Mordfall Charlotte Böhringer
31.05.2020 um 14:16Seps13 schrieb:Das, was du ein Vorurteil nennst, ist das ganz Grundlegende eines solchen Strafverfahrens, nämlich eine den hinreichenden Tatverdacht begründende Tathypothese und zwingende Voraussetzung, um überhaupt jemanden anklagen und verurteilen zu können. Man ist also zumindest hypothetisch schon einen Schritt weiter, was noch nicht heißt, dass der Angeklagte bereits vorverurteilt ist.Von Vorurteil oder Vorverurteilung habe ich nichts geschrieben, ich weiss, aber was du damit auf meinen Post bezogen, wahrscheinlich meinst.
Ich zitiere jetzt mal @Andante, weil ich kann das auch nicht besser in Worte fassen :
Andante schrieb:Richtig, die StA hält ihn nach dem Ergebnis all ihrer Ermittlungen für den Täter und glaubt, das auch beweisen zu können. Deshalb hat sie Anklage gegen genau diesen Betreffenden - und nicht gegen jemand anderen - erhoben. Das Gericht muss nun eben prüfen, ob die These der StA richtig ist und die von dort präsentierten Beweise ausreichen.Und der letzte Satz des Zitats ist entscheidend, dass Gericht muss prüfen, ob die These der StA richtig sein könnte und vor allem beweiskräftig genug ist für eine Verurteilung.
Dabei darf sich das Gericht aber eben nicht die Arbeitshypothese der StA zu eigen machen, die ja fest davon überzeugt ist, den richtigen Täter angeklagt zu haben, sondern muss selbständig, unvoreingenommen prüfen, ob das Vorgetragene eben ausreichend ist, die Täterschaft zu beweisen und zu einer Verurteilung zu gelangen.
Und das hat das Gericht hier gerade nicht getan, sondern ist bei dem Zusammenfügen der Indizienkette von Anfang an
von der Täterschaft BTs ausgegangen.
Ich weiss nicht, wie ich das besser beschreiben soll, damit jeder versteht, was ich meine. Teile der Indizienkette leben eben davon, dass man das BT als Täter sieht.
Die Anforderungen der Rechtsprechung an eine Verurteilung auf Basis von Indizien sind Recht hoch und Voraussetzung ist, das jedes Indiz sich logisch, unter Ausschluss anderer Möglichkeiten (und Täter ), aneinander fügt und schlussendlich nur den Angeklagten als den einen Täter als möglich erscheinen lässt.
Juristen mögen mir jetzt diese totale Vereinfachung verzeihen.
Nur das setzt natürlich voraus, dass das Gericht die Indizien auch einzeln und dann in Gänze würdigt und bewertet und das ist meiner rein persönlichen Ansicht nach trotz aller epischen Ausführungen im Urteil nicht erfolgt, sondern sie sind fast alle unter der festen Annahme, BT ist der Täter, gewürdigt worden und das ist eben juristisch falsch.
Beim Bauen würde man sagen, was nicht passt, wird passend gemacht.
Wir haben zum Schutz des Bürgers im Strafsystem auch mehrere Bereiche, wir haben die Polizei, die verschiedenen Kommissariate, die ermitteln und alles erst einmal sammeln, dies geleitet von der StA, die zb Aufträge für Gutachten der Rechtsmedizin gibt, Durchsuchungsbeschluesse erwirkt und die Ermittler durchsuchen dann zb Wohnung, Auto etc des Verdächtigen. Glaubt die StA genug Beweismittel zu haben gegen den Verdächtigen, wird die Anklage an das Gericht geschickt mit dem Antrag, die Anklage zuzulassen und das Verfahren zu eröffnen.
Dann kommt das Gericht ins Spiel, das zunächst die Anklage prüft, zulässt, die Anklage dem dann Angeklagten zustellt und das gerichtliche Verfahren eröffnet.
Es gibt dabei durchaus Richterinnen und Richter, die an dieser Stelle, die Anklage nicht zulassen, weil es einfach nach ihrer Auffassung nicht reicht oder nochmal Rücksprache mit der StA halten, ob das Verfahren nicht durch Strafbefehl erledigt werden kann oder Einstellung mit Geldauflagen etc.
Bei Prüfung und Zulassung der Anklage muss das Gericht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung bejahen.
Was insgesamt wichtig an diesem Prozedere ist, ist, dass damit sichergestellt werden soll, dass möglichst vorurteilsfrei ermittelt, angeklagt und geurteilt wird, dass eben nicht alles in einer Hand liegt. Wir haben auf der einen Seite die Ermittlungsbehörden samt StA, die ermitteln und anklagen und das Gericht auf der anderen Seite, das dann urteilen soll.
Das kann aber nur funktionieren, wenn das Gericht wertfrei an die von der StA vorgelegten Indizien und Beweismittel herangeht und prüft.
Viele Kritiker unseres Systems monieren, dass das für das Strafverfahren zuständige Gericht auch vorher über die Zulassung der Anklage entscheidet und jemand der schon mal die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung bei Zulassung der Anklage geprüft und bejaht hat, wird sich im Verfahren selbst wohl kaum widerlegen und dazu kommen, dass es zu einem Freispruch kommt.
Daher plädieren Kritiker dafür, dass hier unterschiedliche Gerichte beauftragt werden, eins mit der Zulassung der Anklage und ein weiteres mit dem Verfahren selber, um eben die erforderliche Neutralität herzustellen.