "Ring" von Indizien bestand nicht. Sämtliche Indizien hängen lose nebeneinander in Zeit und Raum. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Studienlüge, Zeitungen, Fahrrad, Augsburg-Fahrt etc. untereinander, außer einem möglichen Bezug zur vermeintlich von BT begangenen Mord-Tat. Sämtliche Indizumstände könnten auch nur das gewesen sein, was sie waren, nämlich eine Lüge, eine Zeitungswegnahme, eine Fahrrad-Wäsche, eine sinnlose Autofahrt etc.
cc) Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass BT eben erwiesenermaßen ein notorischer Lügner und wohl auch Dieb war. Wenn jemand ständig lügt, ist eine erneute Lüge eben nur ein Indiz für eine weitere Lüge. Verdächtig wäre es nur, wenn jemand, der stets die Wahrheit sagt, auf einmal Lügen präsentiert.
Gleiches gilt für das (wohl) gestohlene Geld. Angesichts seiner Studienlüge dürfte BT eine monatliche finanzielle Deckungslücke von ca. 2.000 Euro gehabt haben (Referendarsgehalt + Einkünfte aus angeblicher Nebentätigkeit). Es ist sehr wahrscheinlich, dass er seine Tante oder jedenfalls die Parkgarage sehr oft bestohlen hat, ohne jedes Mal zu morden. Weshalb soll also eine weiterer Diebstahl ein Indiz für einen Mord sein, wenn es kein Indiz dafür gibt, dass CB diesen Diebstahl entdeckt hatte? Und selbst wenn, hätte dann BT nicht eher mit einer weiteren Lüge reagiert als mit einem Mord?
2) Dies zum Urteil. Eine andere Frage ist die, ob BT tatsächlich der Täter war. Das halte ich für recht wahrscheinlich. Dies allein rechtfertigt aber noch keinen Schuldspruch.
Viele Grüße
Negus